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Ausufernde Chronik, unpraktikables Nachschlagewerk, keine Biographie! Was aber?
Wagner bekannte der Gattin seines Zürcher Mäzens, Mathilde Wesendonck, der Muse seines "Tristan": "So ein Lebenslauf, namentlich wie der meinige, muß den Zuschauer immer täuschen." In der Tat ist Wagners Leben, seine Biographie reich an Widersprüchen. Seine Lebenszeugnisse vermitteln, mit den Worten Eckart Kröplins zu reden, ein "flirrendes Bild von Vielseitigkeit und Vieldeutigkeit, sodass die Suche nach ungeschminkter Wahrheit sich nur teilweise oder nur sehr relativiert im biografischen Detail auffinden läßt." Von den Selbststilisierungen in Wagners autobiographischen Schriften ganz zu schweigen. Was Wunder, dass es nahezu jede Generation nach Wagners Tod unternahm, eine neue Wagnerbiographie zu schreiben, um dem "wahren Wagner" auf die Spur zu kommen. Obwohl kaum ein Komponistenleben so reich dokumentiert und erschlossen vor uns liegt, hat Eckart Kröplin durchaus recht, wenn er konstatiert: "Es gab und gibt ... nicht den einen, geradlinig oder eindimensional zu begreifenden Wagner."
"Weder die kritischen, noch die hagiographischen Darstellungen des schillernden Komponisten Richard Wagner geben zuverlässig Auskunft, geschweige denn seine eigenen, aber auch die Fachliteratur ist nicht frei von Verzeichnungen und Irrtümern, Spekulationen, Ressentiments und Legenden. Viele falsche Darstellungen verstellen das Bild." Diese Einsicht bewog Martin Gregor Dellin 1972, eine von allem biographisch-erzählerischen Kitt freie, trotz ihrer nur 187 Seiten essentielle und als schnelles Nachschlagewerk nützliche Wagnerchronik herauszugeben, die sich auf biographische und historische Fakten beschränkte und nur wenige, erläuternde Zitate aus Wagners Briefen, autobiographischen Schriften und Cosimas Tagebüchern einstreute. Diese, wie auch seine dickleibige romanhafte Wagnerbiographie gab er einige Jahre später erst heraus.
Doch der Erste, der die Idee einer "übersichtlich angelegten" Chronik von Leben und Schaffen Wagners veröffentlichte, war der langjährige Leiter des Bayreuther Wahnfried-Archivs, Otto Strobel. Er hat 1952 eine geradezu maßstabsetzende Zeittafel zu Leben und Schaffen veröffentlicht, die zur schnellen und mühelosen Orientierung bestens geeignet war, da sie in drei parallelen Spalten biografische Stationen Wagners, seine schriftstellerischen und kompositorischen Tätigkeiten und zeitgeschichtliche Ereignisse in Kultur und Geschichte gegenüberstellte. Werk- Orts- und Personenregister ermöglichten darüberhinaus eine gezielte Suche. Keine der darauf folgenden Wagnerchroniken hat diese prägnante Übersichtlichkeit je wieder erreicht.
Mit dem 13. Januar 1813 beginnt Eckart Kröplins Wagnerchronik. Es ist das Datum des Amtsantritts von Carl Maria von Weber als Kapellmeister und Operndirektor in Prag. Dann folgen vier Daten, die Preußens Eintritt in den Krieg gegen Napoleon, den Geburtstag des Schriftstellers Friedrich Hebbel , den Sieg Napoleons über die Russen und Preußen sowie den Geburtstag des dänischen Philosophen Sören Kierkegaard nennen. Erst an fünfter Stelle wird der 22. Mai 1813 als Geburtsdatum Richard Wagners genannt. Das ist bezeichnend. Wie schon Martin Gregor-Dellin beschränkt sich Eckart Kröplin leider auch auf eine einspaltige Chronik, die biographische Fakten, Werk und flankierende kulturgeschichtliche Ereignisse ineinander verwebt. Zudem ist die Fülle seiner Perspektiven und Zitate geradezu erdrückend. Zitate aller nur erdenklichen Quellen: Autobiographisches, Tagebücher, Briefe, Äußerungen zeitgenössischer Kritiker wie Freunde streut Kröplin ein. Es hilft dem Leser wenig, dass er sein mehr als 500seitiges Buch nach Art einer Biographie in neun Kapitel untergliedert: "Kindheit und Jugend, Wanderjahre, Hungerjahre in Paris, Hofkapellmeister in Dresden, Mitte des Lebens, Ein Leben im Exil, Wieder in Deutschland, Tribschener Idyll und Lebensabend in Bayreuth." Jedem dieser Kapitel stellt er eine zusammenfassende und wertende Einleitung voran. Seine Literatur- und Quellenkenntnis ist - zugegeben - beeindruckend. Aber als Nachschlagewerk zur schnellen und gezielten Orientierung, wie man es von einer Chronik erwartet, eignet sich das Buch nicht. Auch die angehängte "kurze Jahreschronik" ändert daran gar nichts und dass Kröplin ausgerechnet auf ein Werkregister verzichtet, ist sehr bedauerlich.
Der in der Einleitung des Buches erhobene Anspruch, eine "nuancenreiche Sicht " auf Wagners Leben und Werk zu vermitteln, wird zwar eingelöst, doch "objektiv", wie er behauptet, ist Kröplins Blick auf Wagner nicht. Ein "objektives und zugleich aussagekräftiges" Wagner-Bild zu erstellen, ist, darauf hat im Wagnerjahr 2013 der vielleicht profundeste Wagnerkenner Martin Geck zurecht hingewiesen, „auf der Basis der vorhandenen Quellen nicht möglich. Und von einer "neuen Wagner-Biografie", als die Eckart Kröplin seine ausufernde, viele Zettelkästen plündernde Chronik verstanden wissen möchte, kann nicht die Rede sein.
Rezensionen u.a. in SWR 2 Cluster / MDR Kultur
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