Athen Megaro: "Erwartung" & "Der Zwerg"

Photos: Karen Stuke


Männermordende Frauen, gespiegelt


Schönbergs "Erwartung" und Zemlinskys "Der Zwerg" am Athener Megaron

Eindrucksvoll realisiert von Gottfried Pilz, Eike Gramms und Nikos Tsouchlos


Premiere am 23.10.2007



Noch immer wird die Musik- und Opernszene der östlichsten europäischen Hauptstadt im Westen Europas weithin ignoriert. Dabei boomt die Sechs-Millionen-Metropole zwischen Orient und Okzident inzwischen auch und gerade in Sachen Oper. Das Opernleben in Griechenland ist jenseits des Peloponnes fast ebenso unbekannt wie der Name des griechischen Opernkompo-nisten Pavlos Carrer. Er ist einer jener ausländischen Komponisten, an denen das Italien der Verdi-Zeit reich war.  1886 schrieb er, auf ein Libretto von Ricordano Marzocchi (hinter dem sich der aus Carrers Heimat stammende Dichter Agamemnon Mar-tzokis verbirgt) seine vorletzte Oper "Marathon Salamis". Ein patriotisches Drama über den Sieg der Griechen über die Perser, in dessen Mittelpunkt Alexander der Große steht, um den zwei Frauen kämpfen. Diese Oper wurde 2003 in Athen an der dor-tigen Staatsoper von Byron Fidetzis ausgegraben und spät uraufgeführt. Denn Trotz vaterländischen Bemühens und Belcanto-Stil-Qualitäten war Carrer Zeit seines Lebens kein großer Erfolg in seiner Heimat beschieden. Das Opernleben in Griechenland war zu Carrers Zeit noch zu wenig entwickelt. Wie Byron Fidetzis, Grand-seigneur des griechischen Musiklebens weiß, gab es nur auf den ionischen Inseln, denen Carrer entstammte, eine Operntradition:


"In den sieben Inseln des ionischen Meeres, sagen wir auf den drei großen Inseln, gibt es eine große Liebe zu dieser Gattung. Aber es ist eine Tragödie, daß Griechenland viele Kriege erlebt hat, Katastrophen, auch Naturkatastrophen. Die Opernhäuser, die dort waren, sind alle ruiniert worden durch Erdbeben, und in Korfu durch das Bombardement des 2. Weltkrieges." 


Die Zeiten haben sich geändert. Heute wird sogar im nordgriechischen Thessaloniki Oper gespielt und in Athen gibt es eine Staatsoper mit zwei Häusern. Vor zwei Jahren kam ein drittes Opernhaus mit 1700 Plätzen dazu, im Megaron, einem gigan-tischen Athener Multifunktions-Konzerthaus und Konferenzcenter aus weißem Marmor. Nikos Tsouchlos, Künstlerischer Leiter und Generalmusikdirektor hat es mit der griechischen Erstaufführung von Bergs „Lulu“ eröffnet. Seither krönt er jede Spielzeit seines Musikzentrums mit mehreren Opern und Ballettaufführungen. Sein Herz gehört vor allem der musikalischen Moderne, die er nach Griechenland holt, mitten hinein ins mächtig prosperierende, aufgeputzte Athen, das mit der Olympiade und der EG-Mitgliedschaft seinen Teint so frappierend auffrischte, dass es attraktiver denn je ist.  Auch für anreisende Operntouristen. Und  inzwischen gibt es ein ernstzunehmendes, ernsthaftes Athener Opernpublikum:


" Es gibt eben eine europäisch orientierte, auch reisefreudig informierte, anspruchsvolle Schicht von Leuten hier, die das wollen und brauchen, auch auf Niveau brauchen." (Eike Gramss)


Regisseur Eike Gramss hat am Athener Megaron Zemlinskys tragisches Märchen für Musik, „Der Zwerg“ und Schönbergs Monodram „Erwartung“ inszeniert. Elena Nebera ist die eindrucksvoll spielende und singende Frau in Schoenbergs Monodram. Wie eine Salome vergeht sie sich an ihrem toten Liebhaber. In dieser Inszenierung des Angsttraums einer reifen Frau, die ihren Liebhaber getötet hat, tritt er tatsächlich auf, der Tote. Es ist Petros Gallias, der Ballettchef des Megaron. 


Dieser schöne Tote steht schließlich auf und verläßt die Bühne. Er hat genug von der hysterischen Suada der Frau. Zemlinskys "Zwerg" ist die nicht minder tragische Geschichte einer jungen Frau, die einen hässlichen Mann, den Zwerg eben, in den Tot treibt. Regisseur Eike Gramss und Bühnenbildner Gottfried Pilz haben die beiden Stücke geschickt miteinander kombiniert. Man spielt in fast leerem und doch spektakulärem Raum, in dem Spiegelprismen und Drehbühne kaleidoskopartig immer neue Farbräume eröffnen. In ihnen überwältigende Kostüme (Gottfried Pilz), die eigens in Mailand gefertigt wurden.  Eine wieder einmal so schlichte wie prachtvolle Ausstattung  von Gottfried Pilz, dessen ins Herz des Geschehens wie des Gemeinten zielende, geschmackvolle Moderne so zeitlos wie aktuell ist. Eike Gramss hat darin die  beiden miteinander verzahnten Geschichten von den männermordenden Frauen plausibel erzählt:   


"Es sind ja sehr typische Vertreterinnen des Fin de siècle bzw. der beginnenden Emanzipation, und ich glaube, man kann die Infantin als frühe Frau aus der Erwartung sehen, es ist eigentlich die logische Konsequenz dieses schlecht erzogenen Mädchens im fortgeschrittenen Alter. Sie ist eine frühe Femme fatale." (Gottfried Pilz)


Man spielt die beiden Stücke klugerweise in umgekehrter Reihenfolge, also erst die "Erwartung", dann den "Zwerg". Marlies Petersen, die vor zwei Jahren schon eine bemerkenswerte Lulu in Athen sang,  ist die lolitahafte, männermordende Infantin in Zemlinskys bösem Frauenstück, in dem Boiko Zvetanov einen anrührend stimmächtigen Zwerg  singt. Altmeister Wolfgang Schöne singt den Haushof-meister Don Estoban. Die junge griechische Sopranistin Mata Katsouli singt die Zofe Ghita, deren Herzenstöne ergreifen. Auch die übrige Besetzung ist vorzüglich. Ein hochkarätiges Ensemble, das auf jeder westeuropäischen Metropolen-Oper Bella Figura machen würde. Unter der kompetenten Leitung des umsichtigen Dirigenten Nikos Tsouchlos präsentiert das Prager Radio Symphonie Orchester sowohl Schönberg wie Zemlinsky auf höchstem Niveau.  Das Erfolgs-Ge-heimnis des Megaron hat neben den klugen Entscheidungen und Besetzungen des künstlerisches Direktors Nikos Tsouchlos sicher auch zu tun mit den Arbeitsbedingungen an der neuen Opernbühne der griechischen Hauptstadt, wie Gottfried Pilz betont:


"Die Arbeit ist wirklich wunderbar, vergleichsweise mit den größten Häusern der Bundesrepublik oder Europa. Und da die Leute sehr motiviert sind, glaube ich, dass man hier wirklich so bedient wird, wie kaum sonst wo."


Athen, die altneu-europäisch aufleuchtende griechische Metropole zwischen Orient und Okzident, leistet sich neben der spiel-freudigen Staatsoper, die bald ein neues Haus bekommen soll, mit dem Megaron schon jetzt Opernproduktionen, die den inter-nationalen künstlerischen Vergleich nicht zu scheuen brauchen. Im Gegenteil! Anders als im durchaus opernüberdrüssigen Westeuropa, wo viele Opernhäuser sich zu schwerfälligen Dampfern  auf Untergangs-Kurs entwickelten, ist man im fernen Athen hochmotiviert und aktiv in Sache Oper: Eike Gramss bringt es auf den Punkt:


"Das Haus hat einen vorzüglichen inneren Zusammenhalt, der zwar nicht in der Routine, oder auch besser gesagt, in der Erfah-rung steht, wie ein Haus, was eine Oper nach der anderen, oder ein Dreispartentheater, was eine Produktion nach der anderen produziert. Aber man spürt, dass es für die Leute der Höhepunkt des Jahres ist." 


In diesem Winter ist der Höhepunkt, neben einer demnächst anstehenden ausgeliehenen „Italienerin in Algier“ ganz sicher diese originelle Kombination von Schönbergs „Erwartung“ und Zemlinskys „Zwerg“.  Beide Stücke wurden noch nie in Griechenland gespielt. Aber das so sympathisch ernste und doch aufgeschlossene Athener Opernpublikum – in dem man manchen antiken Physiogomien zu begegnen meint, ist weniger konservativ, als man denkt. Im Gegenteil: Es ist neugierig und rekrutiert sich aus allen Schichten und Generationen. Anders als bei uns scheint die Oper in Athen im Aufwind. Athen war eben immer schon eine außergewöhnliche Stadt:


"Es ist und bleibt die Stadt der Götter" (Gottfried Pilz)




 


Beiträge für DLF, SWR, Orpheus