Schlaf und Musik

Photo: Wilfried Hösl /Münchner Nationaltheater / "Hänsel und Gretel"

 

"Lass mich schlafen"- Musik und Schlaf

 

 

Am 21. März ist internationaler Weltschlaftag.  Ob Frühjahrsmüdigkeit oder Winterschlaf, die heilende Wirkung des Schlafens oder Schlaf zum Vergessen des schnöden Weltgetriebes: Das ist nicht nur ein Thema für Mediziner oder Psychologen. Auch und gerade in der Musik war der Schlaf schon immer ein wichtiges Thema.

 

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Johann Sebastian Bach hat für den Grafen Hermann Carl von Keyserlingk eine Arie mit 30 Variationen geschrieben. Der Graf hatte sie in Auftrag gegeben zur Linderung seiner quälenden Schlaflosigkeit. Johann Theophil Goldberg, ein Schüler Bachs, musste dem Grafen diese seither so genannten Goldberg-Variationen immer wieder vorspielen. – Man sieht an diesem Beispiel: Der Mensch braucht den Schlaf zum Leben wie die Luft zum Atmen. Aber nicht nur der Mensch, auch die Kreatur. Und selbst das Jesuskind in der Krippe, wie man Bachs Weihnachtsoratorium entnehmen kann: „Schlafe, mein Liebster, genieße der Ruh.“

 

 

Einen Großteil seines Lebens verschläft der Mensch. Schlaf ist die einfachste Sache der Welt.: Wer müde ist, legt sich hin, schließt die Augen, schläft, und wacht danach erholt wieder auf. Schlaf ist wichtig, ist gesund, ist heilsam! Wer zu wenig schläft, lebt gefährlich. Die Musik wusste das von je. Kein Wunder, dass die Komponisten - seit Menschengedenken - Schlaflieder schrieben, Lieder zum Einschlafen. Zum häuslichen Gebrauch, als Kunstlied und in der Oper. Schon in einer der ersten Opern, in Monteverdis "Krönung der Poppea" kommt der Schlaf zu seinem Recht, denn selbst die rastlos ehrgeizige Prostituierte Poppea kommt auf ihrem durchs Bett führenden Weg zur Kaiserkrone nicht umhin, gelegentlich zu schlafen. Sorgsam wird sie von ihrer Amme Arnalta behütet und in den Schlaf gesungen, denn Arnalta weiß, dass Mächtige gefährlich schlafen: „Leg dich hin, Poppea, Poppea, mein Herz, ruh Dich aus, Du bist gut bewacht.“

 

 

 

Während Poppea schläft, tritt Gott Amor persönlich auf und besingt die Gefahren des Schlafens: "So leben die Menschen im Dunkel, und sie glauben, sie seien vor jeder Gefahr sicher, sobald sie die Augen schließen." Im Schlaf kommen nicht nur die üblen Träume, sondern auch die Mörder, wie der Liebesgott Amor besingt. Aber einen Trost hat er für die arglosen Menschen: "Während Du in schläfrige Vergesslichkeit sinkst, bewachen die Götter Deinen Schlaf!" Und wo es nicht die antiken Götter sind, sind es die christlichen Engel. Engelbert Humperdinck läßt sie in seiner Oper "Hänsel und Gretel" sogar auf einer Himmelsleiter herabsteigen, um die beiden verirrten, in Schlaf sinkenden Kinder im Wald zu beschützen. Humperdincks „Abendsegen“ mit der anschließenden „Traumpantomime“ gehört zu den romantischsten Schlafmusiken. An denen die Musikgeschichte reich ist. Man denke nur die vielen Schlummerlieder, etwa für Laute geschrieben im England der Renaissance, fürs Klavier im 19. Jahrhundert, in Frankreich wie in Deutschland. Wer kennt nicht die Träumerei von Robert Schumann? 

 

Zum Schlafen gehört nun Mal das Träumen. Die Oper ist voll von "Mittsommernachts-" Träumen. Aber Träumen ist auch Wachen. Und „Wachen Walten des Wissens“. Jedenfalls bei Erda ist es so in Richard Wagners "Ring des Nibelungen". Erda ist eine der archaischsten Muttergottgestalten der Opernbühne, die dem Schlaf philosophische Würde und elementare Gewalt verleiht. Selbst Gott Wotan kann sich gegen die erdmütterliche Macht des Schlafes nicht wehren. Die Worte "Schlaf verschließe mein Wissen" schleudert Erda dem so wiss- wie machtgierig scheiternden, tragischen Gott im dritten Teil des Rings, im "Siegfried", entgegen, und versinkt vor seinen Augen langsam in der Erde. Wenn Wagner selbst die Musik der Wellenbewegungen im "Rheingold", dem Auftakt seins "Rings" ein "Wiegelied der Welt" nannte, darf man Erda im "Siegfried" wohl als die Amme der Welt bezeichnen.

 

Das Schlaf kein sicheres, eher ein trügerisches Verhalten der Besitzenden Klasse ist, lernt man durch den in einen Drachen verwandelten Riesen Fafner im „Siegfried.“ Er sitzt auf dem „Nibelungenhort“ und hortet seinen Reichtum. „Ich lieg und besitz: lasst mich schlafen!“ Umsonst: Siegfried weckt ihn, nimmt ihm das Leben und seinen Besitz. Also, immer wachsam sein!

 

Die inbrünstigste Vertonung des menschlichen Bedürfnisses nach Schlaf zur Aufhebung aller Schranken - zur Verwirklichung der Liebe - hat Richard Wagner in "Tristan und Isolde" komponiert, in seinem "Opus metaphysicum", wie der Philosoph Fridrich Nietzsche das beispiellose Wort-Ton-Drama nannte.

Was Schopenhauer formulierte, „Der Tod ist ein Schlaf, in welchem die Individualität vergessen wird,“ hat Wagner musikdramatisch zum Exempel erhoben. Tristan und Isolde wollen die Grenzen ihrer individuellen Unterschiede überwinden. Sie erstreben die nach Schopenhauer so erstrebenswerte Auflösung der Ich-Grenzen, einen Zustand der leidenschaftsbedingten Selbstvergessenheit, und beschließen zusammen den gemeinsamen Tod, um sich jenen vollkommenen Zustand der Liebe auf Ewig zu erhalten. Klappt nur leider nicht!

 

Wie auch immer: Die Musik besingt den Schlaf unermüdlich und in allen Gattungen aller Zeiten, weil sie um die Schlaflosigkeit des Menschen weiß. Eine der schlimmsten Plagen aller Lebenden, Quelle von Krankheit und Unglück. Aber die Musiker kannte seit je ein sicheres therapeutisches Mittel gegen die Schlaflosigkeit: die Musik! Richard Straus lässt es den Theaterdirektor schon in der ersten Szene seines Konversationsstücks für Musik "Capriccio" aussprechen:  "Bei sanfter Musik Schläft Sich's am besten"

 

Zum Schlaf gehört - im Unterschied zum Ewigen Schlaf, dem Tod, naturgemäß das Aufwachen. Auch das ist Teil des großen, schönen, vielfältigen Themas "Schlaf", das die Komponisten von Bach bis Britten, von Purcell bis Bruckner, Wagner bis Strauss und weit darüber hinaus immer wieder aufgegriffen haben: Das Erwachen des Menschen aus der Nacht wie das Erwachen der Natur aus dem Winterschlaf. Gustav Mahler hat es im ersten Satz seiner Ersten Sinfonie in Tönen erzählt.