Musik und Vergänglichkeit

"Musik und Vergänglichkeit“

 

Ein Globus, Notenblätter, eine Geige und ein Totenschädel. Ein typisches Vanitasbild, das an die Vergänglichkeit alles Irdischen und die Fragwürdkeit alles Eitlen gemahnt. Das barocke Lebensgefühl, das zwischen Lebensfreude und Todessehnsucht, "carpe diem“ und "memento mori“ eines ambivalenen Bewußtsein vom "irdschen Jammertal" hin- und herpendelt, ist in der Malerei wie in der Musik ewiges Thema. Die unendlich vielen "Totenanz"-Vertoungen, "Zeit"-Stücke und "Uhren"-Kompositionen sprechen für sich.

 

Am Ende eine jeden Jahres wird er traditionell gespielt, der Tanz der ablaufenden Stunden, den Amilcare Ponchielli in seiner Oper „La Gioconda“ vertonte. In keiner anderen Zeit des Jahres wird das Verrinnen der Zeit, die Zeitlichkeit an sich so anschaulich und greifbar wie am letzten Tag des Jahres. Die Jahres-Uhr läuft ab.

 

Nicht nur mit einer, sondern gleich mit vielen Uhren umgibt sich die Feldmarschallin in ihrem Wiener Stadtpalais in Richard Straussens Komödie für Musik „der Rosenkavalier“.  Nachts hält sie gelegentlich ihre Uhren an. Der Grund: Sie spürt wie keine andere Opernfigur das Verrinnen der Zeit und philosophiert so ergreifend, wie keine andere über die Zeit und alles Zeitliche.

 

„Die Zeit, die ist ein sonderbar Ding, wenn man so hinlebt ist sie rein gar nicht. Aber dann, auf einmal, spürst Du nichts als sie“... Hugo von Hofmannsthal hat das Phänomen des Ablaufens der Zeit in sehr berührenden Worten zum Ausdruck gebracht.  - Das ist nun einmal unser Schicksal: Die Liebe, das Leben, das Glück und das Unglück sind zeitlich begrenzt. Ob das Gegenteil so erstrebenswert wäre? Leos Janacek hat in seiner Oper „Die Sache Makropoulos“ eine Frauenfigur geschaffen, die Sängerin Emilia Marty, die dank eines Unsterblichkeitselixiers ewig lebt, in wechselnden, verführerischen Gestalten. Und sie wiederholt das immer gleiche erotische Spiel der Jugend. Bis es ihr nach 300 Jahren sinnlos vorkommt. Dann verbrennt sie das Geheimrezept, um zu sterben.

 

Gerade weil der Mensch schon immer das Verrinnen der Zeit beklagte, weil er in der Zeit lebt und anhand der Zeit begreift, dass er sterblich ist, hat der Mensch Trost in der Musik und in der Religion gesucht. Letztere hält ihm zwar auch unbarmherzig den Spiegel der Vergänglichkeit vor Augen, aber versüßt ihm den Schmerz über die Zeitlichkeit alles Irdischen mit der Illusion der Ewigkeit im Jenseits. 

 

 „Ach wie flüchtig, ach wie nichtig / sind der Menschen Sachen! / Alles, alles, was wir sehen, / das muss fallen und vergehen, wer Gott fürcht´, bleibt ewig stehen.“ … Keiner nach Johann Sebastian Bach hat so viel Musik über die Vergänglichkeit der Zeit und die Ewigkeit, über das Irdische Jammertal und das himmlische Vergnügen geschrieben, vor allem in einen Kantaten für die Leipziger Thomas-Kirche. Dabei hätte Bach so gerne Opern komponiert! 

 

Richard Wagner, der andere große Leipziger Komponist, er hat Opern komponiert, aber mit quasi gottesdienstlichem Anspruch, jedenfalls im Bühnenweihfestspiel „Parsifal“.  In ihm hebt er die Gesetze von Zeit und Raum aus den Angeln. In der ersten Gralsszene seines „Bühnenweihfestspiels“ wird, wie der altehrwürdige Gralsritter Gurnemanz dem naiven Parsifal erklärt, der Raum zur Zeit.

 

Auch wenn Wagner mit dem „Parsifal“ ein Gegengift gegen den quälenden erotischen Trieb in sich schrieb. Es hat nichts geholfen. Der alte Schwerenöter verstarb über einer erotischen Eskapade in Venedig. Die Katze läßt eben das Mausen nicht. Und Musiker sind ja auch nur Menschen. - Es ist eigentlich kein Wunder, dass sie ein besonders existenzielles Verhältnis zur Zeit haben. In der Musik zählt jede Sekunde, denn sobald die Musiker aufhören zu spielen, existiert die Musik nicht mehr. Nur noch ihre Idee, auf Notenpapier. Aber nicht mehr als sinnlich wahrnehmbare, tönende Kunst.

 

Die Musik ist schließlich die zeitlichste, die vergänglichste aller Künste. Sie existiert nur während der Aufführungszeit. Aber wie heißt es schon beim Prediger Salomo im Alten Testament: „Ein jegliches hat seine Zeit, und alles Vorhaben unter dem Himmel hat seine Stunde“. Das gilt für die Musik ganz besonders. Aber auch für die Menschen und ihr kurzes, wertvolles, stets gefährdetes und begrenztes Leben. Jedes Jahr wird es am 31. Dezember um ein Jahr kürzer. Eben deshalb sollte man sich (nicht nur am letzten Tag des Jahres)  mit oder ohne Champagner, besinnlich oder fröhlich das Motto der „Fledermaus“ zu eigen zu machen, das Johann Strauss in seiner gleichnamigen Operette zur Lebens-Maxime erhoben hat:  „Glücklich ist, wer vergisst, was doch nicht zu ändern ist“…