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Photos: Monika Rittershaus
"Parsifal" in Frankfurt am Main
Ein Frauen-Emazipationsstück, nicht überzeugend inszeniert von Brigitte Fassbaender
Premiere am 18. Mai 2025 (gesehene Vorstellung)
Mit dem „Parsifal“ hat Wagner die meisten seiner Kritiker und Kollegen musikalisch zum schweigen gebracht und für sich gewonnen. Dennoch ist die Liste der Zweifler an Richard Wagners pseudosakralem "Bühnenweihfestspiel" und der Skeptiker seiner streitbaren weltanschaulichen Botschaft lang. Das Unbehagen am quasi Katholischen, am Sinnenfeindlichen und am messianischen Regenerations-, ja Weltverbesserungsanspruch des Werks gehört seit Friedrich Nietzsches giftig-kluger Polemiken zum Standardrepertoire aller intellektuellen Auseinandersetzungen mit dem Stück. Ganze Bibliotheken sind angefüllt mit Interpretationen und Deutungen des "Parsifal" und seiner apokryphen Schlussformel "Erlösung dem Erlöser". Ob es sich um ein Werk von szenisch chiffriertem, folgenreichen Antisemitismus handelt, oder um den Versuch Wagners, mit einem theatralischen Selbstreinigungsritual der eigenen erotischen Getriebenheit Herr zu werden, sei dahingestellt. Jedenfalls hat das Parsifals Rezept der Erlösung durch Entsagung auch und gerade beim Erotomanen Wagner versagt.
Seine "letzte Karte" nannte Richard Wagner den "Parsifal" mit Blick auf den Rassentheoretiker Arthur Gobineau: “Die Rassen haben ausgespielt.“ Wagner hat sich nicht vereinnahmen lassen von der offiziellen Antisemitismusbewegung, auch von allem Kirchlichen hat er sich distanziert. Die Kirche bezeichnete er als das Grässlichste in der Geschichte. Wie er seiner Gattin Cosima in Bezug auf den „Parsifal“ bekannte: „An den Heiland habe ich blutwenig dabei gedacht.“ Das stimmt zwar nicht ganz, denn er hat zweifellos christliche Symbole und Riten verwendet, allerdings nicht in dem christlich-katholischen Sinne, den Nietzsche ihm unterstellte, sondern im Sinne seiner privaten (eher buddhistisch als christlich angehauchten) Erlösungs- und Regerationsideologie des Bühnenweihfestspiels, dem Thomas Mann zurecht „suggestiven Schwindel“ à la Lourdes bescheinigte.
Insofern hat Regisseurin Brigitte Fassbaender von Anfang an eine falsche Fährte gelegt, indem sie schon beim (unerträglich zerdehnten) Vorspiel zum ersten Aufzug Claude Monets Ansicht der Kathedrale von Rouen auf dem Vorhang zeigte, als ginge es um Kirchliches: Fehlanzeige. Aber auch wenn man diese in verschiedenen Farben schillernden Gemälde nur als“ Schule des Schauens“ verstehen soll: sie verstellt den Blick auf Wagners „Weltabschiedswerk“, das wohl raffinierteste der Werke Wagners.
Schon die Formel „Erlösung dem Erlöser" ist für jeden Interpreten eine Herausforderung. Da muss man als Regisseur Farbe bekennen. Brigitte Fassbaender tut immerhin gut daran, sich nicht aufs Spekulative, Mystische, Katholische einzulassen. Alles Sakrale meidet sie wie der Teufel das Weihwasser. Erlöst wird ihrer Inszenierung ein erstarrter, der Lust verfallener, verwaister Männerbund durch den angekündigten “tumben Toren“, der seinerseits erlöst wird aus seiner Dummheit und Naivität durch Mitleid (mit Amfortas und seinem Leiden), das ihn „welthellsichtig“ werden lässt. Am erlösungsbedürftigsten ist allerdings - ihrer Meinung nach - Kundry, die Verführerin und Verfluchte, die „einem immerwährenden Rollenspiel ausgeliefert“ sei, nämlich der Unterdrückung und Benutzung durch die Männer. Bei ihr ist Kundry eine „ Rebellin und eine gegen die Opferrolle Wütende“. Als Mischung aus Prostituierter und Vagabundin flegelt sie sich immerfort lachend (wie eine Betrunkene) ordinär durch das Stück, bis sie im dritten Akt nur noch „dienen“ will. Dann wird sie Putzfrau, schließlich eine Art Maria Magdalena, die Parsifal die Füße wäscht. Am Ende mutiert sie zur Geliebten des erlösten Gralskönig Amfortas, es ist der Höhepunkt ihres Emanzipationsprozesses, den die Fassbaender zeigen will. Nicht zu vergessen, auch Amfortas wird erlöst von Parsifal, der ihn beerbt, erlöst zum Ende seiner Leiden, in den Tod. Bei Brigitte Fassbaender schmeißt Kundry sich, die bei Wagner „entseelt“ zu Boden sinken soll, Amfortas (den sie einst verführte, was seine nicht heilende Wunde verursachte) an den Hals und die beiden stürmen händchenhaltend von der Bühne. Es ist Ziel- und Endpunkt des weiblichen „Aufbruchs in die Gleichberechtigung“ in unseligen, von antidemokratischen Bestrebungen durchsetzten Zeit,“ den die Regisseurin zeigen will. Wagners Rollenauffassung war gewiss eine andere. Es ist Reine Regisseurswillkür einer durch nichts zu rechtfertigende Missachtung der Partitur und des Librettos, aus Parsifal ein weibliches Emanzipationsstück zu machen. Die Absicht ist edel, aber das hat, mit Verlaub gesagt, mit Wagners Intentionen nichts zu tun. Auch an anderen Stellen des Stücks straft die Regie den Text und die Szenenanweisungen Wagners Lügen. So zum Beispiel tritt Parsifal im ersten Aufzug in Schwanenfederjacke auf, was noch peinlicher ist, als die Schwanenepisode realistisch im Oberammergauer Stil zu zeigen, den die Regisseurin wohl vermeiden wollte. Was sie aber bei der Fußwaschung beispielsweise nicht tut. Gurnemanz tritt übrigens im ersten Akt als Wäsche machender Religionslehrer auf, der seine gar nicht so frommen, herumalbernden Schüler in Gralsgeschichte unterrechtet. Den zweiten Aufzug zeigt sie vor der Tannhäuser- Venusgrotte König Ludwigs II. in Schloss Linderhof, die in der Schlussszene, beim Tod Klingsors, zusammenkracht. Die Blumenmädchen treten als weiße Bräute auf. Ihre konventionellen Bewegungen, ein unablässig eurythmisch anmutendes Wallen und Wogen mit Arm und Bein (Choreografie Katherina Widenhofer) grenzt ans Peinliche. Auch die Verführungsszene zwischen Kundry und Parsifal entbehrt jeglicher Erotik. Der (selbstentmannte) Klingsor darf noch einmal über Kundry hinüberrutschen und muss seinen Speer gar nicht auf Parsifal schleudern, ihm versagt bei dessen Auftreten die Kraft, sein Zauber versiegt (wie seine Männlichkeit bei Kundry).
Bei der ersten Verwandlungsmusik schiebt sich …noch links weg, von rechts schiebt sich ein großbürgerlicher auf die Bühne, eine Art „Konzertsaal“, in dem statt Gralsrittern ein sittsamer Herrengesangsverein in Gehrock Position einnimmt, mit schwarzem Binderund feinem Zwirn gekleidet. Das hat nichts unbehaglich Eucharistisches, wirkt aber fast weihevoller als bei Wagner vorgeschrieben vor dem enthüllten, übergroßen, goldglänzenden Gralskelch, der in einer Felsengrotte dahinter sichtbar wird. Dazwischen unerzogener kindlicher Nachwuchs. Plötzlich werden Kisten voller Brezeln auf Kantinen-Servierwagen hereingefahren zur Freude der „Ritter“, an die sie verteilt werden. Amfortas kommt auf Krücken hereingehumpelt. Titurel darf als “Operetten“-König im Stile Offenbachs (König Bobèche lässt grüßen) auftreten, es darf gelacht werden. Im dritten Aufzug sieht man zunächst die Kulissenwände des zweiten von hinten, ein kleines Rasenstück mit gelben Blumen (im Durchblick Grabkreuze) ersetzt den Karfreitagszauber, der nicht stattfindet, ebenso wenig wie sie 2. Verwandlung (deren Musik zum Besten gehört, was man in dieser Aufführung hört). Sie findet vor herabgelassenem Vorhang statt-. Auch das eine vertane Chance der Inszenierung. Die Zeit dieser Musik wird zum Umbau der Bühne benötigt. Die letzte Szene spielt wieder im Konzertsaal, der allerdings gänzlich zum Felsensaal geworden ist, in dem die inzwischen heruntergekommenen, aufmüpfigen, schwarz-weiß-verschmierten „Gralsritter“ gegen Amfortas opponieren. Der tote Titurel tritt, statt im offenen Sarg nur noch als Ascheurne auf, Parsifal erlöst Amfortas, die „Gralsritter“ und Kundry: Friede, Freude, Eierkuchen. Die „Gralsrittter“ sind voll der Freude, entledigen sich teilweise ihrer Kluft und prosten sich in ausgelassen heiterer Stimmung mit Champagner (oder soll es Sekt sein) zu. Das Parsifal-Schlusstableau als Party. Diese ironische Idee verdeutlicht beispielhaft die Verharmlosung, Veralberung und Verkleinerung des Stücks eines „Schinkens“, wie Fassbaender meint, ins Hier und Heute, da fallen Mineralwasserflaschen, die anstelle frischen, handgeschöpften Quellwassers verwendet werden, gar nicht mehr ins Gewicht. Von anderen Regiegags zu schweigen.
Ich bin kein Verfechter der Werktreue, aber man darf von der Regie erwarten, dass sie das Stück ernst nimmt und konsequent, glaubwürdig und einschichtig auf die Bühne bringt, egal in welcher Optik und Lesart. Ich sah schon viele, zum Teil sehr abstrakte und „moderne“ Umsetzungen des „Parsifal“, aber keine so disparaten. Schon das Bühnenbild von Thomas Leiacker schwankte zwischen abstrakten Flächen (Wänden) und stadttheaterhaftem Realismus.
Die Sängerequipe dieses befremdlichen “Parsifal“, darunter viele Debütanten aus dem Hausensemble, wartete immerhin mit einem sensationellen Gurnemanz auf, mit Andreas Bauer Kanabas, seit 2013/14 gehört er dem Ensemble der Oper Frankfurt an. Der Bass singt stimm- und wortmächtig, mit glasklarer, immer wortverständlicher Diktion und edel dahinströmender, natürlich geführter, balsamisch dunkler Stimme. Er ist ein Idealfall von Gurnemanz und dürfte ab sofort zu einem der führenden Interpreten der Partie weltweit reüssieren. Auch der Titurel von Alfred Reiter (ebenfalls Ensemblemitglied des Hauses) singt einen eindrucksvollen, absolut wortverständlichen König Vater. Eine Autorität aus dem Rollator heraus, wenn er nur nicht so albern gekleidet wäre (Kostüme Johannes Leiacker). Nicholas Brownlee, auch er Ensemblemitglied, leiht dem Schmerzensmann Amfortas seinen hohen Bass und wird seiner Rolle gerecht. Der Bariton Ian MacNeil (auch er gehört zum Ensemble der Oper Frankfurt) tritt als glaubwürdiger Klingsor, allerdings wie ein Zirkusdirektor auf.
Der Parsifal des aus Chicago stammenden Tenors Ian Koziara, der in seiner Partie debütiert, besticht weniger durch Stimmglanz und Gesangskultur als durch Durchhaltvermögen. Seine Stimme ist rauh und alles andere als schön. Er bleibt der Partie neben mancher Wortverständlichkeit, alles jugendlich-heldische, glanzvoll Betörende schuldig und wo ihm die hohen Töne fehlen, rettet er sich ins Falsett. Schließlich Kundry, die rätselhafteste, vielschichtigste der Frauenfiguren Wagners. Mit den Rollendebütantin Jennifer Holloway hat man die Partie einer jener austauschbaren (nicht gerade stimmgewaltigen) amerikanischen Sopranistinnen anvertraut, die zwar die Noten zuverlässig singen können, es aber entschieden an Ausdruck fehlen lassen. An Interpretinnen wie Martha Mödl oder Astrid Varnay und viele andere bemerkenswerten Kundry- Interpretinnen darf man gar nicht denken. Die Holloway hat nichts Dämonisches, nichts Verführerisches, keine Warme und keine interessante Persönlichkeit in ihre Rollengestaltung einfließen lassen, lachen konnte sie allerdings erstaunlich viel und mädchenhaft albern. Zudem war sie in ihren exaltierten Passagen im zweiten Akt (die sie sehr laut nahm) nicht zu verstehen. Eine eher enttäuschende, unterbelichtete Besetzung einer der faszinierendsten Frauengestalten der Oper. Die Chöre der Frankfurter Oper (Gerhard Polifka) sangen tadellos wie immer.
Die musikalische Leitung lag in Händen des jungen Generalmusikdirektors Thomas Guggeis (Jahrgang 1993). Er ist zweifellos einer der begabtesten Dirigenten seiner Generation, ein Vollblutmusiker und ein kluger Mann. Sein letztjähriger „Tannhäuser“ in Frankfurt war ein fulminantes Ereignis. Insofern waren die Erwartungen an seinen „Parsifal“ groß. Doch welche Enttäuschung! Zwar spielte das Frankfurter Opern- und Museumsorchester klangschön und technisch ohne Fehl und Tadel. Doch (der Barenboim-Zögling) Guggeis hat sich bei Wagners Weltabschiedswerk (vielleicht aus zu viel Ehrfurcht) verhoben. Er dirigiert in fast quälender Langsamkeit, um nicht zu sagen "Zeitlupen-Heiligkeit", um mit Wieland Wagner zu spreche), streckenweise auch so leise, dass die Sänger fast im Flüsterton sprachen. Es fehlte vor allem entschieden Kraft und Dramatik, auch an energischem Zugriff. Es war ein über weites Strecken in Watte verpackter „Parsifal“, ein zärtlicher, allzu zärtlicher um nicht zu sagen verzärtelter. Die Kunst des Übergangs schön und gut. Aber die Langatmigkeit seiner Lesart machte die Aufführung langweilig. Sie zog sich hin. Ich empfand den Abend als strapaziös. Schade.
Rezension in "Der Opernfreund"