"Cosima" Oper von Siegfried Matthus 2007

Karan Armstrong als Cosima. Foto: Franz Schlechter

Nietzsche-Oper oder Etikettenschwindel ?


UA: "Cosima" Opernfragmente von Friedrich Nietzsche über Cosima Wagner, rekonstruiert und durch eine Rahmenhandlung ergänzt von Siegfried Matthus. Staatstheater Braunschweig, 28.04.2007




Siegfried Matthus, einer der führenden Komponisten der ehemaligen DDR  und Gründer sowie künstlerischer Leiter der Kammeroper Schloß Rheinsberg seit 1991-  hat eine neue Oper geschrie-ben, bzw. gefunden und ergänzt. Angeblich ein Opernfragment Friedrich Nietzsches über Cosima, die Gattin Richard Wagners.  Die Geschichte dieses Fundes ist so spektakulär wie die Oper Nietz-sches unwahrscheinlich ist.  Braunschweigs Oberspielleiterin des Musiktheaters, Kerstin Maria Pöhler stellt dem kurzen Stück (Dauer 1 Std. 10 Minuten) ein Vorspiel voran: "Ariadne - Dithy-rambus für Bariton und Orchester", eine Vorarbeit des Komponisten.


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"Im Traum erschienen Richard Frauen: Mathilde Wesendonck, Friederike Meyer, Judith Gautier... Und nun schreibt er über das Weibliche im Menschen. Ich brauche meine ganze Leidenschaft und meinen ganzen Stolz um nicht verletzt und eifersüchtig zu sein." Es ist in der zwölften und vor-letzten Szene, in der Cosima zu Musik von Bizets Carmen über die Treulosigkeit ihres Gatten Richard Wagner lamentiert. Susanna Plütters leiht ihr ihre schöne Stimme. Da öffnet sich zu den Paukenschlägen des angehenden Trauermarsches aus Wagners Götterdämmerung der Vorhang zur Hinterbühne. Man sieht den nackten Wagner. Er liegt auf seinem berühmten Sterbesofa des Palazzo Vendramin und wird, man ahnte es ja schon immer, von seinem Zimmermädchen Betty Bürkel sprichwörtlich zu Tode geritten. Cosima schaut erstarrt von der Vorbühne zu. Die Stunde ihrer fal-schen Wagnerverklärung beginnt. Cosimas Wagnerkultus habe den erbosten Nietzsche veranlasst, eine Oper über sie zu schreiben, in seinen letzten Lebensjahren, in der Irrenanstalt in Jena. Das jedenfalls behauptet Friedrich Matthus in seiner nunmehr zwölften Oper. Angeblich habe er bei Restaurierungsarbeiten im Rheinsberger Schloß unter Dielen eine Blechdose mit eben diesem  Opernfragment Nietzsches gefunden. Er brüstet sich damit und verkauft dies als faktische Sen-sation. Erdrückend viele Indizien sprechen allerdings dafür, dass seine Behauptung eine reine PR-Erfindung ist:

 

1. Die verwendeten Tagebuchnotizen Cosimas, auch die Briefpassagen Cosimas an Nietzsche konnte Nietzsche noch gar nicht kennen, da sie erst Jahrzehnte nach seinem Tod veröffentlicht wurden.

2. Eigentümer des Rheinsberger Fundes müßte eigentlich die Stiftung Preußische Schlösser und Gärten oder das Land Brandenburg sein. Matthus dürfte den Fund  also gar nicht in seinem Besitz haben.

3. Daß Nietzsche in seinem Zustand der Paralyse (nach 1890) in der Irrenanstalt eine Oper hätte komponieren können, ist rein physiologisch mehr als nur unwahrscheinlich. Im übrigen hat Nietz-sche seine Carmen-Polemik schon in den Achtzigerjahren zurückgenommen. Als Komponist hat er in seinen erhaltenen Kompositionen völlig anders geschrieben. Wagner nahm auch das nicht ernst. Nietzsche, bei aller Musikalität, kannte seine Grenzen! 

4. Bei Nietzsches lebenslanger Cosimaverehrung, er nannte sie die "bestverehrte Frau" seines Lebens, Richard Wagner war für ihn "der weitaus vollste Mensch, den er je kannte - wäre eine solche Haß-Oper ohnehin unwahrscheinlich.

5. Der Matthus-Text wirkt eindeutig wie die Kollage eines Wagner-Philologen von heute, nicht wie ein Text von Nietzsche, bei aller Authentizität der Nietzsche-Zitate aus seinem Werk.


Kurzum: Man muß von einem Etikettenschwindel ausgehen, solange keine nachweisbaren Doku-mente vorlegen. Bezeichnenderweise läßt Maestro Matthus die Sache, will sagen, die angeblich aufgefundenen Dokumente natürlich niemanden einsehen.


"Ich erzähle immer, dass ich das einem Bank­Schließfach übergeben habe, aber den Schlüssel verloren, ich kann´s Ihnen nicht zeigen." (Matthus). Wer´s glaubt, wird selig! ....


"O sink hernieder, Nacht der Liebe..." Hans von Bülow (Hans Christoph Begemann) und die junge Cosima Wagner singen auf dem Sofa das berühmte Liebesduett aus Wagners "Tristan".  Später singen sie - nicht ohne Witz - Passagen aus "Parsifal" zur Quintett-Musik aus den "Meistersingen".  Auch "Siegfried", "Götterdämmerung" und "Rheingold" werden geplündert. Es sind überwiegend Wagnerzitate, die Siegfried Matthus nachkomponiert und (mehr oder wenige originell) bearbeitet hat. Immer wieder die Glockenmusik und mehr aus dem  "Parsifal". Matthus erzählt Szenen aus dem Leben Cosimas, mit ihrem ersten Mann Hans von Bülow, aber auch mit Richard Wagner nach, als Geschichte einer Hassliebe zwischen dem Philosophieprofessor und seinem Abgott Wagner und dessen Gattin Cosima, die für ihn "das einzige Weib grossen Stils" (Nietzsche) war..


Matthus erzählt diese Geschichte in dreizehn schlaglichtartigen Szenen, im Irrenhaus, auf Tribschen am Vierwaldstätter See, in München, vor dem Schlafzimmer Wagners, im Sterbezimmer Wagners in Venedig, schließlich im Bayreuther Festspielhaus. Wer auch immer sie geschrieben hat, kannte sich in der Wagnerphilologie gut aus.


Und die Musik? Die Kunst des Zitierens, der Variation und der Arabeske. Im besten Falle gelingen Matthus handwerklich respektable Wagnerparodien und ironische Kreuzungen von Carmen- und Wagnermusik. Wobei, Nietzsche zu unterstellen, dass er wie Bizet komponiert habe, so naiv wie infam ist, zu behaupten, er habe im Wahnsinn sich an Cosima, der Unerreichbaren gerächt mit seiner Oper über sie, was sie wiederum bewogen habe, unbdingt in den Besitz derselben zu gelangen, um eine Aufführung zu verhüten. Also läßt Matthus die Witwe Cosima (Karan Armstrong als "Dame mit dem Schleier" stimmlich nur noch ein Schatten ihrer selbst, aber ebenso unerträglich wie eh und je) ins Jenaer Irrenhaus eintreten, sie bezirzt den Arzt Nietzsches, Professor Binswanger (Selcuk Hakan Tirasoglu mit argen Problemen der Aussprache) und quält den todkranken Nietzsche mit verzerrten "Parsifal"-Klängen aus einem Grammophon.  


In der Schlussszene vollzieht der alte Nietzsche alias Dionysos (sehr beeindruckend Richard Salter), sich mit Fäkalien übergießend, auf der Bühne des Bayreuther Festspielhauses – vom gralsritter-haften Festspielpublikum Cosimas schließlich überwältigt - einen grotesken Todestanz, in dem Siegfried Matthus "Parsifal"-Musik zu einer Art "Tanz der sieben Schleier" aufdonnert. Das ist nicht Ohne, zugegeben. Am Ende läuten dröhnend die Gralsglocken. Nietzsche ist tot. Cosima - Ariadne - und die Ihren triumphieren.


Das Schönste an dieser Matthus-Oper ist ihre Kürze.  Aber was soll das Ganze? Daß ihm die Story mit der Nietzsche-Oper ohnehin niemand ernstlich glauben wird, kümmert Siegfried Matthus übrigens ebenso wenig wie der Vorwurf, sich mit fremden Federn zu schmücken:


"J a, was soll ich da machen? Das muß ich dann hinnehmen!"


Bei aller Klugheit und Sinnlichkeit, mit der die Regisseurin Kerstin Maria Pöhler die dreizehn Sze-nen geschickt zwischen gleichzeitig sichtbarer Irrenanstalt und Bayreuther Festspielhaus mit fil-mischen Schnitten und markanten Bildern (gute historische Kostüme von Frank Fellmann) insze-niert, bei allem Respekt auch vor der insgesamt respektablen musikalischen und sängerischen Lei-stung unter Leitung von Jonas Alber:  Diese vermeintlich wiederaufgefundene und rekonstruierte, bzw. komplettierte Nietzsche-Oper, die am fünften Mai auch in Gera (auch dort als Uraufführung angekündigt) herauskommen wird, dürfte nicht einmal als Sensatiönchen im Vorfeld der Bayreuther Festspiele taugen.



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