Ringe in Weimar / Valencia

Menschlich-Allzumenschiches contra Fantasy-Technikzauberei


Der Ring des Nibelungen in zwei grundverschiedene Lesarten


Deutsches Nationaltheater Weimar - DVD   Arthaus

Palau de les Arts „Reina Sofia“ Valencia - DVD  Unitel


In Bildern des uns heute optisch Vertrauten erzählt der Regisseur Michael Schulz im Weimarer „Ring“ spielerisch, ironisch, theatralisch die große Wagnersche Geschichte von der Welt Anfang und Ende. Er zeigt sie als leben­dige Familiensaga, als Politthriller und Mythen-entwurf aus dem Menschlich-Allzumenschlichen heraus. Die Tetralogie wird bei Schulz zur Zeitreise zwischen Kindheit, Erwachsen-werden, Muttersuche, erstem Liebeserlebnis, Scheitern und Sterben des Menschen. Götter und Kinder, die leitmotivisch auf die Zukunft verweisen, durchkreuzen immer wieder die Handlungsstränge pantomimisch. Darstellerische Ironie, vitales Körperspiel und Einfachheit der theatralischen Mittel sind das Geheimrezept des Regisseurs: Alberich spielt bei ihm einen Zwergen. Fafner wird als menschlicher Geldsack vorgeführt, eine Misch­ung aus Buddha, Bacchus und Krinoline aus Speckfalten. Beim Drachenkampf mit Siegfried darf gelacht werden. Mime (fabelhaft Frieder Aurich) tritt als Charlotte von Mahlsdorf auf, als Transe also mit Dutt und Kittelschürze.


Und es gibt immer wieder Theater auf dem Theater. Im dritten „Siegfried“-Akt fährt eine komplette Bühne samt Portal und Vorhang zum Auftritt der Urmutter Erda (eindrucksvoll Nadine Weissmann), sich drehend, auf die Vorderbühne. Ein Laufsteg wird zum Hochzeitstisch von Siegfried und Brünnhilde, an dem das ungleiche Paar seine Scham und seine erotische Unerfahrenheit debattiert, um in pubertären Albereien unterm Tisch zu enden. Das hat soviel Witz, Charme und psychologische Überredungskraft, daß man die Waschmaschinen, Küchentische und Putzeimer der gelegentlich allzu „heutigen“  Inszenierung vergisst.


Die Sängerbesetzung ist für ein Haus wie Weimar durchweg erstaunlich. Die amerikanische Sopranistin Catherine Foster verblüfft mit imposantem Sopranstahl, enormen Spitzentönen, aber auch lyrischen Qualitäten. Mit Renatus Mészar hat man einen rollendeckenden Wotan im Ensemble. Johnny van Hall singt den Siegfried als ungehobelten, brutalen Proleten der Zukunft. Auch wenn für den Zuschauer die Frage offen bleibt, warum Grane, das „Ross“ Brünnhildes, als alte, weißhaarige Frau auftritt, ist die Weimarer Produktion ein großer Wurf. Der Filmregisseur Brooks Riley hat ihn ins denkbar beste Licht gesetzt. Auch musikalisch (wie klangtechnisch)  ist dieser „Ring“ überzeugend. Der Dirigent Carl St. Clair läßt keinen Augenblick Leerlauf zu, hält die Spannung bis zum Schluß, vermeidet breite Wagner­tempi und achtet auf dramatische Gangart. Die Staatskapelle Weimar spielt engagiert und tadellos. 



Geht es dem Weimarer „Ring“ vor allem um die Sichtbarmachung von Psychologie, Menschlichkeit und Politik des Wagnerschen Dramas im Rückblick von Heute aus, so setzt der „Ring“ aus Valencia auf überwältigende Bildeffekte, Akrobatik und technische Wunder von Morgen. Zu Beginn dieses „Rings“ planschen und tauchen die Rheintöchter in hängenden Bassins und gebären beim Wort „Rheingold“ kleine goldene Embryos. Alberich läßt den Rheintöchtern das Ursuppen-Wasser aus den Wannen und raubt die Gold-Eier. So fällt das Gold des Lebens in falsche Hände: Der originellste Regieeinfall am Anfang einer Fantasy-Unterangs-Story mit cineastischen Endzeitvisionen. Dieser „Ring“ ist  großes Wagnerkino als ästhetisches Zukunftstheater mit der Poesie des Gigantischen.


So spielerisch-theatralisch der Weimarer „Ring“ eine politische Parabel der Gründerzeit ins Heute übersetzt, wagt der „Ring“ aus Valencia die Vision der Zerstörung der Natur in einem futuristischen Paralleluniversum. La Fura dels Baus, das katalanische Inszenierungskollek-tiv um den Regisseur Carlus Pardissa jongliert Choreografien aus kletternden, fliegenden, krabbelnden Menschenleibern, perfekt eingesetzte (computeranimierte) Videoprojektionen (Feuer, Wasser, Luft und Erde, aber auch Nahaufnahmen von Wasserblasen, Material- und Mikrostrukturen, Weltraumfahrten, extraterrestrische Ansichten unseres Planeten sowie Innenansichten eines Phötus im Mutterleib) von Franc Aleu, Fantasy-Kostüme von Chu Uroz, Licht und von Bühnenarbeitern ständig bewegte Objekte auf einer Szenerie (Roland Olberer), die den TV-Wahrnehmungsmodus auf das Cinemascopeformat des Palaus de las Arts überträgt: Science Fic­tion und Fantasy, Cyberwahrheiten und virtuelle Welten verschmelzen zu einer superlativischen Show. Als Gesamtkunstwerk darf man dieses von Tiziano Mancini virtuos gefilmte  Spektakel ohne Zweifel als den „Ring des 21. Jahrhunderts“ preisen. 


 

Stardirigent Zubin Mehta ist die Schnittstelle zwischen der Technik des 21. Jahrhundert und der Musik des vorletzten. Das von ihm und Lorin Maazel handverlesene Orchestra de la Comunitat Valenciana spielt und klingt bravourös und wird in der „filmisch“-illustrativen, alle Höhepunkte detailreich ausleuchtenden, ansonsten romantisch weich und konturenlos dahinfließenden Lesart Mehtas zum konge-nialen Partner der szenischen Realisierung.  Mehta ist aber auch ein souveräner Sängerbegleiter. Die Besetzung ist hochkarätig: Lance Ryan (Siegfried), Matti Salminen (Hagen, Hunding, Fasolt), Juha Uusitalo (Wotan) und Jennifer Wilson (Brünnhilde) haben enorme Stimmen, die sie dank statuarischen Personenregie optimal entfalten können.


Tonqualität, Menüs und zusätzlich anwählbaren Boni der DVDs lassen keine Wünsche offen. Und doch: So überwältigend die Qualitäten dieses „Rings“ auch sind, das Schauvergnügen ist größer als der Erkenntnisgewinn. Der Valencia-„Ring“ täuscht bei aller Bewunderung für seine Machart über die noch immer aktuellen psychologischen und politischen Dimensionen des „Rings“ hinweg und verharmlost ihn zu technoidem Fantasy-Bildertheater.     


MDR-Kultur