Musik-Theater & mehr
Barocker Traum bei Fliegeralarm
Theater als "das ergreifende Sinnbild des Lebens" als Traum eines deutschen Theaterdirektors während des Zweiten Weltkriegs
Beeindruckendes "Capriccio" von Richard Strauss am
SÜDTHÜRINGISCHEN STAATSTHEATER MEININGEN
Premiere 16.10.2015
Ab 1690 ist die Existenz der Meininger Hofkapelle belegt. Seit der Gründungszeit der Residenz unter Bernhard I. von Sachsen-Meinigen gehört Musik zum Meininger Hof. Georg Caspar Schünemann und Johann Ludwig Bach gehörten zu den ersten musikalischen Leitern der Mei-ninger Hofkapelle. Der kunstsinnige Georg II. (1866-1914) machte sie über die Landesgrenzen hinaus berühmt, denn er ließ sie wie auch seine Schauspieltruppe durch Europa touren. Das war ein Novum. Die Musikwelt horchte auf. Stardirigent Hans von Bülow war es, der als uner-bittlicher Zuchtmeister dem Orchester zu einer Qualität verhalf, die Johannes Brahms, Richard Strauss, Richard Wagner und Max Reger begeisterte und anzog. Nach dem Tod Herzog Georgs übernahm das Land Thüringen die Kapelle. Durch zwei Diktaturen behauptete das Orchester seinen außergewöhnlichen Rang. Die deutsche Wiedervereinigung bescherte dem Meininger Theater und seiner Hofkapelle ein regelrechtes "Theaterwunder" mit der Erschließung neuer Publikumskreise der umgebenden Länder, aber auch mit gewagten Musiktheaterproduktionen wie etwa Wagners "Ring", den Kirill Petrenko dirigierte, der von Meiningen aus seine Karriere startete.
Mit Festwochen vom 2.10. bis 1.11. 2015 und einer stattlichen Anzahl von Konzerten feierte das Meininger Theater das 325-jährige Jubiläum seiner Hofkapelle, zu denen namhafte Musiker nach Meiningen kamen: Hans Drewanz, Heinz Holliger und das klangart-Ensemble, das Phil-harmonia Quartett Berlin, Stephan Siegenthaler, Kolja Lessing, Rita Kapfhammer, Astrid We-ber und der neue Wagnertenor Andreas Schager, der als „Tristan“ von Meinungen aus seinen Weg machte. Höhepunkt der Feierlichkeiten war eine Neuproduktion des Konversationsstücks für Musik "Capriccio" von Richard Strauss, das in Meiningen noch nie gezeigt wurde.
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Das Libretto entstand zwischen 1934 und 1941 als Gemeinschaftsarbeit mehrerer Autoren: Die ursprüngliche Idee stammt von Stefan Zweig; auf seinen Wunsch fertigte Joseph Gregor meh-rere Entwürfe an. Die weitere Ausführung übernahmen Clemens Krauss und Richard Strauss unter Mitwirkung von Hans Swarowsky. Die Uraufführung fand am 28. Oktober 1942 im Natio-naltheater München statt. Regisseur Anthony Pilavachi hat den Ausspruch der weiblichen Zen-tralfigur, der Gräfin Madelaine, das Theater sei "das ergreifende Sinnbild des Lebens" als Auf-forderung verstanden, die Aufführungssituation des Stücks in seiner Inszenierung zu spiegeln. In einem von Spuren des Kriegs gezeichneten Barocksaal wohnt man dem Auftritt eines Streichsextetts bei, das wegen Fliegeralarms nicht spielen kann. Ohrenbetäubend wird ein Bom-benangriff auf München zum Theatralischen Ereignis. Entwarnung. Das Sextett spielt die "Ou-vertüre" zu Capriccio. Währenddessen steigen die Figuren der Oper aus dem wandgroßen Ba-rockgemälde im Hintergrund in die Vorderbühne. Das "Konversationsstück" beginnt. Eine heiter-elegische Oper über die Entstehung eines Musiktheaterstücks und zugleich eine Oper über die Kunstform Oper mit der zentralen Frage, was den Vorrang habe, Text oder Musik.
Pilavachi inszeniert es souverän und anrührend wie ein lebendes Bild im Stile Watteaus oder Bouchers, als Traum eines deutschen Theaterdirektors (es könnte sich um Richard Strauss handeln) während des Zweiten Weltkriegs. Dass der Souffleur (Stab Meus als Monsieur Taupe) mit Judenstern aus der Versenkung krabbelt, lässt keinen Zweifel daran. Feinsinnig und mit Sympathie für das allzu oft leichtfertig eskapistisch gescholtene Werk entfaltet Pilavachi in hinreißenden Kostümen von Tatjana Ivschina das imaginierte Rokokostück als Weltabschieds-werk des 78-jährigen Strauss, während um ihn herum die Welt in Schutt und Asche versinkt. Wie singt der Dienerchor: "Die ganze Welt ist närrisch, alles spielt Theater". Eine Anspielung an Verdis "tutto nel mondo è burla" in "Falstaff". Sinnigerweise treten die acht Diener als Harlekine, Pierrots und Clowns auftreten. Eine Reverenz an die "Comedia dell' Arte. Wie überhaupt die Inszenierung mit Barocktheater spielt.
Vom Graben aus erwies GMD Philippe Bach mit Klangsinn, Sensibilität und Präzision der so schönheitstrunkenen wie anspielungsreichen, ein Lebenswerk resümierenden, subtilen Partitur von Richard Strauss alle Ehre. Die Meininger Hofkapelle spielte tadellos, ihr warmer Klang war so betörend wie die Stimme von Camila Ribero-Souza, die als Madelaine nach der Mond-scheinmusik zu großer Form auflief. Ein Muster an Gesangskultur der Meininger Bariton Dae-Hee-Shin in der Partie ihres Bruders. Eindrucksvoll auch Rita Kapfhammer als Schauspielerin Clairon. Marián Krejčik sang einen überzeugenden Dichter Olivier, Daniel Szeili hatte als Mu-siker Flamand Höhenprobleme. Ernst Garstenauer ließ sich als indsponiert entschuldigen, war aber trotz hörbarer Erkältung ein beeindruckender Theaterdirektor La Roche. Insgesamt eine der besten Produktionen seit Jahren am schönen Meininger Theater und ein würdiger Höhepunkt der Feierlichkeiten des Jubiläums der Meininger Hofkapelle.
Rezension auch in "Das Orchester"
Fotos: ed
Südthüringisches Staatstheater