Venedig und die Oper

VENEDIG  IST  OPER


Willem Bruls: Venedig und die Oper

Auf den Spuren von Vivaldi, Verdi und Wagner

Henschel Verlag 263 S., 20 Euro


„Das natursteinerne Filigran der gotischen Paläste erscheint wie ein Echo der spätmittelalterlichen Polyphonie der Basilica di San Marco, des Markusdoms. Die Renaissance- und Barockfassaden – die nach Ansicht von John Ruskin den mittelalterlichen Rhythmus in brutaler Weise durchbrachen – entsprechen den klaren Linien der Kompositionen Claudio Monteverdis und dem religiösen Ernst Benedetto Marcellos, wohingegen die flatterhaften Stuckinterieurs des 18. Jahrhunderts den mäandernden Melodien Antonio Vivaldis zu folgen scheinen,“ so liest man in dem neuen Buch von Willem Bruns.

Zurecht zitiert der Operndramaturg schon am Beginn seines Buche Goethe, der in seiner Italienischen Reise sagte: „Architektur ist gefrorene Musik“. Dieser Gedanke veranlasste Friedrich Nietzsche in „Ecce homo“ zu der Bemerkung „Wenn ich ein andres Wort für Musik suche, so finde ich immer nur das Wort Venedig.“ Die Architektur der Serenissima ist Musik und bezeugt tatsächlich Musikgeschichte.


Bruls konzentriert sich in seinem von Bärbel Jänicke übersetzten Buch, das 2018 erstmals in Amsterdam erschien, auf die Oper in Venedig, „die um 1600 begann und um 1800 endete“. Monteverdi hatte mit seinem Orfeo die Oper in Mantua erfunden. Doch erst während seiner venezianischen Jahre führte er das Genre zur Reife mit seinen Opern „Il ritorno d’Ulisse in patria“ und „L’incoronazione di Poppea“. „Diese Werke gaben dem, was die Oper eigentlich werden sollte, definitiv die Richtung. Nirgendwo anders als in Venedig hätte sich das ereignen können.

In 20 Kapiteln beschreibt Bruls ein opernhistorisches Panorama der Serenissima, das bei Monteverdi beginnt und „Ende des 18. Jahrhunderts mit den Napoleonischen Kriegen“ endet. Bruls behauptet: „Venedig hörte auf, als autonomer Stadtstaat und damit als erotisches Asyl und sinnliche Freistatt zu existieren. Danach folge „langsames Dahinsiechen.“

Er meinet die intensive Produktion und Uraufführung neuer Opern an immerhin mehr al einem halben Dutzend Opernhäuser. Bruls ignoriert keineswegs das nicht eben arm Opernleben der Stadt im 19. und 20. Jahrhundert mit seinen vielen bedeutenden Produktionen und Uraufführungen im Teatro La Fenice. Man denke nur an Rossini, Bellini, Donizetti, Marcadante, Strawinsky, Ermanno Wolf-Ferrari und nicht zuletzt an die erste italienische Aufführung von Wagners „Ring“, aber auch an Luigi Nono und Bruno Maderna, um nur einige Komponisten zu nennen. In seinen Spaziergängen durch vier Jahrhunderte Operngeschichte nimmt der Autor den Leser mit an jene Orte, an „denen Komponisten wohnten und arbeiteten, an denen sich Theater befanden und noch befinden, an denen wichtige Akteure der Musikkultur inspiriert wurden.“


Monteverdi, Händel und Vivaldi stehen im Mittelpunkt der venezianischen Operngeschichte der Stadt. Doch der Autor blickt über den Tellerrand. Rossini, Verdi und Wagner werden als Beispiele einer magischen Kultur des Untergangs berücksichtigt. Luigi Nono wird im Zusammenhang mit der „Stille der Stadt“ gewürdigt.  „Zügellosigkeit und Glücksspiel im Ridotto“ (Spielkasino) macht er an Casanova und Mozart fest.  Abschweifende Betrachtungen über die Caféhäuser Venedigs, legendäre Hotels wie des „Danieli“ an der Riva die Schiavoni oder des „Des Bains“ auf dem Lido (das nicht zuletzt Thomas Mann mit seinem „Tod in Venedig“ verewigte), runden das Panorama zwischen Geburt (der Oper) und Sterben (Richard Wagners) ab.  In Venedig spielte sich nicht nur viel Operngeschichte ab, ganz „Venedig ist Oper“. Diesem Gesamtkunstwerk hat Bruls mit seinem reich bebilderten Buch ein Denkmal gesetzt. Ein Stadtplan mit den markierten, erwähnten Orten ist beigefügt. Ein nützliches Personenregister, Quellenangaben und Vorschläge von Spaziergängen nach Kapiteln geordnet, geben dem animierenden Buch auch praktischen Wert.


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