Th. Bernhard und die Musik

Trost im „allgemeinen Weltstumpfsinn“ und „Überlebenzweck“.

Thomas Bernhard und die Musik    

    

Er würde heute (9.02.2021) 90 Jahre alt: der österreichische Schriftsteller Thomas Bernhard, der eigentlich Musiker werden wollte. Der als österreichische Nestbeschmutzer geltende Schriftsteller ist im In- und Ausland einer der bekanntesten deutschsprachigen Autoren. Seine Werke (die in unzähligen Übersetzungen und mit großen Auflagen in aller Welt verbreitet sind) handeln von Melancholie, dumpfer Verzweiflung und existentiellem Schmerz. In den meisten Stücken Bernhards geht es um Machtmenschen, Künstler und das Versagen der philosophischen Weltgebäude. Bernhard schreibt Krankheitsgeschichten über Psychopathen, Verbrecher, Selbstmörder und Sterbende, weil er zeigen will, dass die menschliche Existenz an das Leiden gebunden ist. Im Mittelpunkt seiner Stücke, Romane und Erzählungen stehen auch oft verbitterte Künstler, die aufgrund ihres Leidens an der Welt die Fähigkeit verloren haben Kunstwerke zu schaffen. Auch Musiker sind darunter, erstaunlich viele sogar. Grund dürfte sein, dass die Musik eine der lebenslangen Obsessionen des Autors war. Sein Werk ist der Versuch, seine (im Leben erfolglose) Musikobsession theatralisch in den Griff zu kompensieren.

 

Er reichte bis in seine Sprache, bis in seinen Stil. Schon seine Texte sind gewissermaßen musikalisch, sind rhythmisch, fugenartig, ja opernhaft in Machart und Wirkung. Viele seiner Protagonisten befassen sich mit Musik. Entweder hören sie ihren Lieblingsdirigenten zu, etwa Fritz Busch oder Carl Schuricht, sie sind „beinahe jeden Tag im Konzert oder in der Oper“, oder sie schreiben musikwissenschaftliche Texte. In der autobiografischen Erzählung „Die Kälte“ bekannte Bernhard: „Musik war meine Bestimmung.“ Die Leidenschaft für die Musik sei sein “Lebenskomplex”. Tatsächlich war die Musik “für seine psychische und für seine physische Gesundheit von größter Wichtigkeit,” so betont Liesbeth Bloemsaat-Voerknecht, die Autorin eines gewichtigen Buches über „Thomas Bernhard und die Musik”.

 

Bernhards Privatleben war Steilvorlage, Anlass und Motor der Musikbesessenheit der Figuren seines Theaters. Mitte der Fünfzigerjahre studierte Thomas Bernhard am Salzburger Mozarteum Schauspiel, aber auch Gesang und Musik. Er dachte durchaus an eine Sängerlaufbahn. Als Reflex dessen kann man die fiktive Autobiographie eines Sängers in der Erzählung „Der Keller“ auffassen. Mit seiner Stimme nahm Thomas Bernhard als Chorsänger sogar an Festspielaufführungen teil, mehrere Male auch an Vorsingen. Einmal am Salzburger Landestheater. Er sang dem berühmten Dirigenten Josef Krips vor. Doch der riet ihm, besser Fleischhauer als Sänger zu werden. Thomas Bernhard wurde schließlich Schriftsteller. Im Juni 1957 bestand Thomas Bernhard, der schon 1951 an der Wiener Hochschule Gesang studierte, allerdings die Bühnenreifeprüfung des Mozarteums und erhielt die Reifung zur Regieführung. Er begann zu schreiben. Die Hoffnung auf eine Sängerlaufbahn hatte er aufgegeben, aber die Musik blieb sein „Lieblingsthema“, wie man in „Korrektur“ liest. Da heißt es „die Musik interessierte mich erst, … als ich sie nicht mehr ausüben musste, durch Freiwilligkeit war ich dann zeitweise, ja jahrelang völlig in der Musik aufgegangen.“ Nicht zufällig steht in jedem seiner Häuser ein Plattenspieler. Thomas Bernhards Plattenschränke sind Thema eigener Publikationen.

 

Mit Kapellmeister Rudolf Brändle debattierte er schon während seiner jugendlichen Sanatoriumszeit über Bachsche Fugen die Zauberflöte (seine Lieblingsoper), Orpheus und Eurydike, Richard Wagner und Debussy. Mit einer Organistin musizierte er als Sänger heimlich Bach, Händel, Purcell und Haydn. Musik half dem Schwerkranken, zu genesen. Der Komponist Georg Lampersberg war einer seiner wichtigsten Gesprächspartner.  Mit Paul Wittgenstein, dem er “Opernfanatismus” nachsagte, zelebrierte er “wortlose Musikabende”. Man könnte die Reihe der lebensgeschichtlich bedeutsamen Musikbezüge fortsetzen.

 

Auch die Musikstadt Wien spielt in Bernhards Werk eine zentrale Rolle. In seinem Theater wimmelt es nur so von Musikern (Bühnenfiguren), die die österreichische Musikmetropole lieben oder hassen. In „Der Ignorant und der Wahnsinnige“ werden Gesangspädagogen „Scharlatane“ genannt, in den Opernhäusern herrsche purer „Dilettantismus“, die „heutigen österreichischen Komponisten“ seien „nur kleinbürgerliche Ton-Idiotisten“ wie es in „Alte Meister“ heißt.

 

Es gibt in Bernhards Bühnenpersonal Musikprofis, Musikwissenschaftler, Amateurmusiker und Musikrezipienten. Diese geben zumeist an, ohne Musik nicht leben zu können, durch sie Licht, Wärme, Ruhe und Geborgenheit zu finden. “Damit ist die Musik einer von den wenigen geborgenen Orten, an denen sich die Bernhardschen Protagonisten flüchten und sich wohlfühlen können” (Lisbeth Bloemsaat-Voerknecht). Auch Barnhards Musikwissenschaftler können ohne Musik nicht leben. Die Amateurmusiker werden als Kauzig-knorzige, schrullige Dilettanten gezeigt, die sich an hoher Kunst vergreifen.  Die Musikprofis, ob Sänger, Cellisten oder Pianisten (bis auf Glenn Gould, der mit seinem Steinway verschmelzen möchte) sind zumeist “überstrapazierte Kreaturen”, sie lieben ihr Instrument nicht sonderlich, sind weit entfernt von künstlerischem Idealismus und empfinden Publikum und Kollegen meist als Bedrohung, gar als „ekelerregend.” Der Eindruck drängt sich auf, Thomas Bernhard, der im Leben verhinderte Musiker, habe sich mit seinem theatralischen Musikerpanoptikum vor Augen führen wollen, was ihm womöglich erspart geblieben sei.

 

Um ein paar konkrete Beispiele zu nennen: In der Komödie „Die Macht der Gewohnheit“ hat sich ein Zirkusdirektor in die Idee verbissen, mit seinem Zirkusvolk das Forellenquintett von Franz Schubert aufzuführen. Doch die Zirkusleute wissen eine Aufführung immer wieder auf groteske, ja absurde Weise zu verhindern.

 

In dem Stück „Der Ignorant und der Wahnsinnige“ steht eine Primadonna mit ihrem blinden Vater, der Garderobiere und ihrem Arzt im Mittelpunkt eines Opernabends, der als Symbol einer Welt der Auflösung, der Sinnlosigkeit und der Anarchie gezeigt wird. Auch in dem Kurzdrama „Frühling“ erlebt man eine Sängerin auf dem Sterbebett im Gespräch mit dem Arzt. Im Roman „Der Untergeher“ geht es hingegen um drei Pianisten, Glenn Gould, Wertheimer und den Erzähler. Einer der Pianisten bringt sich nach jahrelanger Erfolglosigkeit um.

 

Aber schon in der frühen autobiographischen Erzählung „Die Kälte“ bekennt der Ich-Erzähler angesichts der Erfahrung von Krankheit und Tod, er sei nicht nur „ein musikalischer Mensch“, sondern geradezu ein „Musiknarr“ geworden. Auch noch in der späten Erzählung „Alte Meister“ spricht ein alter Musikgelehrter, Reger, unentwegt über Musik; über Brahms und Bach, Schubert, Wagner und Mozart, über Musikkenner und Musikverhunzer, vor allem aber über Musik als tröstenden „Überlebenzweck“.

 

Musiker, Sänger, Komponisten, ja die Musik an sich durchzieht das gesamte Werk Thomas Bernhards, so wie seine Sprache selbst schon musikalisch geprägt ist, sie ist gewissermaßen seriell. Was nicht von ungefähr kommt: Ende der Fünfzigerjahre war Thomas Bernhard mit dem Komponisten Gerhard Lampersberg befreundet, der seriell, also atonal komponierte. Bernhard schrieb für ihn die Libretti für dessen Ballett „Die Rosen der Einöde“ und die Kammeroper „Die Köpfe“. Das erzählerische Echo dieser Musikerfreundschaft findet sich in der Erzählung „Holzfällen“.

 

So sehr Thomas Bernhard in seinen Stücken und Erzählungen immer wieder die Musik als Trost im „allgemeinen Weltstumpfsinn“ empfindet, um eines seiner Lieblingswörter zu benutzen: Musik ist für ihn einerseits „Lebenstraining“, wie er in „Die Kälte“ schreibt, aber auch die Musik bietet keine Rettung vor dem Abgrund des Todes.  In den „Alten Meistern“ – sagt Thoma Bernhards Alter Ego Reger, dessen Frau gestorben ist: „Immer habe ich geglaubt, die Musik ist es, die mir alles bedeutet, …aber alles das ist nichts gegen einen einzigen geliebten Menschen“. Vielleicht bringt diese trostlose Einsicht in die Relativität der Musik Thomas Bernhards enges Verhältnis zu ihr am deutlichsten auf den Punkt.

 

 

Verschiedene Beitäge u.a. in MDR, Freie Presse