Tannhäuser in Frankfurt

Foto © Barbara Aumüller



"Tannhäuser" als schwules Künstlerdrama - Eine musikalische Sternstunde in Frankfurt



Mit dem „Tannhäuser“ hat Richard Wagner zu ersten Mal den Konflikt eines Außenseiters (Künstlers) mit der Gesellschaft seiner Zeit auf die Bühne gebracht. Die Oper ist ein hybrides Werk“ (Thomas Guggeis), das musikalisch Traditionelles wie Neuartiges, Magisches, aber auch Disparates auszeichnet, eine Reverenz an die Form der romantischen Oper und doch schon auf dem Weg zum Musikdrama als „symphonischer Oper“   (Egon Voss).


Mit keinem anderen Werk hat Wagner so gerungen wie mit dem „Tannhäuser“, in dem sein Lebensthema, der Kontrast zwischen Eros und Agape, sinnlicher wie geistiger Liebe zum ersten Mal und paradigmatisch thematisiert wird.


Es existieren nicht weniger als vier Fassungen, die Dresdner Urfassung (1845), die er für Paris (auf Französisch 1861) überabeitete, für München (1867) wurde eine neue rückübersetzte deutschsprachige Fassung erstellt und schließlich für Wien (1875) eine Fassung letzter Hand, die allerdings erst 2003 komplett als Partitur der neuem Wagner-Gesamt-Ausgabe veröffentlicht wurde. Es ist die Version mit der größten (von Wagner überhaupt vorgeschriebenen) Orchesterbesetzung von 145 Musikern. Und doch war er auch mit dieser Fassung, die er als musterhaft verstand) nicht zufrieden. „Ich bin der Welt noch einen Tannhäuser schuldig“, habe Wagner am 23. Januar 1883, also wenige Wochen vor seinem Tod, seiner Frau Cosima gestanden, so überliefert es ihr Tagebuch.


Die Wiener Fassung hat nun der neue GMD der Oper Frankfurt, der erst 31-jährige Thomas Guggeis, eindrucksvoll einstudiert und dirigiert. Er hat das Orchester der Frankfurter Opern- und Museumskonzerte zu einer nicht nur präzisen und klangopulenten, sondern auch rauschhaften wie sensiblen, bis in die feinziselierten Nebenstimmen transparenten Interpretation animiert. Guggeis lässt es an rhythmischer Energie, Kraft und tiefem Verständnis des Werks sowie profunder Beherrschung des Metiers nicht mangeln. Die Frankfurter Aufführung ist musikalisch, aber auch sängerisch sensationell, da man ein rundum erstklassiges Ensemble zusammengestellt hat.


Sängerin des Abends ist die international gefeierte Sopranistin Christina Nilsson, die eine lupenrein intonierende, trompetenhaft unangestrengte, warm strahlende Elisabeth gibt. Die Venus von Dshamilja Kaiser wartet mit betörendem Mezzosopran auf. Der weltweit gefragte Tenor Marco Jentzsch meistert die schwierige Titelpartie mit schlanker, gut fokussierter, schöner Stimme, sowohl lyrisch, als auch dramatisch gestaltend. Seine Romerzählung ist überwältigend.


Zu Recht gefeiert vom Premierenpublikum wurde auch der fulminante, nobel gestaltende Bass Andreas Bauer Kanabas als Landgraf von Thüringen. Auch auf den jungen, aufstrebenden Tenor Magnus Dietrich, auch er Ensemblemitglied, kann die Frankfurter Oper stolz sein. Er singt einen strahlend klaren Walther von der Vogelweide, der in dieser Fassung sein ansonsten kaum je zu hörendes Lied vortragen darf.


Geradezu ein Paradebeispiel an Klangschönheit und Gesangskultur ist der ebenfalls hauseigene Bariton Domen Križaj. Aber auch der Rest der Sängerequipe ist vorzüglich. Einhelligen Jubel erntet auch der scheidenden Chordirektor Tilman Michael, an die New Yorker Metropolitan Opera wechselt. Er lässt den Chor und Extrachor der Frankfurter Oper zu eindrucksvoll bewegender, großer Form auflaufen.


Die Inszenierung von Matthew Wild ist dagegen befremdlich, aber konsequent und einleuchtend durchgeführt. Aus Tannhäuser macht der Regisseur einen deutschen Schriftsteller (Heinrich von Ofterdingen), der vor den Nazis in die USA flüchten muss. Dort schreibt er einen berühmten Roman („Montsalvat“) und gewinnt den Pulitzer-Preis. Durch Sex, Alkohol und Drogen enthemmt, bekennt er sich zu seiner Homosexualität (Thomas Manns „Tod in Venedig“ lässt grüßen) und schockt damit die prüde Wartburggesellschaft, die Wild in die katholische Maris Stella University in Kalifornien umfunktioniert. (Raphaela Rose steckt die handelnden Figuren in 60er Jahre-Kostüme). Elisabeth ist Tannhäusers größter Fan und sucht nach Tannhäusers Tod (sie selbst stirbt entgegen Wagner Anweisung nicht!) Notizen seines neuen Romans und schreibt anschließend ein eigenes Werk zu seinem Andenken.


So fragwürdig diese Konzeption, so faszinierend ist ihre szenische Umsetzung zwischen Universitätshörsaal (dreifachem) Hotelzimmer und drehbarer Rotunde. Psychedelische Projektionen, Papst- und Zeitungstext-Videos, grellrote Kleriker und ein Pandämonium mythologischer Gestalten (Amor, Bacchus und Jupiter als Adler, der Hl. Sebastian, Ganymed und Satyrn, ein schwarzer Bock, Botticellis Venus als Mann) sowie Statisten-Doubles der beiden Hauptpartien machen den suggestiven Reiz dieser psychologisch ausholenden, virtuos theatralischen, anspielungsreichen Produktion aus, die zumindest musikalisch als Sternstunde bezeichnet werden darf.


Rezension auch in "Oper & Tanz"