Chéreaus Tristan und Tiezzis Parsifal

Photo: Marco Brescia/Teatro alla Scala                                        Photo: Luciano Romano/Teatro San Carlo Napoli

WAGNER IN ITALIEN 2007. Eine wohltuene Erfahrung


Tristan in Mailand (Chéreau) - Parsifal in Neapel (Tiezzi)



Noch nie wurde in Deutschland soviel Wagner gespielt wie heute. Aber seinem Werk wird mehr und mehr misstraut, es wird weitgehend dem eigenmächtigen Regietheater überlassen, in dem sich oftmals Regisseure wichtiger nehmen als Wagner. Meist sieht man Wagner mit Kommentaren des Regisseurs, wenn nicht gar nur als Kommentar zu Wagner, ohne Wagner. Als ob der Zuschauer nicht selbst denken könnte.  In Deutschland ist jüngst sogar der Wagnersche "Ring des Nibelungen" kurzerhand zum Musical verarbeitet worden.  Eine Absurdität! 


In Italien belässt man Wagner meist noch bei sich selbst. Man vertraut ihm einfach. Fern allen Regietheaters. Nicht nur, dass die meisten italienischen Sänger Wagner besser singen, als die deutschen Sänger, was nicht zuletzt auch mit den italienischen Übersetzungen zu tun hat. Und natürlich mit dem Belcanto. Schon Wagner schätzte Belcantosänger in seinen Musikdramen mehr als Schreikünstler, wie sie heute die Wagnerbühne beherrschen.


Merkwürdig eigentlich, dass kaum ein Dirigent das weiß. Dabei hat sich Wagner immer wieder sehr eindeutig dazu geäußert. Auch wenn heute in Italien Wagner nicht mehr auf Italienisch gesungen wird, und auch kaum mehr von Belcantosängern, so haben doch zwei jüngste Aufführungen in Mailand und Neapel einmal wieder demonstriert,  dass Wagner in Italien dennoch anders ist als hierzulande. Und keineswegs schlechter. Im Gegenteil!


Mit "Tristan und Isolde" wurde an der Mailänder Scala die erste Spielzeit des neuen Inten-danten Stéphane Lissner eröffnet. Er hat gleich zu Beginn mit einen Paukenschlag ausgeholt. Er hat keinen  Geringerer als Patrice Chéreau, der vor 30 Jahren den legendären Bayreuther "Jahrhun-dertring" herausbrachte, als Regisseur des "Tristan" gewinnen können. Eine Sensa-tion, daß das gelang.  Es war ein langjähriger Wunsch von Chéreau, den "Tristan" zu  inszenieren.


Nun hat er ihn inszeniert, wie man es hier bei uns  in Deutschland kaum wagen würde, ziem-lich werktreu und realistisch bis ins kleinste Detail. Brangäne, Kurwenal und die Randfigur Melot interessierten Chéreau wenig. Alle drei sind Dienerfiguren, mehr nicht. Sie werden - wie im Fall Melots, nur zwischen den Protagonisten hin- und hergeschubst, gekniffen, geschlagen und "benutzt". Aber Chéreau bringt viel zusätzliches Personal zum Einsatz: Schiffsleute, Hofgefolge, Burgpersonal.  Was Chéreau vor allem  interessierte, sind die beiden einander verfallenen Liebenden: Tristan und Isolde - und - mit gehörigem Abstand - der alte König Marke als der gehörnte Dritte, wobei es Chéreau gelungen ist, aus dem üblicherweise  majestätisch daherschreitenden König eine Figur aus Fleisch und Blut zu machen, die ihre Wut über Tristans "Verrat" an Melot, der die Liebenden angeschwärzt hat - körperlich auslässt und in seinem Verhalten gegenüber Isolde mehr als nur väterliche Liebe  andeutet. 


Chéreau zeichnet Tristan und Isolde als depressive Charaktere: der eine ein suizidal gefähr-deter Autist,  die andere eine hyperaktive Hysterikerin, die ihren Liebestod schließlich allein stirbt. Ihr platzt ihr eine Ader am Kopf. Der Liebestod: alles nur Halluzination. Diese Liebe ist ohnehin mehr als körperlich, auch wenn  am Ende des 1. Aktes nach der Einnahme des Liebestranks Tristan sich Isolde auf den Knien nähert und eine Falte ihres Kleides küsst. Dann erst kommt der körperliche Kontakt, nun aber so intensiv, dass die beiden Liebenden gemeinsam unterm Königsmantel verschwinden und von ganzen Menschenbündeln mit Gewalt voneinander getrennt werden müssen.


Erstaunlich, wie genau Chéreau auf seine Art den Handlungsanweisungen Wagners folgt. Und doch:das allzu realistische Bühnenbild von Richard Peduzzi hält auf Distanz: ein rostiger Kahn, der im ersten Akt in eine Art Tote Stadt hinein fährt, ein von  Zypressen bestandener Burginnenhof im zweiten und ein karger Burghof im dritten Akt. Bei aller bewundernswerten Detailarbeit der Personenregie: Die Aufführung hat etwas von  Jagst-hausener Burgfestspielen. Die wirkliche inszenatorische Sensation, auf die man wartete,  blieb aus. Ein ästhetischen Vergnügen, diese Mailänder Inszenierung, sicher. Richard Peduzzi hat schon Geschmack, aber dennoch ... müssen es eigentlich immer hohe Ziegel-mauern des 19. Jahrhunderts sein?  Und die faltenreichen, einfachen, zeitlos-modernen Kostüme der der Moidele Bickel waren ausnahmsweise einmal nicht sonderlich inspiriert oder inspirierend zu nennen.


Was die Besetzung angeht:  Der Tristan des Ian Storey war schlicht eine Katastrophe, im zweiten Akt verlor er seine ohnehin unschön timbrierte, eng geführte, problema-tische Stimme total. Nach Buhs am Ende des 2. Akts, in dem er den Zuhörer schon quälte, ließ er sich indisponiert erklären und markierte den dritten Akt nur noch. Man hörte über weite Strecken gar nichts mehr von ihm. Eine Zumutung!  Solide immerhin die Brangäne Michelle Deyoungs, die allerdings optisch zur Oma mutierte. Matti Salminens König Marke, nobel und sicher wie immer, hat inzwischen hörbar Alterspatina angesetzt und an Kraft verloren.


Daniel Barenboim zauberte das Stück routiniert wie immer aus dem Hut. Die Scala ließ ihn zu nie gekannter Form auflaufen. Und das Orchester der Mailänder Scala ließ Farben aufleuchten, die man bei der Berliner Staatskapelle nie gehört hat. Ein italienisches Orchester eben. Und ein hochgefahrener Orchestergraben. Da blüht Wagner förmlich auf.  Die Sensation dieser Aufführung war Waltraud Meier, die als Isolde über sich selbst hinaus-gewachsen war und mit einer Energie, Farbigkeit und Dramatik sang und spielte, wie man sie seltene erlebte. Da überhört man auch gern ihr flackernde Stimmführung und die vielen ungenauen, falschen Töne.  Hochintelligent immerhin legt sie sich die sängerisch Partie zurecht. Chéreau hat´s möglich gemacht.


Die zweite große Wagnererfahrung betraf Neapel, die 2000 Jahre alte Stadt am Golf, die ein noch größeres, noch älteres und – mit Verlaub gesagt – noch schöneres Opernhaus besitzt als Mailand. Immerhin war Neapel ja lange vor Mailand Weltstadt, auch Weltstadt der Oper. - Auch Neapel pflegt eine alte Wagnertradition. Im Grunde seit Wagners Zeiten, als der „Mei-ster“ in dieser Weltstadt am "Parsifal" komponierte. Der kam denn auch dort fast gleichzeitig mit dem Mailänder "Tristan" heraus. In einer ebenfalls recht werktreuen Inszenierung des italienischen Regisseurs Federico Tiezzi, der vor antiken Säulen, zwischen Flusskieseln und klassischen Reißbrettentwürfen das Drama der Sinnenabtötung zur Erlösung der Welt in Schwarz und Weiß ansiedelte.


Erstaunlich, wie sehr auch er sich an Wagners Szenenanweisungen hielt. Nichts für Freunde des deutschen oder britischen Regietheaters. Aber, das Stück fand statt, und es war mitrei-ßend anrührend, wie das funktionierte, ohne alle Opernkonventionen, ohne alle Peinlich-keiten selbst bei den Gralsszenen, die als Versammlungen alter, weißhaariger Tattergreise in weißen Talaren gezeigt werden, Greise, die mehr von Folianten als von der Welt verstehen. Der Gral: eine verstaubte Bibliothek.


Am Ende streifen die Gralsbrüder ihre Kluft ab und zeigen sich als orangefarbige Saniassins. Wagners Beschäftigung mit dem Buddhismus läßt grüßen. Einmal der Welt enthoben, gleich welcher religiösen Überzeugung, immer der Welt verloren, das ist die Botschaft dieser Inszenierung. Parsifal hat das begriffen und zieht weiter, nachdem er die Gralsgesellschaft erlöst, aber eben nur zur Veränderung erlöst hat. "Erlösung dem Erlöser" bleibt uneingelöste Illusion. Eine einleuchtende, konsequente Inszenierung, in der keine Minute, nicht mal im anderthalbstündigen ersten Akt, Langeweile aufkam. Weil alles plausibel erzählt wurde.


Mehr noch als in Mailand macht man in Neapel eine musikalische Erfahrung, die das Wag-nerhören deutscher Ohren nachhaltig verändert. Das barocke Teatro San Carlo (aus dem Jahre 1737) mit seinem sehr breiten und tiefen, aber eben fast auf Zuschauerniveau hochge-fahrenen Orchestergraben ermöglicht eine  Klangsinnlichkeit, die alle Unvergleichlichkeit des Bayreuther Festspielhauses Lügen straft. So brilliant, so transparent, so glitzernd, so unteutonisch, so impressionistisch und dabei so klar hört man Wagner selten. Asher Fisch hat Großes vollbracht am Pult. Er hat Wagners Parsifal entfesselt zu einem mediterranen impressionistischen Klangrausch, ohne den spätromantischen Mystizismus des Werks zu verraten. Und das Problem der Wagnerstimmen löst sich ganz von selbst. Keiner muß schreien. Es wurde bis an den Rand des Flüsterns gesungen. Man hat – anders als bei Barenboim in Mailand - jedes Wort verstanden.  Und die Besetzung war in allen Partien fabelhaft: Albert Dohmen sang einen glaubhaft gequälten Amfortas, Kristinn Sigmundsson eine bestürzend großartige Autorität von Gurnemanz, Lioba Braun eine junge, sinnliche Kundry.  Die Wortverständlichkeit war nicht zu überbieten. Und Klaus Florian Vogt dürfte der derzeit beste Parsifal-Tenor sein, den die Opernwelt aufzubieten hat. Mit der größten Natürlichkeit und mit schönem Strahlglanz seiner Stimme singt er,  jung, blond, und auch noch blauäugig den tumben Toren, so, wie man ihn sich nur wünschen kann, aber eben selten hört. Es lohnt sich. In Italien in Wagneraufführungen zu gehen!


 


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