Brigitte Hamann: Die Familie Wagner

Die Familie Wagner oder über "den Zorn der zu kurz gekommenen Verwandten" im uralten Boulevard-stück des Bayreuther Wagnertheaters." Brigitte Hamann nimmt kein Blatt vor den Mund: "Geldgier, Betrug, Lügen, Meineid, Ehebruch und Dynasten­wahn" (Maximilian Harden). Sie stellt es ungeschminkt dar.

Sie heult nicht mit den Wölfen

Brigitte Hamann: Die Familie Wagner

rororo monographie. Juli 2005.176 S.

 

Die in Wien lebende Historikerin Brigitte Hamann hat zahlreiche Bücher vor allem zur österreichischen Geschichte veröffentlicht. Ihr Buch „Hitlers Wien“ wurde ein Bestseller, der in zahlreiche Sprachen übersetzt wurde, von Presse und Fachwelt hochgelobt. Vor 3 Jahren erschien ihr nicht min­der erfolgreiches Buch über „Winifred Wagner oder Hitlers Bayreuth", in dem sie mit Tabus brach und einen unerschrockenen Blick auf Winifred Wagner und ihre Söhne Wolfgang und Wieland wagte. Sie zeigte Nach­kriegs­bayreuth in gänzlich neuem, ungefiltertem Licht. Brigitte Hamann hat jetzt in der verdienstvollen Reihe der rororo-monographien – pünktlich zu den diesjährigen Bayreuther Festspielen – einen Band über die Familie Wagner herausgebracht.


Nicht nur die Göttersippe um Wotan in Richard Wagners Nibelungen-Ring lässt an den Denver Clan denken, auch die Familie Wagner selbst ist seit dem Tod Richard Wagners 1883 mehr und mehr zu einem Familienun­ternehmen geworden, in dem jeder gegen jeden kämpft und alle nach der Haus-Macht streben. Schon 1914 schrieb der Journalist und Autor Maximilian Harden, den die Hamann zitiert: Im so hehren Bayreuth der "wahnfriedlich weihfestlichen Edelmenschen " herrschten "Geldgier, Betrug, Lügen, Meineid, Ehebruch und Dynastenwahn". Daran hat sich bis heute im Grunde nichts geändert. Und keiner hat das bis heute so ungeschminkt, so deutlich und präzise dargestellt wie die Historikerin Brigitte Hamann.


Am Anfang von Hamanns Monographie stehen Richard Wagners Her­kunft, seine Vita und sein schillernder Charakter. Was für ein schamloses Pumpgenie (Thomas Mann) Wagner war, belegt sie mit einem seiner Bittschreiben an Liszt, in dem er am 15. Januar 1854 wieder einmal Geld fordert: „Ich kann ... nicht wie ein Hund leben, ich kann mich nicht auf Stroh betten und mich in Fusel erquicken: meine stark gereizte, feine, ungeheuer begehrliche, aber ungemein zarte und zärtliche Sinnlichkeit muss irgendwie sich geschmeichelt fühlen, wenn meinem Geiste das blutig schwere Werk der Bildung einer unvorhandenen Welt gelingen soll.“


Ein anderes bezeichnendes Zitat aus den Erinnerungen der Eliza Wille, einer reichen Gönnerin, überliefert, was Wagner ihr über seine erste Frau. Minna, sagte:“Sie fühlte nicht, dass ein Mann wie ich, nicht mit gebundenen Flügeln leben kann!“

 

Punktgenau hat Brigitte Hammann Wagner getroffen, in seiner ganzen Widersprüchlichkeit, mit seinen Antinomien, dem Liebens- und dem Hassenswerten an ihm. Und sie unterscheidet der historischen Fairness halber sehr genau zwischen Wagner und dem nachfolgenden Wagnerkult. Sie macht deutlich, dass Wagners zweiter Gattin, Cosima, die ihren Mann um mehr als 40 Jahre überlebte, zwar das unbestreitbare Verdienst zukommt, die Bayreuther Festspiele erst recht eigentlich als Marke und Unternehmen etabliert zu haben, sie aber gleichzeitig den Tempeldienst und die Vergötterung, ja Verfälschung Richard Wagners und seines Werks zu verantworten hat.


Auch über die exakte Herkunft und Sozialisation Cosimas, der Tochter Franz Liszts und der Gräfin Marie d`Agoult, über ihre Schuldkomplexe gegenüber Hans von Bülow, den sie Wagner zuliebe verließ, über ihre Unterwürfigkeit gegenüber Wagner erfährt man manches. Hans Graf Kessler, der ebenfalls zitiert wird, schilderte sie am 20.7.1897 bezeichnend: „Unter all ihren Gästen, Männern und Frauen, sieht sie aus, als wenn sie von einer anderen Rasse wäre: ganz Knochen und Willenskraft.“


Auch dass Wagner, der bekennende Edelsozialist, zeitweise bis zu 12 Personen Personal in der Villa Wahnfried Bayreuth beschäftigte, seiner Luxusimmobilie, aber auch in seiner Residenz Tribschen, die auch von Ludwig II. finanziert wurde, wird nicht verschwiegen. Seine Marooten aös Bürgerschreck belegt sie mit herrlichen Anekdoten, etwa dass er immer wieder auch bei offiziellen Anlässen Leute mit spontanem Kopfstand verblüffte.

 

Bemerkenswert ist auch das Zitat aus den Tagebüchern Cosimas vom 2.Okt. 1878, das Brigitte Hamann zitiert: „Bei Gelegenheit des Königs sagt er von den Fürsten, dass man eigentlich mit ihnen allen umgehen müsse wie mit Wahnsinnigen.“ Die Bayreuther „Festspiele scheinen ihm absurd,“ so Cosima am 9.2. 1883, kurz vor seinem Tod.

 

Viel erfährt man über die Kinder Blandine, die den Grafen Gravina, Daniela, die den Kunst-Historiker Henry Thode, und Eva, die den völkischen Schriftsteller H. S. Chamberlain heiratete, unter dem Bayreuth zum „Zentrum des Deutschvölkischen“ mutierte. Eva hatte die Oberaufsicht der kranken Mutter inne und verwaltete ihre Dokumente, nicht ohne sie gelegentlich zu fälschen. Auch über die italienischen Enkel Cosimas erfährt man Einiges.

 

Nach dem Tode Siegfrieds, des Sohnes Cosimas, der 1930, nur vier Monate nach seiner Mutter starb, er wird in seiner Labilität und Schwäche gegenüber seinen dominanten Schwestern geschildert, kommt die Stunde seiner Gattin Winifred. Sie wird zur Alleinherrscherin am Grünen Hügel und zur Steigbügelhalterin Hitlers. Dafür rettet der "Führer" die Festspiele vor dem Konkurs. Und der Wagnerschwärmer Hitler wird erst durch Bayreuth gesellschaftsfähig. In einem Gespräch sagte mir die Autorin: "Natürlich brauchte Hitler in den 20er Jahren das Großbürger­tum. Er brauchte vor allem Geld. Die Wagners hatten zwar kein Geld, aber sie hatten un­glaub­liche Beziehungen zu allen mög­lichen Leuten mit Geld, die ja auch für Bayreuth gespendet hatten. Das war der Sinn der Übung." (Hamann)


Brigitte Hamann zitiert die Bayreutherin Lotte Warburg, die in ihren Erinnerungen schon am 3. August 1933 schrieb, die Stadt „sei voll von braunen Jacken“. Brigitte Hamann zeigt Winifred Wagner allerdings nicht – wie üblich – als böse Nationalsozialistin, sondern in ihrer ganzen Widersprüchlichkeit. In einem Gespräch sagte sie mir: "Na ja, weil sie widersprüchlich ist, und weil ich glaube, dass jeder Mensch widersprüchlich ist. Das ist ja auch gerade das Phänomen, das mich dann so interessiert hat, wie eine Frau, die nach wie vor ihre alten antisemitischen Sprüche wiederholt hat bis in ihr hohes Alter, aber gleichzeitig, gerade in den schlimmsten Jahren in den vierziger Jahren, sich persönlich sehr aktiv für Juden, für jeden persönlichen Juden eingesetzt hat, auch für Schwule. Ich habe alle Fälle nachgeprüft und bei den Nachprüfungen sind immer neue Fälle aufgekommen." (Hamann)


Dass die Wagnerfestspiele „Hitlers Hoftheater“ wurden, wie Thoms Mann zitiert wird, sei in Frage gestellt, zumal Winifred sie weitgehend freihielt von Nazieinfüssen, und relativ frei scahltetet und waltete.  Die Hamann weist darauf hin: „Hitlers Wagnerverehrung ist keineswegs ein Teil der Nazi-Ideologie. Nur er, nicht die Partei, macht sich zum Protektor von Wagners Werk.“


Besonders brisant ist das Kapitel über Wieland, der sich ja nach dem Krieg als Saubermann und Entrümpler aufspielte und auf Konfrontation zum Dritten Reich und zu seiner Mutter ging, ja sogar eine Mauer im Garten zwischen ihrem und seinem Haus bauen ließ. Winifred leugnete ihre Vergangenheit niemals. Wieland hingegen wusste nach 1945 nicht mehr, dass er noch bis 1945, wie die Hamann aufzeigt, ein von Ehrgeiz zer­nagter, strammer Nazi war. "Na ja, der Obernazi von Bayreuth in den Vierzigerjahren". (Hamann)


Wieland, der engen persönlichen Kontakt zu Hitler pflegte, schon in seiner Jugend über viel Geld verfügte, wie man erfährt – es war fast eine Sohn-Wunschvater-Beziehung –, wurde vom Führer um künftigen Festspielleiter erkoren. Der wurde Wieland – gemeinsam mit Wolfgang – denn auch, nach dem Kriege. Seine Nazivergangenheit leugnete er so angstvoll wie schamlos. Die Welt vergaß seine Vergangenheit. Oder wollte sie vergessen. Nicht Brigitte Hamann. Sie hat bewundernswert recherchiert, nie veröffentlichte Quellen ans Licht gezogen, sie kennt kein Pardon, wenn es um die Wahrheit geht, deshalb zeigt sie auch Wielands Bruder Wolfgang, den vielgescholtenen, in seiner redlicheren, jedenfalls politisch unbelasteteren Persönlichkeit.

"Wieso sollte ich mit den Wölfen heulen, wenn ich ganz andere Erfah­rungen gemacht habe?"

Übrigens weist schon Brigitte Hamann auf Friedelinds (sie galt als das enfent terrible der Winifred-Kinder) Falschaussagen in ihrem Buch „Heritage of Fire“ hin.


Auch die nachfolgende Generation, die sich bis heute um das Bayreuther Erbe zankt, allen voran die kluge Nike, Tochter Wielands, die zeitweilig das Kunstfest Weimar leitet (und danach das Bonner Beethovenfest / Nachtrag DDS), und Eva, die Tochter Wolfgangs aus erster Ehe, die einstige Casting-Chefin beim Festival D´Aix-en-Provence, wird dargestellt. Aber auch die weniger bekannten Kinder und Enkel Winifreds und Wolfgangs. Am Ende geht es natürlich um Katharina Wagner, die Tochter Wolfgangs aus zweiter Ehe, von ihm selbst als seine Nachfolgerin auserkoren und bis heute Festspielchefin (ein Kapitel für sich, ich habe es an anderer Stelle dargestellt).


"Was auch immer geschieht", so liest man im Schlusswort, "eines wird jedenfalls bleiben, solange ein Wagner die Festspiele leitet: der Zorn der zu kurz gekommenen Verwandten im uralten Boulevardstück des Bayreuther Wagnertheaters". Keiner hat es besser auf den Punkt gebracht als Brigitte Hamann.

 

Rezension u. a. im NDR 2005