Turandot Dörrie

Photo: Staatsoper Unter den Linden


Rezension in MDR-Kultur + RBB (Radio 3) am 28.09./29.09. 2003


Teddybär, Mangas (Mädchen-Comics) & Schlabberhose


(Eine unschöne Erinnerung)


Turandot (Giacomo Puccini)                                             

Staatsoper Berlin, 27.09.2003

R: Doris Dörrie, ML: Kent Nagano


 

Filmregisseure als Retter der Oper für die Gegenwart. Das scheint momentan für Viele die Losung im Musiktheater. Auch die Filmemacherin Doris Dörrie – die nach eigenem Bekunden von Oper an sich nichts versteht -  begreift sich so, nachdem sie in der vergangenen Saison an der Berliner Lindenoper mit Mozarts "Cosi fan tutte" ihren Einstand als Opernregisseurin gab und auf einen Schlag einen gewaltigen Publikumserfolg erzielte. Nun hat sie am selben Haus Puccinis letzte Oper, die unvollendete "Turandot" herausgebracht.   


Wer glaubt, Puccinis fragmentarisches Alterswerk sei schwierig, kompliziert, diffizil in Personen-Psychologie, Dramaturgie und intendierter Botschaft – und ganze Bibliotheken an Puccini-Literatur behaupten das -  der sieht sich in Doris Dörries neuster Operninszenierung, es ist erst ihre zweite überhaupt, eines Besseren belehrt. Mit der Naivität und Unkenntnis einer dem Zeitgeist sich ausliefernden, ja sich anbiedernden und geradezu schamlos sich zu Opernunkenntnis, ja Musiktheaterfremdheit bekennenden Edelfeministin hat Doris Dörrie an der Berliner Lindenoper demonstriert, dass man "Turandot" auch ohne alles Wissen um Werk und Komponist, um Aufführungstraditionen und Opernregiehandwerk zum Plaisir der von weit angereisten VIPs und des sensationslüsternen Berliner Opernpublikums als Event verkaufen und feiern lassen kann.


Doris Dörrie setzt nicht nur auf ihr eigenes, in vielen Interviews vorab kokett eingestandenes Desinteresse an den tieferen Dimensionen und Strukturen dieser Oper, sondern auch auf die vermeintliche Dummheit (!) des Publikums, wenn sie – wie jetzt in Berlin – Turandot in der Ästhetik japanischer Mangas, also populärer, anspruchloser Mädchen-Comics, auf die Bühne bringt, grell bunt, quitschend synthetisch und oberflächlich, dass es nur so kracht im Gebälk des Stücks.


Martialische, erotische und gefühlig kitschige Comic-Zeichnungen sind zu sehen, Plastikpuppen-Kostüme im Science-Fiction-Format und allerhand grotesk unrealistische Phantasiegestalten, Powergirls auf rosa Motorrollern und Drachen-Hampelmänner bevölkern die Bühne. Turandots erste Auftritte finden im Display eines überdimensionalen Handys statt, erst wenn sie die drei Rätsel an Calaf richtet, darf sie persönlich die Bühne betreten. Sie haust in einem überdimensionalen Teddybären, aus dem sich eine Gangway ausklappen läßt, darin ein plüschiges Kitschboudoir. Sie ist weder femme fatale noch starke Frau, stattdesen eine dusselige mädchenhafte, hysterische Fantasiebraut in asiatischen Fetzen, unentwegt Judo-Bewegungen andeutend und mit einem Samurai-Schwert herumfuchtelnd. Sylvie Valayre leiht ihr ihre angestrengte, nicht eben betörende Stimme. 


Turandot als frustriertes, verletztes Prinzesschen, das sich von der Welt abschottet in seiner Plüsch gewordenen Introvertiertheit, das sich an der Welt rächt, bis es von einem Prinzen erlöst wird. Ja, so funktionieren alle diese japanischen Mädchencomics, die Doris Dörrie offenbar so liebt, und deren Botschaft sie mit eingestandenem autobiographischem Bezug, immer wieder in ihren Filmen variiert, und nun eben auch in Puccinis "Turandot". Dass es in der Oper aber um mehr geht als nur die immer gleiche Rache der Frau am Mann, das zeigt Doris Dörrie nicht. Stattdessen darf Prinz Calaf gleich als Prolet in schwarzen Schlabberhosen und blauer Jogginganzugsjacke, im T-Shirt und mit Goldkettchen auftreten wie irgendein dahergelaufener Macho von der Straße.


Der argentinische Tenor Dario Volonté singt diesen Calaf in Doris Dörries "Turandot". Man hat schon weit bessere, strahlendere Tenöre in dieser Partie gehört. Selbst an kleineren, unbedeutenderen Häusern. Aber dem Proletenoutfit seines inszenierten Auftretens schadet das nicht. Am Ende kriegt er so oder so die verzickt profanisierte Turandot, natürlich! Und die Beiden, sie und er tragen gemeinsam blaue Jogginganzugsjacken: Partnerlook eben. Das Happy End findet im herbei gefahrenen Spießerhäuschen vor Skyline-Prospekt statt, der Kaiser Altoum im braunen Kunstlederanzug mit Kunstlederhütchen à la Erich Honecker sitzt mit Gossen-Kalaf am Tisch, die beiden Männer trinken Bier – aus der Flasche versteht sich. Turandot steht dumm rum. Eine domestizierte Ehetussie.


Was das alles soll, wird wohl keiner aus der opernunerfahrenen jugendlichen Zielgruppe verstehen, auf die Doris Dörrie (wie all diese Zeitgeistanbeter)  abzielt. Nur wer das Stück "Turandot" genaustens kennt, versteht die rein assoziative Bilderfolge, mit der Doris Dörrie aufwartet. Die hochinteressante, anrührende, moderne psychologische Ebene des Stücks klammert sie großzügig aus. Plakativ und banal reduziert sie das Stück auf kleinstmöglichen intellektuellen Anspruch. Ein weiteres Exempel ihres Lebensthemas, das sie mit den Filmen "Männer", "Ich und er", "Geld", "Paradies" und "Keiner liebt mich" ja schon hinlänglich variiert hat.


Handwerklich ist die Inszenierung übrigens geradezu dilettantisch zu nennen, von Personenführung keine Spur. Eine wirkliche Auseinandersetzung mit dem Stück findet nicht statt. Auch die Choreographie der weithin statischen, allenfalls etwas zitternden und tippelnden Chormassen durch Valentina Simeonova zeichnet sich durch mangelnde Präzision, Einfallslosigkeit und Langeweile aus. Ein vertaner Abend könnte man sagen, und doch hat ein Großteil des Berliner Publikums ein Freudengeschrei angestimmt, das wieder einmal beweist, dass selbstbewusste, auf vordergründiges Eventgeheische abzielende Unbedarftheit heutzutage erfolgreich ist. Auch auf der Opernbühne. Schade!


Schade auch, dass Kent Nagano am  Pult so wenig hörbaren Bezug zu der Musik des Stücks fand. Er offeriert eine staubtrockene, recht pauschale, klanglich spröde, wenig strukturierte und inspirierte "Turandot". Daß Nagano den nachkomponierten Schluss von Luciano Berio spielen lässt, versteht sich bei einem Mann seiner künstlerischen Intelligenz von selbst. Aber gebracht hat es der unintelligenten Inszenierung – mit Verlaub gesagt - nichts. Dieser Schluss wirkt – nichts gegen Berio an sich - wie aufgesetzt, hat mit der Musik Puccinis so wenig zu tun wie die Inszenierung der Dörrie mit dem Stück!