Weinhaus Frey in Lindau

Fotos: DDS

 

Liebeserklärung an Lindau im Bodensee und Trauer um das verschwundene Weinhaus Frey


 

Lindau im Bodensee ist zauberhaft und schwäbisch. Ein Idyll im „Schwäbischen Meer“, immerhin das größten Binnengewässer Deutschlands, das an die drei Staaten Deutschland, Österreich und Schweiz grenzt.  Die größte Insel im „Lac de Constance“, wie die Franzosen den See nennen, ist Lindau. Apropos Montaigne: Der große Weinfürst, Gourmet und Philosoph hat diesem Lindau in seinem „Tagebuch einer Reise durch Italien, die Schweiz und Deutschland“ ein Denkmal gesetzt, und zwar am 10. Oktober 1850 im Kapitel „Von Baden bis Augsburg“.


Da heißt es: „Denn was die Aufwartung bei Tisch betrifft, machen sie solchen Aufwand an Lebensmitteln und bringen in die Gerichte eine solche Abwechslung an Suppen, Saucen und Salaten, und das alles ist in den guten Gasthäusern mit solchem Wohlgeschmack zubereitet, dass kaum die Küche des französischen Adels damit verglichen werden kann, auch fände man in unseren Schlössern wenige derartig geschmückte Säle. Uns unbekannt waren Quittensuppe, Suppe, in die gebackene Äpfel geschnitten waren, und Krautsalat, ferner dicke Suppen ohne Brot, z.B. von Reis, von denen alle gemeinsam essen, da besonderes Gedeck unbekannt ist. Bemerkenswert ist der Reichtum an guten Fischen, die mit anderem Fleisch in einer Schüssel aufgetragen werden; Forellen sind nicht geschätzt und man isst nur ihren Laich; Wild, Schnepfen und junge Hasen, die ganz anders als wie bei uns, aber mindestens ebenso gut hergerichtet werden, sind reichlich vorhanden. Wir sahen niemals so zarte Fleischspeisen, wie sie dort täglich aufgetragen werden. Mit dem Fleisch werden gekochte Pflaumen, Birnen- und Apfelschnitze gereicht; bald wird der Braten zuerst und die Suppe zuletzt aufgetragen, bald umgekehrt. An Früchten gibt es nur Birnen, Äpfel, die sehr gut sind, und Nüsse, sodann Käse. Zum Fleisch wird ein silbernes oder zinnernes Besteck mit vier Behältern aufgestellt, um verschiedene gestoßene Spezereien aufzunehmen, darunter Kümmel oder etwas Ähnliches, das pikant und scharf schmeckt, und das auf das Brot gestreut wird; zumeist ist das Brot mit Fenchel gebacken. Nach der Mahlzeit werden nochmals volle Glaser und zwei oder drei verschiedene Sachen aufgetragen, die die Verdauung befördern.“


Ein kaum zu überbietendes kulinarisches Kompliment, bei dem man an das verschwundene (wohl endgültig geschlossene) Weinhaus Frey denkt. Es geht zurück auf die alteingesessene Familie Frey, die ursprünglich eine Küferei betrieb und 1878 eine Konzession für die Schankwirtschaft erhalten hatte.

Der Verlust dieser, wie anderer erstklassiger gastronomischer Adressen im heutigen, völlig vom Massen-Tourismus beherrschten (verdorbenen) Lindau ist kaum zu verschmerzen. Ich sage das nicht, weil ich zufällig in dieser malerischen Stadt geboren wurde.

 

Das Weinhaus Frey lag in der Lindauer Haupteinkaufsstraße in zwei historischen Gebäuden (Maximilianstrasse 15 und 17)  im ersten Stockwerk. Der Eingangsbereich auf Straßenniveau war jedoch so vielversprechend, dass man gern die Himmels-Treppe hinaufstieg, selbst wenn es schwerfiel.  Das Lokal war ein authentisches Stück Bayern, selbst wenn aus Sicht des Bayern der Bodensee am Rande liegt und das Schwäbische ohnehin irritiert. 


Auf der kleinen Insel gibt es viel Historisches zu sehen: den Hafen mit Leuchtturm und Löwen, das prächtige Alte Rathaus, die Maximilianstraße mit Bürger- und Handwerker-Häusern aus dem 16. und 17. Jahrhundert.


Das traditionsreiche Restaurant mit Holzdiele, Kachelofen, Wandvertäfelung und Glas-Malereien (das Mobiliar aus dem 19. Jahrhundert war noch original erhalten) war eines der ältesten Weinstuben Deutschlands, die Allgäuer und Lindauer Spezialitäten auf den Tisch bringt. Anfang ses 20. Jahrthunderts galt sie als eine der besten. Rinderbrühe mit Flädle etwa oder geräucherte Felchenfilets, "Kässpätzle" mit Bauernspeck oder Apfelmus, frische Blattsalate oder Tafelspitz mit Meerrettich-Sauce. Das Frey war eine (inzwischen seltene) Hochburg der regionalen, der traditionellen deutschen Küche. Wie der Name schon sagt, war die Lokalität ein rechter Bacchusaltar, ein Hort der Weine, speziell der Bodenseeweine. Sie haben jahrhundertelange Tradition. Immer schon wurden am an den Ufern des meteorologisch verwöhnen Sees Reben gezogen und gekeltert. Viele Jahre bescheinigte man dem Seewein, sauer zu sein. Doch diese Zeiten sind gottlob lange vorbei. Die junge (besser ausgebildete) Winzergeneration hat den Weinanbau (zu Ungunsten des Obstes, das noch meine Kindheitserinnerungen vergoldet) ausgeweitet und macht wesentlich bessere Weine als ihre Altvorderen. Auch haben sie alte Rebsorten wiederentdeckt, machen herrliche „gemischte Sätze“, Cuvées also, die begeistern. Qualitätsverrückte Winzer aus der Weinregion Bodensee versuchen sich mittlerweile darin zu übertreffen, wer von ihnen den besten Wein macht.


Bei meinem letzten Lindau-Besuch entdeckte ich einen solch verblüffenden Wein,  eine süffige „Lindauer Spitalhalde.“ An ihr hätte ich mich ganz und gar der „Beseligung des Trunkes“ (wie Hans Barth in seiner konkurrenzlosen Kulturgeschichte der Osteria schrieb) hingeben mögen. Schließlich ist der Wein der “Erlöser der Menschheit von ihren Sorgen“ wie schon Goethe meinte. Er musste es wissen, ließ er sich doch kistenweise edelsten Rebensaft liefern, nicht selten ohne ihn jemals zu bezahlen. Auch er war in mancher Hinsicht ein Filou „im Weinberg des Herrn“.