Meistersinger Meiningen 2017

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Hans Sachs: Ein Mißverständnis aus der Betroffenheit der Nachgeborenen des Holocaust

Wieder einmal verstellt der Blick zurück aus dieser Perspektive  die Klarsicht.

Bedenkliche Inszenierung von Wagners "Die Meistersinger von Nürnberg" im Meininger Theater


Premiere am 07.04.2017




Richard Wagners „Meistersinger“ sind ein seit der nationalsozialistischen Vereinnahmung politisch aufgeladenes Werk, das wie kein  anderes Anlass gibt zu kontroversen Deutung-en, aber auch Mißverständnisen. Ansgar Haag, Intendant des Meininger Theaters, hat  es Stück aus der Betroffenheit der Nachgeborenen des Holocaust inszeniert,. Er hat es rückblickend auf die Verwerfungen der Deutschen Geschichte im 20. Jahrhundert und auf die Erfahrungen zweier Weltkriege in Szene gesetzt. Zu Beginn sieht man Kriegsrück-kehrer, die ein Plakat mit der Aufschrift "Nie wieder Krieg" an ein blaues Kreuz heften, wenige Minuten später wird es wieder heruntergerissen. Dann folgt andeutungsweise ein Streifzug durch die Deutsche Geschichte vom Kaiserreich über die Weimarer Republik und das Dritte Reich bis in die Bundesrepublik von heute. Bei Hans Sachsens so oft missverstandener und missbrauchter Schlussansprache entrollt der Chor Plakate mit Aufschriften wie: "Unser Land, unsere Werte", "Multi Kulti stoppen", "Meine Heimat bleibt deutsch" u.s.w..... Man wähnt sich in  einer AfD-Kundgebung.


Auch wenn Ansgar Haag diese Szene wohl eher als Warnung vor neuerlichem Nationa-lismus meint und zeigen will, dass man Sachs so missverstehen kann, ist solch plakatives Theater in unseren Rechtsruck-Zeiten gefährlich, denn die Szene kann auch anders ver-standen werden. Dass die Regie den Verlierer des Meistersingerwettstreits, Beckmesser, gegen die Kundgebung anrennen und Hans Sachs am Ende zusammenbrechen lässt, ändert daran nichts. Ansgar Haags vorgebliche politische Korrektheit kann nach hinten losgehen. Im Übrigen hat man solche und ähnliche Konzepte schon oft erleben dürfen bzw. müssen.


Der Blick zurück aus der Postholocaust-Perspektive verstellt doch den Blick auf das, wo-rum es Hans Sachs eigentlich geht. Er wendet sich in seiner berüchtigten Schlussansprache ja dezidiert gegen jeden politischen National-Patriotismus und plädiert für die Utopie einer Kulturnation. Es geht ihm um eine ästhetische Weltordnung als Alternative zu patriotischer oder imperialistischer Politik. Doch davon ist in der ansonsten recht biederen Inszenierung mit ihrer oft hilflosen, ja läppischen Personenführung wenig zu erkennen. Wortlos ist der blaue, nur geringfügig variierte Einheitsraum mit Fenstern und Geschäften, einem Juwe-lier, einem Orientladen und der zum Bistro erweiterten Schusterladen des Sachs. Das eigentliche Thema der Oper, das Plädoyer für das Neue in der Kunst geht weitgehend unter bei Haag. Man sieht stattdessen Bismarck mit Pickelhaube (was besonders absurd ist, wenn man weiß, wie sehr Wagner Bismarck hasste), den Nachtwächter als Hauptmann von Köpenick, ein Kitsch-Blumenbouquet, das weder Linde noch Flieder ist, Choristen in grüner Polizeiuniform der alten BRD, einen Festwiesenaufmarsch im kostümlichen WOOLWORTH-Schick als banales Straßenfest von heute. Es darf gekreischt, getanzt und geschunkelt werden. Die deutsche Spießer-Seele feiert fröhliche Urstände. Das ist nicht wirklich aufregend und schon gar nicht besonders sehenswert.


Schon eher ist die Aufführung unter der Stabführung von GMD Philippe Bach  hörenswert. Er versucht das Stück gegen die Regie zu retten mit betont unteutonischer, transparenter und leichtfüssiger Lesart der Partitur. Er spitzt die Musik rhythmisch und agogisch erfreu-lich zu, setzt jedenfalls in den beiden ersten Akten auf flüssige Tempi und lässt immer wie-der delikate Details hören. Leider gerät sein Bemühen um einen anderen, fast mendels-sohnhaften Wagner von innen bittend, gelegentlich ins allzu Brave und Harmlose, auch lassen die zu klein besetzten Streicher zu wünschen übrig. Problematisch ist die Koordi-nation zwischen Orchester und Bühne, vor allem den Chor betreffend, der im dritten Akt mehrfach arge Einsatzprobleme hat. Ganz davon zu schweigen, dass der stark abgedeckte, sehr tiefe Meininger Orchestergraben dem Orchesterklang nicht gerade gut tut.


Überzeugend ist die sängerische  Besetzung. Auch wenn einige Sänger den Text nicht ganz so genau nehmen, hat man in Meiningen doch die vielen kleinen und mittleren Partien charaktervoll und stimmlich überzeugend besetzen können. In den Hauptpartien ragt Dae-Hee Shin heraus. Er leiht Hans Sachs seinen kultivierten, musterhaft klar und wortver-ständlich deklamierenden Edelbariton. Ernst Garstenauers Bass hat für den Pogner die nötige Autorität. Singspielhaft virtuos gibt Siyabonga Maqungo den David. Camila Ribero-Souza ist eine entzückende Eva. Mit Ondrej Šaling hat man einen bubenhaft heldischen, wenn auch etwas schüchtern introvertierten Strahlemann von Stolzing zur Verfügung. Besonders eindrucksvoll ist Stephanos Tsirakoglou, der einen unkonven-tionellen Beckmesser singt und spielt, fern  aller Karikatur und äusserst sympathisch.

Doch auch er kann am Ende die Inszenierung nicht beglaubigen.


Rezensionen in MDR Kultur und O-Ton.online