Bissegger Kochbuch


Ein hinreißendes Kochbuch jenseits des Mainstreams


Meret Bissegger: Meine Küche im Frühling und Sommer

Gemüse, Kräuter, Blüten und Wildpflanzen.

at Verlag, ISBN 978-3-03902-053-9 415 S.


Nach ihren Publikationen „Meine wilde Pflanzenküche“ und „Meine Gemüseküche für Hebst und Winter“ hat sie nun Ihr drittes Koch- und Küchen-Buch veröffentlicht, man hat darauf gewartet. Und wieder ist es eine Offenbarung für jeden leidenschaftlichen, anspruchsvollen wie neugierigen Koch, Gourmet oder einfach nur an Kulinarischem Interessierten.


Gemeinsam mit dem außerordentlichen Food-Fotografen Hans-Peter Siffert, der wiederum sinnliche, suggestive wie animierende Fotografien von Biologie, Topf, Teller  und Pfanne beisteuerte, ist der großen und großartigen Bissiger wieder ein „Kochbuch“ zu verdanken, das jenseits des Mainstreams für die meisten Leser wohl eine neue, faszinierende, eben ihre kulinarische Weltsicht (Esskultur) mit Anleitung zur Nachahmung präsentiert.


Es gibt unendlich viele Koch- und Küchenbücher. Die meisten sind aber austauschbar, wenig phantasievoll, oft banal, weil ohne besondere Affinität zu Aromen, Gewürzen, Düften und Farben (das Auge isst mit), Konsistenzen und Geschmacksnuancen. Sie bieten das immer gleiche Repertoire an Zutaten wie Speisen, sind schlecht, weil ungenau, schlampig gemacht in optischer Präsentation wie schriftlichen Rezepturen (Mengenangaben, Zubereitungsweisen etc.). Die meisten Kochbücher sind eigentlich verzichtbar, ihres nicht!


Ihr Credo: „Kochen macht Spaß und kann eine erholsame, kreative, sogar meditative Tätigkeit sein.“ Den Satz sollten sich so manche Köche, professionelle (in Spitzengastronomie wie Kantinen) wie häuslich dilettierende hinters Ohr schreiben. Meret Bissiger wartet mit vielen schon beim Lesen vielversprechenden, Koch-Ideen und Tips auf, liefert aber auch Basics zur Küchenpraxis und Hintergrundwissen über Anbau und Landwirtschaft sowie Nachhaltigkeit des Gemüseanbaus.


Das Buch ist (wie schon das über Gemüseküche in Herbst und Winter) ein Bekenntnis zu saisonalem Gemüse, was dem EU-genormtem natürlich zuwiderläuft. Wir bekommen doch inzwischen das ganze Jahr über in den Supermärkten Frühlings- und Sommergemüse aus Südamerika, den Niederlanden, Spanien, Italien, Israel, Ägypten und weiß der liebe Gott woher.  . Globalisierung bestimmt längst auch das Lebensmittelangebot. Was bedauerlich ist, dass man in den Städten eher selten die wenig bekannten Produkte, die die Autorin so schätzt und dem Leser schmackhaft macht, bekommen kann.


Sie porträtiert über 50 Frühlings- und Sommergemüsesorten und gibt Ratschläge zu deren Verarbeitung und Lagerung. 163 Rezepte, meist vegetarische, oft auch vegane, können Anfänger wie Fortgeschrittene inspirieren.  Von den ersten südlichen Frühlingsboten wie Favebohnen und Stängelkohl über einheimische Mairüben bis zu den Sommerklassikern Auberginen Kartoffeln, Rhabarber, Sauerampfer, Fenchel, Artischocke, Radieschen und Kohlraben, Spinat und Tomaten sowie weniger bekanntem Gemüse wie Mönchsbart, Okra oder Papacelle ist alles dabei. Aromatische Kräuter, diverse Salate, essbare Blüten oder Wildpflanzen. Auch exotische Zutaten fehlen nicht in ihren Rezepten.

 

Die Bissegger bekennt sich Slow Food, zur „Arche des Geschmacks“, rät zu Neugier auf den regionalen Märkten, in Geschäften mit fremdländischen Spezialitäten, Bioläden und möglichst zu frischen Produkten ohne Zusätze. Sie empfiehlt Produzenten aus Süditalien, aus dem Tessin (ihrer Wohn- und Wirkungsstätte), und aus der Deutschschweiz. Sie stellt Modelle solidarischer Landwirtschaft wie „Solawi“ oder „Les Jardins de Cocagne“ vor, plädiert gemeinsam mit Lukas Inderfurth, dem Kommunikationsleiter „Bio Suisse“ für Bio-Richtlinien des Anbaus im Gewächshaus. Der Botaniker Giovanni Salerno regt an zu „Biodiversität auf dem Teller“.


Das Buch hat einen hohen Anspruch, „auf dem Weg zum bewussten Erdenbürger“, vor allem plädiert es zu einer besseren als der gängigen Gemüseküche. Ein Plädoyer auch für „Food Waste“ (worüber Claudio Beretta, der Präsident des Vereins, schreibt). Seit vielen Jahren ist die Autorin in der Slow Food Bewegung im Tessin engagiert und schweizweit als Archekommissionsmitglied. Ihr Herzblut schlägt für das Thema Produzenten, darum ist sie eng mit „Bioticino“, ConProBio und anderen regionalen Organisationen und Gruppen im Tessin vernetzt.


Einige Jahre war Meret Bissiger Gastgeberin und Köchin (Wirtin) in der Buvette des Teatro Dimitri ,1990 eröffnete sie mit dem Ponte dei Cavalli ihr eigenes Restaurant, das sie elf Jahre führte. Mittlerweile kocht sie „nur“ noch in ihrer „Casa merogusta“ im Bleniotal bei Malvaglia in der Schweiz (Kanton Tessin). Das ist ihr Wohnhaus, wo sie regelmäßig Gäste bekocht, Tavolate und Catering anbietet, auch Kochkurse, Kräuterwanderungen und Bed & Breakfast. Die „Casa merogusta“ ist ein kulinarisches Refugium der außergewöhnlichen Art, eine Schlemmer-Insel jenseits des Mainstreams und alles andere als ein Restaurant. Natürlich kann sie (so verortet) auf Gemüse und Wildkräuter zurückgreifen wie an nur an wenigen Orten. Als Stadtmensch hat man derlei Privileg leider nicht.


Ein Glossar, weiterführende Links und ein nützliches Register mit eingearbeiteten, fett hervorgehobenen Rezepten erweisen dem Leser nützliche Dienste.

Ob Alpschwein-Eintopf mit Rhabarber, Artischocken-Risotto, Amarant-Kichererbsen-Kroketten, Fenchel-Sauerampfer-Salat, Gurken mit Johannisbeeren und Ingwer, frittierte Lampascioni und Petersilienwurzeln,  Pasta mit  Luftzwiebeln und Kichererbsen, violetter Rettich mit Verjus und Weinbergpfirsich, Zander mit Fenchel und Ocablätter-Gemüse, Zucchetti-Steinpilz-Carpaccio, Zuckerrüben-Variationen, Tagliatelle mit Auberginen und Pfifferlingen, Spinatsalat mit rohen Champignons und knolligem Sauerklee, Salat von rohem weißem Spargel mit Orangen oder Mairüben mit Rote-Zwiebel-Vinaigrette,  alles kann nachgekocht werden, um nur ein paar Gerichte zu erwähnen. Die Rezepte sind zuverlässig und von der erfahrenen Köchin Bissiger praktisch durchdacht.


Eine ihrer Lieblingszubereitungsarten nennt sie „à la grècques“, es ist das Braten von Gemüse (abzulöschen mit Wein), das sonst in Wasser gegart  und eben dadurch oft verkocht wird.


Dieses Buch ist weit mehr als „nur“ ein Kochbuch, das ist es auch, es ist aber vor allem ein sinnliches Bekenntnis zur „Cucina naturale“, ein Nachschlagewerk zu Warenkunde und Küchenpraxis und es macht Lust aufs kreative Kochen, Entdecken und Experimentieren.  Ein phantasievoll sinnliches, lehrreiches und anregendes Buch, das man nur wärmstens empfehlen kann. Es eröffnet der Küche und dem Kochen neue Horizonte.