J. Offenbach Ein dt. Mißverständnis

Neuerscheinung

Empfehlung meines Buches im MAGAZIN Herbst 2023, S. 21 des Boosey & Hawkes Verlags

Erscheinungsdatum11.08.2023

306 Seiten, 32,90


Inhaltsangabe


Einleitung: Der respektlose Umgang mit Offenbach in Deutschland 9

Chronologie des verzerrten Offenbachbildes in der deutschsprachigen Offenbach-Literatur. 17

Friedrich Uhl 1859 (und 1908)18
Heinrich Dorn 1870-1872 20
Max Nordau 1881 21
W. Lackowitz 1894 23
Paul Marsop 1898 24
Operettenführer von Johannes Scholtze 1900 24
Meyers Großes Konversations-Lexikon von 1905-1909 24
Blessinger: Offenbach und die moderne Operette 1920 25
Operettenführer, hrsg. von Walter Milnik 1938. 27
Hans Renner, Die Wunderwelt der Oper 1938 28
Hans Renner: Opern- und Operettenführer 1948  28
Rolf Fath und Anton Würz: Operettenführer 1951 29
Hans Joachim Moser 1958 29
Bernard Grun: „Kulturgeschichte der Operette“ 1961 31
Brockhaus/Riemanns Musiklexikon 1979 31
Neues Handbuch der Musikwissenschaft / Carl Dahlhaus 1980 32
Volker Klotz: 1991 Operette. Porträt und Handbuch einer unerhörten Kunst“ 35
Heinz Wagner: „Das große Operettenbuch“ von 1997 37
Grete Wehmeyer: Höllengalopp und Götterdämmerung. Köln 1997 37
Wikipedia: „Jacques Offenbach“. Drei Missverständnisse 39

 

Offenbach und die Geschichte der Operette  

Die Wiener Operette 47
Die Opéra bouffe 48
Matthias Attig: „Offenbachiade“. Ein wortgeschichtlicher Exkurs 51
Chronologisches Verzeichnis der Werke Offenbachs 58
Offenbach contra Wagner. Ein deutsches Exempel 66

Frühe Offenbach-Apologeten:

Heinrich Heine. Eine Affinität 81
Gioacchino Rossini 84
Eduard Hanslick 85
Friedrich Nietzsche 87
Paul Bekker 89
Oscar Bie 90
Karl Kraus 93
Egon Friedell 95
Anton Henseler 97
Hans Kristeller 110
Siegfried Kracauer 111
Anmerkung zu Adornos Offenbach- und Kracauer-Kritik 112
Kritische Anmerkungen zu den medialen Offenbachdarstellungen 114

 

 

Offenbach-Literatur I. Erste Korrekturen eines verzerrten Offenbachbildes 115

Alfred Einstein: Die Romantik in der Musik. Wien, 1950 115
Siegfried Dörffeldt: Die musikalische Parodie bei Offenbach, Frankfurt a, M. 1954 / 2006 online 117
Alain Decaux. Offenbach. König des Zweiten Kaiserreichs, München 1960 117
Alphons Silbermann. Das imaginäre Tagebuch des Herrn Offenbach, Berlin/Wiesbaden 1961 119
Jacques Brindejont-Offenbach: Mein Großvater Offenbach, Berlin 1967  120
P. Walter Jacob: Jacques Offenbach, Reinbek, 1969    122    


Offenbach-Literatur II. Durchbruch zu einem sachlichen Offenbachbild 124

Jacques Offenbach, Symposionsband, Schauplätze eines Musikerlebens. Köln, 1980 125
Heinz-Klaus Metzger, Rainer Riehn (Hrsg.): Musikkonzepte Jacques Offenbach. München 1980
Samuel Alexander Faris: Jacques Offenbach, Zürich 1982126
Jacques Offenbach, Komponist und Weltbürger. Ein Symposionsband, hrsg. von Winfried Kirsch und Ronny Dietrich, Mainz 1985      127
Tamina Groepper, Aspekte der Offenbachiade, Frankfurt a. M.1990 133
Pipers Enzyklopädie des Musiktheaters München, Zürich 1991 137
Jacobo Kaufmann: Isaac Offenbach und sein Sohn Jacques, Tübingen 1998 138
Josef Heinzelmann in: Neue Deutsche Biographie: Offenbach, München, 1999
R. M. Franke: Offenbach und die Schauplätze seines Musiktheaters, Laaber 1999 141
Peter Hawig: Jacques Offenbach. Facetten zu Leben und Werk. Köln 1999 144
Ralph-Günter Patocka: Operette als Moraltheater, Tübingen 2002 146

 

Offenbach-Literatur III. Das neue Offenbachbild   151

Die Musik in Geschichte und Gegenwart MGG (Offenbach) Stuttgart 2004 151
Peter Ackermann, Ralf-Olivier Schwarz und Jens Stern (Hrsg.): Jacques Offenbach und das Théâtre des Bouffes Parisiens, Fernwald 2005 154
Elisabeth Schmierer: Jacques Offenbach und seine Zeit, Laaber 2009 155
Bettina Brandl-Risi und Clemens Risi: Kunst der Oberfläche, Leipzig 2015 156
Peter Hawig u. Anatol Stefan Riemer: Musiktheater als Gesellschaftssatire. Freiwald, 2018 159  
Ralf-Olivier Schwarz: Jacques Offenbach. Ein europäisches Porträt, Wien, Köln, 2018  161

Alexander Grün, Anatol Stefan Riemer und Ralf-Olivier Schwarz (Hrsg.): Der "andere" Offenbach. Bericht über das internationale Symposium anlässlich des 200. Geburtstages von Jacques Offenbach in der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst Frankfurt am Main am 18. und 19. Oktober 2018, Köln 2019162
Alexander Grün: Le Roi Carotte, Baden-Baden 2020 164
Anatol Stefan Riehmer: „Die Rheinnixen“ contra „Tristan und Isolde“, Baden-Baden 2020  169
Alexander Flores: Jacques Offenbach und sein Werk bei Siegfried Kracauer, Münster, 2021 173

 

Offenbach-Gesellschaften 177

Jacques Offenbach-Gesellschaft Bad Ems e.V. 177

Die Kölner Offenbach-Gesellschaft 178

Auftragswerk der Kölner Offenbachgesellschaft: Heiko Schon: Jacques Offenbach. Meister des Vergnügens 179

 

Kölns Historisches Archiv 185

Der Offenbach-Bestand im Kölner Historischen Archiv185
Online-Ausstellung des Kölner Historischen Archivs über den „Kölner Offenbach“186

 

Die Offenbachrezeption im Dritten Reich 188

Musiktheater (einschließlich Offenbach & Operette) in der DDR. 190

 

Die sozialistische Offenbach-Usurpation in der DDR 196

Margit Gáspár: „Stiefkind der Musen. Operette von der Antike bis Offenbach.
Berlin, 1969
Walter Eidam: Vorwort zu Margit Gáspár: „Stiefkind der Musen. Berlin, 1961
Georg Knepler:  Musikgeschichte, Berlin 1961  
Georg Knepler: Karl Kraus liest Offenbach, Wien 1984
Jochen Irmer: Nachwort zu Jacques Brindejont-Offenbach: Mein Großvater Offenbach, Berlin 1967
Otto Schneidereit: Operettenführer, Berlin, 1975
Otto Schneidereit: Operettenbuch, Berlin, 1955
Otto Schneidereit: Roman um Offenbach Leipzig 1974
Otto Schneidereit: Der Orpheus von Paris, Leipzig 1970
Otto Schneidereit: Tödlicher Cancan, Leipzig 1978
Otto Schneidereit: Offenbach-Biographie, Leipzig 1966
Die Legende Walter Felsenstein

 

Ehrungen, Publikationen, Events und Symposien 213
Zu Offenbachs 200. Geburtstag


Peter Hawig: Zweiteilige Dokumentation der Offenbach-Aktivitäten von 2018-2020. In: Bad Emser Hefte 546 und 547, Bad Ems 2020
Ralph Fischer „Die Zeit ist reif für eine neue Operette! Bad Ems 1998

Das Jacques Offenbach Jahr – Klischees und Legenden.  216

 Das Internationale Symposion in Köln und Paris: „Offenbach, der Europäer: Musik, Theater, Gesellschaft“

Das Kölner Offenbach-Veranstaltungsmotto 2019: „Yes we can can“

Das Offenbachjahr in der Oper Köln
„Barkouf“
„Je suis Jacques“ 

 Ein Vorgriff aufs Offenbachjahr: Das Offenbachfestival an der Komischen Oper Berlin 2016

Das Dilemma der Offenbach-Editionen 233

Ein Ausweg: Die Edition Christophe Kecks (OEK) 233
Plädoyer für einen authentischen Offenbach 233
von Jean-Christophe Keck / Übersetzung: Frank Harders-Wuthenow
Peter Hawig: Warum eine Offenbach-Edition? 238
 Die Forschungsstelle Jacques Offenbach an der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst in Frankfurt am Main 242

Offenbach-Bibliographien und eine Offenbach-Diskographie 243

Thomas Schipperges, Christoph Dohr, Kerstin Rüllke: Bibliotheca Offenbachiana.
Peter Hawig: „Bibliographie zu Jacques Offenbach“
Robert L. Folstein:  Jacques Offenbach. An Annotated discography

 

Aufführungen als Spiegel heutiger Offenbach-Wahrnehmung 245
 

Ritter Blaubart 245
Plauen                                     1994
Halle                                       2017
Berlin                                      2019

Fantasio 249
Karlsruhe                                2014

Die Rheinnixen 253
Ljublijana                               2005 
Cottbus                                   2006

König Karotte 257
Hannover                                2018
 

Die Banditen 260
Cottbus                                   2006

Pariser Leben261
Dresden, Staatsoperette           2012
Magdeburg                              2015

Die Großherzogin von Gerolstein 265
Halle                                        2018

Die Großherzogin von Gerolstein
 Nürnberg                                 2023

Die schöne Helena                   2022    271
Erfurt

Grandiose Offenbach-Trouvaillen, falsch etikettiert und beworben vom Theater, ignoriert vom Publikum
Komische Oper Berlin             2022    275


Ba-ta-clan 278
Brandenburg                            2022

Hoffmanns Erzählungen  282
Bregenz                                   2015
Berlin Komische Oper            2015
Hamburg                                 2019

 

Nachwort: 289

Bibliographie 294

Register 299

DER OPERNFREUND



Buchkritik: „Jacques Offenbach – Ein deutsches Missverständnis“, Dieter DavidScholz

Ehrenrettung für Offenbach


Zumindest partiell ein Lebens-, ganz bestimmt aber ein Liebeswerk ist Dieter David Scholz‚ dreihundert Seiten umfassendes Buch mit dem Titel Jacques Offenbach und dem eine kämpferische Auseinandersetzung vermuten lassendem Untertitel Ein deutsches Missverständnis. Nur partiell, da neben Offenbach auch andere Komponisten, so besonders Richard Wagner, den Autor beschäftigen, allerdings dem Sachsen nicht dessen Zuneigung wie dem Deutschfranzosen zuteil wird, wie nicht zuletzt die Benennung der Wagner-Nase mit „Zinken“ verrät, während das nicht unauffällige Riechorgan Offenbachs keine Erwähnung findet. Ein Text, der in anderer Form bereits in einem Wagner-Buch des Autors erschienen ist, versieht den Leser mit zusätzlichem Material zum Thema Wagner. Mit etwas Stirnrunzeln liest man, dass Wagner die Schwachen verlacht habe, Offenbach die Starken, wobei es zu lachen bei Wagner nicht viel gibt, Beckmesser als Merker und Stadtschreiber so schwach nicht ist.

Die Vielseitigkeit des vorliegenden Bandes zeigt sich darin, dass er auch ein chronologisches Verzeichnis der Werke Offenbachs, eine Übersicht über Werke zu Offenbach und eine Offenbach-Diskographie enthält.

Worin das Missverständnis der Deutschen in Bezug auf Offenbach besteht, wird sehr schnell und immer wieder klar: Es ist einmal die Bezeichnung von Offenbachs sehr unterschiedlichen Werken als Operette, während der Komponist selbst nur einen Teil seiner Einakter mit dieser Gattungsbezeichnung versah, und es ist zudem die Annahme, es gebe eine Entwicklungslinie, die von Offenbachs Werken direkt zur Wiener Operette führe. Erst 1950 findet man nach Scholz bei Alfred Einstein den allein zutreffenden Begriff der Opéra bouffe, und noch 2018 musste sich Peter Hawig gegen eine „Willkür von Begrifflichkeiten“ verwehren. Von Matthias Attig stammt das Bekenntnis zur „Offenbachiade“, das noch besser als alle anderen Begriffe die Einmaligkeit des offenbachschen Werks deutlich macht, das in dieser Form, voller Satire, Ironie, Freizügigkeit und Geschliffenheit, nur im Zweiten Kaiserreich entstehen und überleben konnte, nach dessen Ende mit Schrecken sich Offenbach anderen Gattungen, schließlich der Oper Hoffmanns Erzählungen, die unvollendet blieb, zuwandte.

Natürlich äußerten sich bereits Zeitgenossen zu Offenbach, so Heinrich Heine, mit dem ihm vieles, so Herkunft und Exil, verband, Rossini, der ihn als Mozart der Champs- Eliysees bezeichnete, Nietzsche und Karl Kraus, letzterer allerdings kein Zeitgenosse.

War ein verzerrtes Offenbachbild nicht zuletzt wegen dessen Judentums und infolge der im Krieg von 1870/71 gipfelnden deutsch-französischen Erbfeindschaft in Deutschland beinahe eine Selbstverständlichkeit, so kam es doch mit der Zeit zu von Abneigung oder gar Hass freien Einschätzungen, die der Verfasser in chronologischer Abfolge mit Erste Korrekturen eine verzerrten Offenbachbildes, Durchbruch zu einem sachlichen Offenbachbild und Das neue Offenbachbild betitelt. Dabei ist zu beobachten, dass zwar die Wertschätzung des Komponisten und seiner Librettisten immer mehr zunimmt, allerdings von der Nazizeit und in anderer Form auch in der DDR unterbrochen, der Begriff Operette für Offenbachs Werke aber von einer so unverständlichen wie trotzigen Langlebigkeit ist. So werden Autor für Autor oder auch Lexika einer strengen Prüfung unterworfen, für ihre Einsichten in die Bedeutung Offenbachs für die Musikgeschichte gelobt, aber zwangsläufig immer wieder dem Vorwurf ausgesetzt, sich des falschen Begriffs Operette für Offenbachs Werke zu bedienen. Genüsslich wird auch wiederholt darauf hingewiesen, dass die Barcarole nicht in „heimeliger Venedig-Kulisse“, sondern zunächst in Offenbachs erst in den letzten Jahren wieder öfter gespielter Oper „Die Rheinnixen“ auftauchte, und dass der rauschhafte Tanz in „Orpheus in der Unterwelt“ kein Cancan, sondern ein Galopp ist.

Vom Autor oder von Gastautoren stammen interessante Beiträge über Offenbachgesellschaften und Offenbach-Aufführungsorte wie Wien oder Bad Ems, über das Kölner Offenbacharchiv und seine dramatische Geschichte, eine Charakterisierung der offenbachschen opéra bouffe wie der der Wiener Operette, die durchweg nicht gut davonkommt. Auch die Bühnenpraxis wird in die Betrachtungen mit einbezogen, so die Offenbachpflege an der Komischen Oper Berlin mit sehr unterschiedlich zu bewertenden Aufführungen, wobei Barrie Kosky mit den seinen, vom Publikum bejubelten, nicht gut wegkommt, da er nicht nur nach Meinung des Verfassers allzu viel Travestie in seine Inszenierungen einbaut und damit eine andere Art der Verfälschung praktiziert. Weitere Aufführungskritiken schließen das ebenso kenntnisreiche wie gut zu lesende Werk ab, das im Nachwort von Peter Hawig noch einmal Wesentliches zusammenfasst, was die offenbachsche Opéra bouffe ausmacht, die nichts ernst nimmt, was ernst genommen werden will, zugleich zeitbezogen und überzeitlich ist, Karikatur, Parodie und Persiflage zu ihren Merkmalen zählt, Partei für die Schwachen nimmt, lyrische Ruhepunkte hat, utopische Träume ernst nimmt, das lustbetonte Gute siegen lässt, Paris zum Zentrum hat und eine Musik, die für “entgrenzte Leichtigkeit“ steht, dem entzückten Ohr bietet.

Eine Bibliographie und ein Namensregister beschließen das überaus inhaltsreiche, vielseitige und inspirierende Buch, das dazu angetan ist, ein deutsches Missverständnis ein für alle Mal auszuräumen.


Ingrid Wanja, 25. August 2023



Jacques Offenbach – Ein deutsches Missverständnis
von Dieter David Scholz

Königshausen & Neumann
Würzburg 2023
300 Seiten

ISBN 978 3 8260 7959 7