Brigitte Hamann: Winifred Wagner

Tabubruch! Die erste differenzierte Biographie der widersprüch-lichen Winifred Wagner und ihres Sohnes Wieland, des "Obernazis von Bayreuh"

Brigitte Hamann: „Winifred Wagner oder Hitlers Bayreuth“

688 S., Piper Verlag 2002



Brigitte Hamann hat eine Biographie über Winifred Wagner und zugleich eine historische Abhandlung über Adolf Hitlers Usurpation Bayreuths geschrieben, ein Buch über die gegenseitige Umarmung zweier Ungleicher, die sich brauchten. Winifred Wagner hat die Bayreuther Festspiele vor dem Bankrott gerettet, indem sie Hitler als großzü-gigen Beschützer und finanzkräftigen Förderer gewann, dafür hat sie ihm propagandistisch gedient als Steigbügel-halterin großbürgerlichen Renommées. Viele haben darüber geschrieben, aber Brigitte Hamann hat den Sachverhalt erstmals mit wissenschaftlicher Differenziertheit und Unvoreingenommenheit nach langjährigen Quellenstudien in einer historischen Biographie dargestellt. Das wegweisende Buch knüpft an das Buch der Autorin über „Hitler in Wien“ an, indem es den Aufstieg Hitlers (nach seinem Exodus aus Österreich) in Deutschland darstellt, aber den Sachverhalt im Spiegel Bayreuths, als Reflex der Bayreuther betrachtet.




Das Buch ist die erste hieb- und stichfeste Winifred Wagner-Biographie. Eine historische Lebensbeschreibung der vielgescholtenen Mutter Wolfgang Wagners, die noch 1975 in einem Interview Hans-Jürgen Syberbergs bekannte: „Wenn der Hitler zum Beispiel heute hier zur Tür hereinkäme, ich wäre genauso fröhlich und glücklich, ihn hier zu sehen und zu haben wie immer“. Entgegen weitverbreiteter Gepflogenheiten pauschaler Wagnerliteratur verurteilt Brigitte Hamann Winifred nicht einseitig, sondern stellt Winifred in ihrer ganzen Widersprüchlichkeit dar, in ihrem unbelehrbaren, ja fanatischen Nationalsozialismus, ihrem parolenhaften Antisemitismus, aber auch in ihrer sponta-nen, selbstlosen Hilfsbereitschaft gegenüber Juden und anderen Ausgegrenzten, ja Bedrohten des Systems, politisch und rassisch Verfolgten, insbesondere auch vielen Homosexuellen. Winifred hat durch ihren persönlichen Einsatz viele KZ-Insassen und von der Deportation Bedrohte gerettet und hat dadurch schließlich die Gunst Hitlers verspielt, der sie denn auch ab 1940 mied. Brigitte Hamann registriert dies mit großer Sensibilität und dialektischer Sehschärfe, ohne Winifred im Geringsten zu entschuldigen oder als Opfer, gar als „Märtyrerin“ (wie Nike Wagner gehässigerweise behauptet) zu verklären.


Als Hitler die Macht ergriff, 1933, fünfzig Jahre nach Wagners Tod, standen die Bayreuther Festspiele vor dem Ruin. Winifred gelang es, Hitlers Hilfe zu mobilisieren. Sie hat dadurch zweifellos die Festspiele gerettet und sie hat die Festspiele mithilfe Heinz Tietjens künstlerisch modernisiert auf einem sehr hohen Niveau. Tietjen war den Nazis durchaus nicht geheuer, weil er als Linker und als modernistischer Judenfreund galt. Die mutig-energische Winifred erreichte es immerhin, dass die Partei ihr - als einer der wenigen Theaterleiter - in keiner Weise in die künstlerischen Belange hineinredete.


Brigitte Hamann stellt die Fakten sachlich dar, weiß um die Verdienste Winifreds, aber auch um ihre Machtnatur. Sie analysiert die Gespaltenheit Winifreds, die einerseits die Realität ihrer Zeit klar gesehen hat, aber aus einseitig-absur-der Liebe an Hitler glaubte, ihn idealisierte, ja in Schutz nahm gegen seine eigenen Grausamkeiten, die Winifred seinen Untergebenen - die ihn angeblich vergiftet hätten - anlastete.


Brigitte Hamann verschweigt auch die Homosexualität von Winifreds Gatten Siegfried Wagner nicht, der in stän-diger Angst vor seinen älteren Schwestern und vor Skandalen der kraftvollen Winifred ergeben war. Geradezu explo-siv sind die Enthüllungen der Hamann über den Winifred-Sohn Wieland. Wieland Wagner, der Entrümpler und Erneuerer Nachkriegsbayreuths, der sich nach 1945 selbst als Saubermann stilisierte, wies, wie man spätestens nach der Lektüre dieses Buches nicht länger ignorieren darf, eine nicht unerhebliche Nazi-Vergangenheit auf. Nicht ohne Grund nannte Tietjen ihn „den übelsten der Hitler-Günstlinge“. Wieland, das „Genie“ Neubayreuths der Adenau-erzeit war in der Tat Hitlers Protégé gewesen, arbeitete in leitender Funktion im KZ-Außenlager Bayreuth und hatte bis 1945 sehr enge persönliche Beziehungen zu Hitler. Nach 1945 zog er sich in die französisch besetzte Zone an den Bodensee zurück, um dem Entnazifizierungsverfahren zu entgehen, dem sich seine Mutter unängstlich und entschlossen stellte.


Wieland Wagner schwieg für den Rest seines Lebens über seine Vergangenheit. Die Wagnergemeinde, die Wagner-forschung schwieg weitgehend mit. Wielands Mutter Winifred indes lud nach dem Krieg alle Schuld auf sich, um ihren Söhnen den Weg freizumachen für einen Neuanfang. Wieland distanzierte sich nach außen hin deutlich sichtbar von seiner Mutter, schon indem er quer durch den Garten zwischen dem zerbombten Wahnfried-Haus, in dem er lebte und dem Siegfried Wagner-Haus, in dem seine Mutter lebte, eine hohe Mauer errichten ließ. Mit ihrer unver-fälschten Darstellung gerade der nationalsozialistisch privilegierten Jugend Wielands, den Hitler zum künftigen Bayreuth-Chef auserkor, weshalb er ihn im Gegensatz zu seinem Bruder Wolfgang auch von jeglichem Kriegsdienst freistellte, hat die Hamann für manche Wielandverehrer sicher ein Denkmal geschändet.


Für die Nachkommen seiner Familie hat Brigitte Hamann ein Tabu gebrochen. Es waren schließlich die Winifred-Enkel, die die Entstehung des Buches behinderten, im Gegensatz zum gegenwärtigen Festspielchef Wolfgang Wagner, der Brigitte Hamanns akribische Recherchen im Richard Wagner-Archiv zu Bayreuth offenherzig und tatkräftig förderte, indem er ihr nicht nur viel Material zur Verfügung stellte, sondern beispielsweise auch den Zugang zu den von der Stadt Bayreuth gesperrten, aber außerordentlich aufschlußreichen Tagebüchern der ehemaligen Archivarin Gertrud Strobel zugänglich machte.


Brigitte Hamann heult nicht mit den Wölfen Gottfried Wagners. Ihm und seinem Pamphlet „Wer nicht mit dem Wolf heult!“ (Köln 1997) wirft sie Kurzsichtigkeit und bösartig unfaires Attackieren seines Vaters vor. Auch Nike Wagner, die Wolfgang verteufelt und natürlich von der Nazi-Vergangenheit ihrs Vaters nichts wissen mag, wurde erst mit Nennung der Parteinummer Wielands zum Verstummen gebracht. Sowohl der Briefwechsel Winifreds und Wielands, als auch der Nachlaß Wielands werden von den Winifred-Enkeln bis heute unter Verschluß gehalten. „Es sind die Enkel, die eine Aufarbeitung der braunen Bayreuther Geschichte verhindern, nicht Wolfgang Wagner (Brigitte Hamann)!“


Die Hamann macht deutlich, dass Winifred weitaus facettenreicher war, als sie aus der Wieland-Perspektive zumeist dargestellt wurde, ohne sie mit dem Buch rehabilitieren zu wollen. Brigitte Hamann ist keine Winifred-Verehrerin, im Gegenteil: sie stellt nüchtern ihre abstoßenden Züge, ihre Brutalität und Derbheit dar. Aber sie macht auch deut-lich, dass Winifred nie brutal gegenüber Schwächeren und Untergebenen war, sondern nur nach oben hin. Mit ihrer skrupellosen Entschlossenheit und ihrem geschäftstüchtigen Realismus hat Winifred die Bayreuther Festspiele, die in den Dreißigerjahren in einer ernsten Existenzkrise steckten, weil die jüdischen Wagnerianer und die konservativen Altwagnerianer wegblieben, für die Zukunft gerettet. Sie hat aber auch die Grundlagen für „Neubayreuth“ und letzt-lich sogar für die Richard Wagner-Stiftung gelegt. Nach der Lektüre dieser Winifred- und Wieand-Recherchen Brigitte Hamanns wird man die Geschichte Nachkriegsbayreuths neu schreiben müssen!




Veröffentlicht in „Neue Zeitschrift für Musik“ 2002