Opernkongress Florenz 2012

Photos:  Fondazione Cesifin / Florens 2012 / privat / Biennale dei Beni Culturali e Ambientali

Marc Clémeur                           Guy Montavon                  Nicholas Payne

Qirino Principe

Klaus Froboese

Opernkrise im Land der Oper

Ein internationaler Kongress in Florenz


Biennale dei Beni Culturali e Ambientali. 3 - 11 November 2012

   


Das Thema Oper brennt den Kulturpolitikern wie Opernschaffenden Italiens unter den Nägeln, spätestens seit die Regierung Berlusconi der Oper durch dramatische Kürzungen ihrer Zuwen-dungen beinahe den Todesstoß versetzte. Dass überhaupt noch Opernhäuser spielen in Italien grenzt an ein Wunder, was grotesk anmutet im Land, in dem die Kunstform Oper ent­standen ist und das über die reichste Operntradition und die größte Dichte an historischen Opernhäusern verfügt. Die jetzige Regierung Monti hat sich auf die Fahnen geschrieben, das Problem Oper in Italien zu lösen. Sie will bis Ende dieses Jahres ein Dekret erlassen, auf das alle Opernschaf-fenden sehnlichst warten. Als eine Art öffentliches Brainstorming darf denn auch der von der Fondazione Cesifin (einer der reichsten toskanischen Stiftungen, die sich um Kulturvermittlung verdient macht) veranstaltete Internationale Kongress über Organisation, Management und Finanzierung von Opernhäusern betrachtet werden.


Das man nicht die Frösche beauftragen darf, die Sümpfe trocken zu legen, wie ein altes chi­ne-sisches Sprichwort sagt, wurden neben italienischen auch französische, englische und deutsche Intendanten eingeladen, Wissenschaftler, Publizisten und der Direktor des Deutschen Bühnen-vereins. Man tagte vor zahlreichem Publikum in einem der größten und schönsten Re­naissance-säle, dem Salone dei Cinquecento im Palazzo Veccchio. Einen vornehmeren Ort hätte man nicht finden können. Aber es ging schließlich um das Herzstück der italienischen Kultur, darin zumin-dest waren sich alle anwesenden Opern­intendanten einig. Uneinigkeit, Befangenheit oder par-tielle Blindheit herrschte darüber, was zu tun sei, Italiens Opernmisere zu beenden und was die Ursachen dieser Opernkrise sind. Da wurde viel um den heißen Brei herumgeredet. Doch die eigentlichen Probleme haben weder mit dem Stagionebetrieb noch mit dem Repertoire zu tun. Auch an Publikumszuspruch mangelt es in Italien nicht, trotz der Tatsache, dass die Musik im Bildungssystem inzwischen (wie auch hierzulande) sträflich vernachlässigt wird, worauf beson-ders Quirino Principe, die graue Eminenz unter den Kulturpublizisten Italiens hinwies. Vor allem die ausländischen Teilnehmer machten durch die Darstellung ihrer so ganz anderen Opern-Betriebssysteme deutlich, dass Reformen und radikale Veränderungen nötig seien, um einen Weg aus der dramatischen Opernsituation Italiens zu finden. "Italien befindet sich, was Oper angeht, seit Jahrzehnten in einem lethargischen Zustand. Man absolviert Vorstellungen, irgendwie und irgendwo, die Probezeiten werden immer kürzer, die Sängergagen steigen, die Dirigenten haben das Sagen und viele Intendanten haben keine Ahnung von Oper", so Guy Montavon, Intendant des Opernhauses Erfurt.


Was nicht nur er fordert: Der kulturelle Auftrag von Oper muss in Italien neu definiert werden. Die Krise der Oper in Italien liegt auch nicht an mangelnder Qualität von Bühnentechnik, Werk-stätten, Sängern und Orchestern, im Gegenteil, sie sind vorzüglich! Die "Krankheit der Oper in Italien", von der Marc Clémeur, Intendant der Opera de Rhin in Strasbourg spricht, liegt in der aufgeplusterten Administration. "Da werden Posten verschenkt, Freundschafts­dienste erwiesen, Stellen politisch besetzt. Ich glaube, davon muss man sich ganz schnell verabschieden, denn die Substanz wackelt" (Guy Montavon). Marc Clémeur brachte es auf die Formel: "Weniger Politik in den Opernhäusern!" Die besten Modelle von Oper sieht er in denen, die einem Privatbetrieb ähneln. "Das heißt, man braucht einen Aufsichtsrat, in denen die Geldgeber vertreten sind, aber die Leitung des Betriebes sollte einem Generaldirektor überlassen werden, der nicht von Politi-kern nominiert, sondern durch öffentliche Aus­schreibung ermittelt wird nach Qualifikation und Originalität." Das italienische Modell mit Presidente, Vice Presidente, Sovrintendente (Geschäftsführender Direktor) und unter­geornetem Direttore artistico, zu schweigen von anderen fragwürdigen Personal-Positionen, hat sich als hemmend für den Opernbetrieb erwiesen und ausgedient. Dazu kommen die Probleme der Finanzierung von Oper in Italien. Sie muss lang-fristiger geplant, durchgesetzt und durchgeführt werden als bisher. Natürlich gibt es Häuser, die wie hierzulande in kommunaler, regionaler oder staatlicher Verantwortung stehen.


Jedes Haus hat auch in Italien seine Geschichte in Sachen Finanzierung. Marc Clémeur sieht "das beste Modell in einer gemischten Finanzierung, sodass es nicht nur einen großen Geldgeber gibt". Die Fondazioni liricho-sinfoniche (denen inzwischen neben den 28 traditionellen Mehr-spartentheatern 14 Opernhäuser angehören) sind ein Schritt in die richtige Richtung. Aber der Staat ist gefordert, mehr Verantwortung zu übernehmen und den Rahmen verbindlich abzu-stecken. Und die bisher einzelkämpferischen Opernschaffenden sollten sich endlich vernetzen. "Sie müssen eine schlagkräftige und einflussreiche Organisation entwickeln, um ihre Interessen zu vertreten", wie Klaus Froboese zurecht fordert. 


Man kann nur hoffen, dass die Kulturpolitiker Italiens die Probleme, die auf dem Kongress deut-lich benannt wurden, erfasst und beherzigt. Dass ausgerechnet der Vertreter des italie­nischen Kulturministeriums (Ministero per i Beni e le Attività Culturali), Salvatore Nastasi, durch per-sönliche Abwesenheit glänzte und stattdessen nur ein trockenes, statistisch-vieldeutiges Papier verlesen lies, gibt allerdings zu denken. Doch die Diskussion hat begonnen, das öffentliche In-teresse an einer Veränderung des Opernsystems in Italien ist sensibilisiert und man sollte nicht vergessen, woran Nicholas Payne, Direktor von "Opera Europa" in seinem brillianten Vortrag erinnerte: Seit der Erfindung der Gattung Oper durch Monteverdi durchlebt die Oper unentwegt Krisen. Wie oft wurde die Oper totgesagt?


Kongress-Präsident Klaus Froboese ist denn auch optimistisch: "Ohne Frage hat die Opernkrise im Moment in Italien ihren Höhepunkt erreicht. Aber Italien wäre nicht Italien, wenn es nicht auch Möglichkeit hätte, sich am eigenen Schopf wieder aus diesem Sumpf herauszuziehen."

 

Verschiedene Beiträge in DLR-Kultur, MDR, "Das Orchester", SWR 2