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Photo Tom Schulze
Anthony Pilavachis Leipziger „Pagliacci“: Ein Fest!
Philipp Neumanns „Herzog Blaubarts Burg“: Eine Enttäuschung
Gestern Abend (7.4.2018) gab es in der Oper Leipzig eine Opernpremiere, die gleich zwei Leckerbissen des Repertoires herausbrachte, eine Rarität und einen Evergreen: Ruggero Leoncavallos veristisches Meisterwerk "Pagliacci" und Béla Bartóks abgründiges Psychodrama "Herzog Blaubarts Burg". Die beiden Opern wurden von verschiedenen Regisseuren inszeniert. Der bisher kaum mit Aufsehen-erregendem in Erscheinung getretene Leipziger Regisseur Philipp Neumann hat den Bartók in Szene gesetzt. Einer der erfolgreichsten Opernregisseure Europas, Antho-ny Pilavachi, er hat zuletzt in Leipzig mit der Wiederentdeckung von Gounods Oper "Der Rebell des Königs" Furore gemacht, er hat die Leoncavallo-Oper inszeniert.
Ob die beiden sehr gegensätzliche Stücke miteinander zu kombinieren Sinn macht, darüber kann man sich streiten. Musikalisch natürlich nicht, denn die „Pagliacci“ aus dem Jahre 1892 sind ein Meisterwerk des italienischen Verismo und der „Blau-bart“ von 1918 ist ein bahnbrechendes Werk der musikalischen Moderne. Auch in-haltlich stehen sich die beiden Opern absolut konträr gegenüber. In den „Pagliacci“ geht es um Schein und Sein, um Kunst und Wirklichkeit, und es geht um eine Frau, die sich von einem ungeliebten Mann befreit. Im „Blaubart“ hingegen, wenn man so will ein Geschlechterkampf-Drama, will eine liebende Frau einen verdüsterten Mann befreien will. Beide scheitern. Also zwei konträre Frauentypen stehen sich da gegenüber. Das könnte ein Scharnier sein für eine Gegenüberstellung der beiden Stücke, wenn sie denn aus einer Hand inszeniert würden. Was in Leipzig aber nicht der Fall ist. Da inszenieren zwei in Bühnenästhetik und Theatersprache völlig unter-schiedliche Regisseure je für sich.
Philipp Neumann zeigt die Bartók-Oper nicht wirklich als Psychodrama. Dazu ver-mißt man bei ihm jegliche subtile, psychologisch nuancierte, genaue Personen-führung. Seine Inszenierung gibt sich eher harmlos brav. Er zeigt das ganz und gar nicht harmlose Stück auf einer von Gras und Moos bewachsenen Hügellandschaft, zu der ihn ein Urlaub in Island inspiriert haben mag, wie er im Programmheft anmerkt. Schön und gut, aber mit dem Stück hat das wenig zu tun. Da geht es viel-mehr um das Innere einer Burg, und um das Öffnen immer neuer Türen. Auch wenn das symbolisch gemeint ist, wenn das psychologische Metaphern sind: Das orts- und seelenneutrale Gebarme, das der Regisseur dem Publikum vorführt, ist ziemlich dürftig! Und dass er dann noch vier Waschmaschinen auf die Bühne stellt, um dem Zuschauer zu signalisieren: Hier gehts um das Immergleiche, sich Wieder-holende zwischen Mann und Frau, bescheinigt ihm doch ziemliche Phantasielosig-keit. Seit 3 Jahrzehnten bevölkern Waschmaschinen das Regietheater. Inzwischen sind es lange ausgediente und langweilige Requisiten regielicher Hilflosigkeit. Wer will noch Waschmaschinen auf der Opernbühne sehen? Und so dumm ist das Publi-kum wirklich nicht, als dass man ihm mit solchen Holzhämmern im Regiebesteck noch kommen müsste.
Bei Anthony Pilavachis Leoncavallo-Inszenierung handelt es sich um die überar-beitete Wiederaufnahme seiner gefeierten Inszenierung, die vor drei Jahren im Schlepptau einer Uraufführungs-Totgeburt herauskam und gemeinsam mit ihr nach nur vier Aufführungen abgesetzt wurde. Und doch gibt es über diese Wiederauf-nahme nur das Beste zu sagen. Sie verdient es, wiederaufgenommen zu werden. Sie ist eine so prachtvolle Hommage an das Leben kleiner, armer Leute im Süden Ita-liens, so wie es auf Photographien der 50er Jahre oder in den Filmen Luchino Vis-contis, Roberto Rosselinis oder Federico Fellinis zu sehen ist. Tatjana Ivschina hat Pilavachi eine mediterran anmutende, im Grunde sehr spartanische Bühne gebaut, einen schnörkellosen Innenraum, der auch als Außenraum gesehen werden kann. Eine Art sechseckiger Turm, Platz, Saal, wie auch immer. (Nebenbei bemerkt: Man könnte übrigens auch gut und gerne die Bartok-Oper in dem Bühnenbild von Pila-vachi spielen! Und dann hätte man auch eine szenische Klammer für die beiden Stücke.) Das Theater, das Pilavachi in dem Bühnenraum von Tajana Ivschina ent-faltet ist voll turbulenter, vitaler Spiellust, mit Anklängen an Comedia dell Arte. Auch Charlie Chaplin lässt grüßen. Eine Augenlust und ein großes Vergnügen, wie Pilavachi das Stück erzählt. Er entfesselt sinnlich-sinniges Vollbluttheater. Das Premierenpublikum hat ihn zu Recht gefeiert.
An einem Abend zwei so herausragende Werke zu dirigieren, stellt eine besondere Herausforderung an den Dirigenten dar. Kapellmeister Christoph Getschold hat sich gut geschlagen, im einen wie im anderen Stück. Ohne jede Angst vor Lautstärke und Klangballungen hat er Bartok wie Leoncavallo zu ihrem Recht kommen lassen, sowohl was die orchestralen Details als auch die Dramatik und den großen Bogen der Stücke angeht. Das Gewandhausorchester war phantastisch in Form gestern Abend. Musikalisch war das ein Fest.
Was die Sänger angeht: „Herzog Blaubart“ ist ein Zweipersonenstück, Da ist es vor allem Tuomas Pursio, der in der Titelpartie vollauf überzeugt. Seine Stimme wurde im Laufe der letzten Jahre immer schwarzer und markiger. Die reine Wonne, ihn zu hören, im Gegensatz zu Karin Lovelius als Judith. Die „Pagliacc“ sind in allen 5 Hauptpartien, aber auch in den Nebenrollen erstklassig besetzt worden. Allen voran der der international gefeierte serbische Tenor Zoran Todorovich als Canio. Sein Bajazzo ist einfach Spitzenklasse, sängerisch wie darstellerisch! Aber auch der Bariton Lucca Grassi ist als Tonio fabelhaft, so wie der usbekische Bariton Alik Abdukayumov als Silvio. Ganz entzückend und nicht nur das, sondern auch bewe-gend ist die südkoreanische Koloratursopranistin Eun Yee You als Nedda. Und der hauseigene Charaktertenor Dan Karlström, Mime vom Dienst, er macht auch aus der kleinen Partie des Peppe noch eine Charakterstudie. Schon wegen der „Pagliacci“ lohnt der Besuch dieser Produktion ohne Wenn und Aber!
Besprechung auch in MDR Kultur