Das Conservatorio San Pietro a Majella in Neapel

Alle Photos: Dieter David Scholz


Schatz- und Beinhaus der neapolitanischen Musik

Das Konservatorium San Pietro a Majella ist nicht nur die traditionsreichste musikalische Ausbildungsstätte der Stadt Neapel, sondern ganz Italiens.  Darüber hinaus beherbergt es eine der bedeutendsten Musikbibliotheken Europas mit einem unschätzbaren Bestand an Handschriften und Autographen.   


"Es war in der Karwoche, als Richard Wagner einem Chorstück, dem  Miserere von Leonardo Leo zuhörte, das unser Chor hier im Konservatorium sang. Wir haben noch den Stuhl, auf dem Wagner saß. Von diesem Miserere hat Wagner sich inspirieren lassen zu den Kinderstimmen in seinem Parsifal"      

Mit Stolz erzählt Elsa Evangelista, Direktorin des traditionsreichen Konservatoriums San Pietro a Majella historische Episoden aus der langen Geschichte ihres Institus. Sie ist eine kleine, energische Dame im schwarzen Hosenanzug, stark geschminkt,  mit schwarzhaarigem Bubischnitt.  Ihr Büro ist mit Antiquitäten, Gemälden und Büchern vollgestopft und ein Teil des gewaltigen Klosterkomplexes, in dem sich heute das Konservatorium befindet. Auf dem Schreibtisch der Direktorin stapeln sich Aktenberge. Längst hat sie das Unterrichten und die Leitung des angesehenen  Chores des Konservatoriums aufgegeben. Es handelt sich schließ-lich um ein Institut mit 1300 Studenten und 120 Lehrkräften. Die administrativen und organisatorischen Aufgaben seiner Leitung sind zeitraubend. Und sie hat einen Schatz zu hüten.


"Wir besitzen eine der wichtigsten Musikbibliotheken der Welt, weshalb auch Studenten und Wissenschaftler von überall her zu uns kommen. Immerhin verwalten wir den Nachlass der vier bedeutenden Conservatorien, die es hier einmal gab. Wir haben etwa 3000 Partitur-Autographen, 3000  Drucke, 10.000  Opernlibretti und 8000 Opern-Figurinen, daneben 10.000 Briefe in Autographen" (Elsa Evangelista)


Mitten im ältesten Teil der Altstadt, zwischen der Piazza Dante und dem Dom, umgeben von engen Gassen befindet sich das altehr-würdige Conservatorio San Pietro a Majella, umgeben von Kirchen, Palazzi und Wohnhäusern,  an- und hineingebaut in die barocke Kloster- und Kirchenanlage jenes Eremiten aus den Abruzzen, der als Zölestin V. ein Jahr lang die päpstliche Tiara trug. Es ist das letzte überlebende von vier großen Konservatorien, die seit dem 16. Jahrhundert, zunächst als Waisenhäuser mit Schule und Handwerkslehre, allmählich immer stärker als Ausbildungsstätten für den musikalischen Nachwuchs Entscheidendes zum Ruf Neapels beigetragen haben. Im paradiesartigen Garten im Innenhof des Klosterkomplexes begrüßt den Eintretenden eine gewaltige Beethovenplastik. Sie steht unter Palmen. Die Treppenaufgänge und Unterrichtsräume des Gebäudes tragen Patina und atmen Geschichte. Das Konservatorium gleicht einem Museum.


"Wir besitzen viele Schätze dank der Schenkungen, die dem Konservatorium vermacht wurden, nicht zuletzt von Königin Carolina der Zweiten. Auch Bellinis Freund Francesco Florimo hat uns viel geschenkt. Zu unsere Preziosen gehören eine Harfe von Stradivari, das Fortepiano von  Cimarosa, ein Cembalo, das Katherina die Große Paisiello geschenkt hat. Wir haben eine bedeutende Musikinstrumentensammlung. Nicht zu vergessen das Pianoforte von Mercadante“ (Elsa Evangelista)

Das Konservatorium San Pietro a Majella – wie es heute existiert - entstand 1806 als Ergebnis der Fusion des Konservatoriums der Pietà Dei Turchini mit den anderen drei Musikhochschulen von Neapel: Santa Maria di Loreto, San Onofrio a Capuana und Poveri di Gesù Cristo. Unter Leitung des Komponisten Giovanni Paisiello erfolgte die Zusammenführung, 1826 wurde das ver-einigte Konservatorium in das ehemalige Kloster der Chiesa di San Pietro a Majella verlegt. Unter seinen Direktoren waren Musiker vom Rang, wie Gaetano Donizetti, Saverio Mercadante und Francesco Cilea. Neapel ist seit Jahrhunderten die Musik-hauptstadt nicht nur Kampaniens, sondern Italiens schlechthin Die sogenannte neapolitanische Schule prägte das Opernleben ganz Europas im 18. Jahrhundert.  All das spiegelt die gigantische Bibliothek des Konservatoriums wieder.


Auletta, Durante, Jommelli,  Hasse, Händel, Rossini und Bellini gehörten zu den ehemaligen Stars des Opernlebens in Neapel. Eine kaum zu überblickende Fülle an Dokumenten und Autographen dieses Musiklebens lagert im historischen Archiv des Konservatoriums.  Darunter unzählige ungehobene Schätze.  Alte Musik-Spezialisten wie Christophe Rousset, Alessandro de Marchi oder René Jacobs, aber auch Barock-Sänger wie Cecilia Bartoli, Max Emanuel Cencic oder Simone Kermes schöpfen immer wieder aus dieser Quelle.  Nur ein Bruchteil des Bibliotheksbestandes ist bereits online verfügbar. Die kostbarsten Schätze des Konservatoriums sind nur vor Ort einsehbar.  Auf dem Gang durchs Archiv treffe ich auf einen Doktoranden.


"Ich forsche hier für meine Doktorarbeit, die ich an der Universität Wien schreibe, und hier liegen einige sehr wichtige Quellen, die ich mir in jedem Falle anschauen musste. Ich muss sagen, es ist alles sehr freundlich, sehr umgänglich, man trinkt auch zusammen Kaffee in den Pausen, ich genieße es, hier zu sein.“


Der gute Geist dieses Bibliothekssaals ist Nunzia Saracino Campobasso:   


"Ich bin eine Lehrerin in Pension und seit 12 Jahren bin ich Volontärin dieser Bibliothek und helfe den Gelehrten, den Forschern…  Ich bin stolz darauf, denn das ist doch die älteste und berühmteste Musikbibliothek auf der Welt, mit zahlreichen  Kostbarkeiten, Autographen,  Manuskripten. Und ich muss sagen, dass unsere Leiterin viel tut, um diese Kostbarkeiten und Werke zu bewahren.“   


Freilich, das kostet Geld. Stadt und Region finanzieren das Konservatorium zwar ausreichend, aber nicht gerade verschwenderisch.


"Natürlich haben wir manche Probleme. Wir leisten uns zwar eine  gute Professorenschaft. Aber Was wir bräuchten: Sponsoren für die Bibliothek" (Elsa Evangelista)


Vielen Musikern sind im Konservatorium  eigene Säle gewidmet: Donizetti, Bellini, Rossini, die nicht zuletzt in Neapel ihren Weltruhm begründeten, aber auch Wagner, der Neapel liebte wie keine andere Stadt und hier bis heute hoch verehrt wird. Zur Erinnerung: Wagner meinte einmal "Venedig ist ein Traum, Neapel ist ein Rausch. Das ist meine Stadt!"


Persönlich führt mich die Direktorin Elsa Evangelista durch ihr Haus: 


"Hier sehen Sie eine Haarlocke der  Sängerin Malibran, daneben Siegel, Schreibfeder  und Hosenträger Bellinis und hier sehen Sie Haare von Donizetti, die Brille von Pacini und die Schuhe von Liszt“


Beim Gang durch die prachtvollen Säle zeigt mir Signora Evangelista das Stehpult, an dem Rossini seine Oper „Semiramide“ schrieb, das Tintenfass von Alessandro Scarlatti, Bellinis Stimmgabel und viele Büsten, gipserne Komponisten-Handabdrücke, Gemälde und Musikerporträts. Wir gehen vorbei an Dutzenden von Bücherregalen und -Schränken. Dann kommen wir in einen kleinen Raum mit einer sehr gut verschlossenen Vitrine.

"Hier ist unsere Geheimvitrine mit Autographen von Donizetti, Lillo, Caraffa, Bellini..auch das famose Quartett von Giuseppe Verdi, sehen Sie mal. Alles bedeutende Manuskripte. " (Elsa Evangelista)

 

Das Konservatorium San Pietrio a Majella ist aber nicht nur eine Schatztruhe. Es spielt bis heute im regen Musikleben Neapels eine bedeutende Rolle. Man veranstaltet eine eigene Konzertsaison von Januar bis Mai. Jeden Freitag gibt es im Konzertsaal des Instituts öffentliche Konzerte. Elsa Evangelista zeigt mir den  schmucklosen Neubau, der sich seltsam fremd im ansonsten barocken Gebäudekomplex ausnimmt.


Nicht nur der Konzertsaal, auch die Bibliothek des Konservatoriums ist öffentlich zugänglich. Heute widmet sich das Konser-vatorium neben dem Bewahren und Verwalten der wertvollen Musikalien und Autographen vor allem der Musikerausbildung.


"Wir  haben eine bedeutende Klavierschule hier, auch Alte Musik unterrichten wir, allen voran Maestro Antonio Florio, der die Capella de Turchini leitet,  und wir widmen uns natürlich der Opern-Gesangsausbildung." (Elsa Evangelista)


Zu den  Schülern der ehemaligen vier Konservatorien Neapels gehörten nicht nur bedeutende Kastraten, sondern auch Opern-komponisten. Praktisch alle, die Rang und Namen hatten in der Opernwelt am Golf von Neapel. Das gewaltige Teatro San Carlo, das größte und vielleicht schönste barocke Opernhaus Italiens, bezeugt bis heute die enorme Bedeutung der Oper für die Stadt. Das Konservatorium San Pietro a Majella mit seinem einzigartigen Archiv ist das Schatz- und Beinhaus dieser vielfältigen Musik- und Operngeschichte Neapels



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