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Christoph Stölzls Visitenkarte:
Cavalleria rusticana & Pagliacci
Einer der seit Jahren beglückendsten Abende in der Dresdner Semperoper
Photos: Daniel Koch
Am Samstag,16. Januar 2016 hatten in der Dresdner Semperoper Pietro Mascagnis „Cavalleria rusticana“ und Ruggero Leoncavallo „Pagliacci“ Premiere. Die beiden Parade-Opern des Verismo wurden als Koproduktion schon bei den letztjährigen Salzburger Mascaras gezeigt . Für Dresden hat Regisseur Christoph Stölzl sein Inszenierungskonzept den Bühnenmaßen der Semperoper angepasst. Da die Bühne des großen Salzburger Festspielhauses breiter ist als in der Semperoper, hat Christoph Stölz die gigantische Simultanbühne mit sechs über- und nebeneinander gebauten, einzeln zu bespielenden kleinen Schaubühnen mit je eigenem Vorhang in Dresden reduzieren müssen auf vier Spielräume. In "Cavalleria Rusticana" zeigt er die wechselnden Spielorte ausschließlich in Schwarzweiß, eine Hommage an die Stummfilmkinozeit und an die expressionistische Ästhetik des Graphikers Otto Nückel. In den "Pagliacci" wird die Bühnenwelt dann zur farbenfrohen Hommage an die Welt de Gaukler, des Zirkus und der Wanderbühnen mit verspielter Reverenz an die Comedia dell Arte.
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Indem Stölzl fast filmschnittartig im Takt der Musik Szene um Szene nacheinander in je einem anderen der vier Theater spielen läßt, vor allem in Mascagnis Einakter, mal in der Kirche, mal in der Dachstube Santuzzas, mal auf der Strasse oder in der Kammer von Mamma Lucia, gewinnt das tödliche Eifersuchtsdrama an mitreißendem Drive. Projiziierte filmische Nahaufnahmen zeigen psychologisch rele-vante Details an Mimik und Gestik. Warum Stölzl im Hintergrund allerdings Großstadtkulisse zeigt, wo es sich doch in beiden Stücken um ländliche Dramen in Sizilien und Kalabrien handelt, bleibt sein Geheimnis. Sei's drum, es tut der Virtuosität und Originalität der hervorragend getimten Inszenierung keinen Abbruch. Sie zieht den Zuschauer erbarmungslos in ihren Bann. In der Oper Leoncavallos setzt Stölzl mehr aufs simultane Nebeneinander der verschiedenen Schauplätze: Zirkusarena von innen und aussen, Künstlergardero-benwohnwagen und Liebeswald. Die Inszenierung ist vom szenischen Konzept her und in der technischen Umsetzung grandios. Hut ab vor den Bühnentechnikern der Semperoper. Aber auch die Personenführung Stözls ist außerordentlich souverän. Viele kleine Nebenhand-lungen beleben das szenische Geschehen. Dass Stölzl ein uneheliches Kind Santuzzas und Turridus dazu erfunden hat, verdeutlicht das Außenseiter-Schicksal Santuzzas. Aus dem Fuhrmann Alfio macht Stölzl einen Mafioso, was der Handlung Schärfe verleiht. So überwäl-tigend wie die Inszenierung ist auch die musikalische Seite der Produktion. Und das, obwohl, oder gerade weil Christian Thielemann, der den Abend in Salzburg dirigierte, in Dresden nicht zur Verfügung steht. Statt seiner dirigiert in der Semperoper der Mailänder Dirigent Stefano Ranzani, einer der erfolgreichsten seiner Generation. Er steht zum ersten Mal am Pult der Sächsischen Staatskapelle und ist ein großer Glücksfall. Man hätte sich keinen Besseren als ihn wünschen können. Die forwärtstreibende dramatische Verve, mit der er beide veristischen Opern dirigiert, überrumpelt geradezu und lässt kaum Raum für Sentimentalität. Bis zum Äußersten kostete Ranzani die Klangsinnlichkeit Mascagnis und Leoncavallis aus, ohne ihre strenge Architektur zu vernachlässigen. Die herrlich lautmalerischen Momente dieser Musik hörte man selten so plastisch. Vor allem aber hat Ranzani, woran es Christian Thielemann nun wirklich mangelt: Italianità. Der temperamentvolle Mailänder Dirigent animiert die Sächsische Staatskapelle zu Höchstleistungen. Sie spielt zum Nieder-knien schön. So prächtig hat man sie lange nicht gehört. So gut klang italienische Oper in Dresden seit den Zeiten Giuseppe Sinopolis kaum je.
Auch die sängerische Besetzung, die sich von der in Salzburg völlig unterscheidet, ist vorzüglich. Natürlich singt kein Star wie Jonas Kaufmann, der in Salzburg beide Tenorpartien sang. Aber deswegen ist die Aufführung keineswegs unbefriedigender. In Dresden hat man die beiden Tenorpartien aufgeteilt. Den Turridu in "Cavalleria rusticana" singt der junge rumänische Tenor Teodor Ilincai mit enormer Stimmkraft und großer Sinnlichkeit, auch in der Darstellung. Den Canio in den "Pagliacci" hat man dem altbewährten, in die Jahre ge-kommenen Vladimir Galouzine anvertraut, der mit hörbar reiferer, heldenhafterer Stimme seiner Partie die anrührende Tragik eines alten Komödianten zu verleihen weiß. Auch die weibliche Besetzung lässt nichts zu wünschen übrig: Sonia Ganassi , eine der großen italieni-schen Mezzosopranistinnen, die hierzulande viel zu selten auf den Bühnen zu erleben ist, singt eine erschütternde Santuzza. Die Argen-tinierin Veronica Cangemi überrascht als bezaubernde Nedda mit herrlichem, hohen Sopran. Er vereint Leuchtkraft und Koloraturen-geläufigkeit. Aber auch die Interpreten aller übrigen Partien: - Silvio, Alfio, Beppe und Mamma Lucia sind geradezu luxuriös besetzt. Ein Stimmenfest, wie man es nur selten in der Semperoper erlebt und einer der beglückendsten Opernabende seit Jahren im sächsischen "Elbflorenz".
Rezensionen in MDR Figaro und in der Chemnitzer Freie Presse