Richard Wagner in Zürich

Ausstellungskatalog

Revolutionäre Gedankenwelt und schweizerische Naturlandschaft



Heute, am  26. Juni 2008, ist im Museum Bärengasse, einer Depen-dance des Schweizerischen Lan-desmuseums Zürich, eine große Ausstellung mit dem Titel „Kunst-werk der Zukunft“ eröffnet worden. Sie ist Richard Wagner gewidmet, der als politischer Flüchtling fast zehn Jahre in Zürich gelebt hat, viel in der Bergwelt wanderte und dort einen Großteil seines „Kunstwerks der Zukunft“ konzipierte.

Richard Wagner in Zürich: Ein Glücksfall von Ausstellung!



Am 28. Mai 1849 traf der 36-jährige Richard Wagner, als Dresdner Revolutionär steckbrieflich verfolgt, von Franz Liszt mit einem fal-schen Pass ausgestatte, in Zürich ein. Am 17. August 1858 verließ er die Stadt wieder. Felix Graf vom Schweizerischen Landesmuseum und zuständig für das Museum Bärengasse, das Zürcher Schaufenster des Schweizerischen Landesmuseums:


Vor 150 Jahren hat Richard Wagner, der ja als politischer Flüchtling hierher gekommen ist, dieses Zürich wieder verlassen, nachdem er neun ausgesprochen  produktive Jahre hier verlebt hat. Das ist Grund genug, um diesen extravaganten Künstler und sein Zürcher Zeit mit einer Sonderausstellung zu vergegenwärtigen. 


Es ist eine große Ausstellung, die Wagners Leben und Wirken, Denken und Schreiben bzw. Komponieren in der Stadt an der Limmat neu beleuchtet. Neu, indem sie erstmals die enorme Bedeutung dieser Symbiose Wagner-Zürich hervorhebt. Eva Hanke, die Kuratorin der Ausstellung, sie hat zuvor eine große wissenschaftliche Arbeit über Wagner in Zürich publiziert:


Es hat sich jetzt herausgestellt, entgegen der Erwartungen, dass Wagners Züricher Jahre die wichtigsten und zentralen in seinem Leben und Schaffen waren.


Sie hat recht, denn Wagner hat in Zürich seine wegweisenden kunsttheoretischen Schriften wie „Die Kunst und die Revolution“ und „Das Kunstwerk der Zukunft“, aber auch sein biographisches Resümee „Eine Mitteilung an meine Freunde“ geschrieben, er hat viele Dramen-entwürfe konzipiert und ausgeführt, nicht nur „Tristan und Isolde“.  Allem voran, den „Ring des Nibelungen“, den er in Zürich auch zu weiten Teilen komponierte.


Natürlich war das ein Glücksfall, es war auch ein Glücksfall, dass er fernab vom höfischen Kulturbetrieb und von einem etablierten Musikbetrieb seine künstlerischen Ideen, die schon revolutionär und eben demokratisch ausgerichtet waren, weiter verfolgen konnte, in einem Klima, das eben auch demokratisch gesinnt war.  (Graf)


Richard Wagner war einer unter Tausenden von Flüchtlingen, die um 1850 Zürich bevölkerten, ein privilegierter allerdings, denn er hatte einflussreiche Freunde und Förderer, die ihm die Wege ebneten und ihn auch materiell unterstützten. Der Klavierlehrer Alexander Müller beispielsweise kannte alle wichtigen Leute der Stadt. Auch Politiker wie die beiden Staatsschreiber Sulzer und Hagenbuch, die Wagner sofort einen schweizerischen Pass verschafften und auch seine Kaution hinterlegten. Sie vermittelten Freundschaften und Austausch mit Literaten wie Gottfried Keller, Eliza Wille, Georg Herwegh und Johanna Spyri sowie ihrem Ehemann, dem Journalisten Bernhard Spyri, der viel für Wager tat. Vor allem aber stellten sie den Kontakt her zum reichen Kaufmann Otto Wesendonck, der zum wichtigsten Mäzen Wagners wurde. 


Man begegnet in dieser Ausstellung nicht nur Richard Wagner, seiner Person, seinem Werk, sondern eben auch dem Zürich der 1850er Jahre, dem Zürich Gottfried Kellers, dem Zürich in der politischen intellektuellen, künstlerischen Aufbruchstimmung des jungen Bundesstaates. Und dieser junge Bundesstaat, der italienische und deutsche Flüchtlinge aufgenommen hat in großer Zahl, das war notabene in jener Zeit ein Schurkenstaat im damaligen Europa. Und das war ein hochinteressantes Klima. (Graf)


Hochinteressant sind auch die Exponate dieser Ausstellung: Die goldene Schreibfeder, die Wagner von Otto Wesendonck erhalten hat, auf der er nicht nur den „Ring“ schrieb, sondern auch ein geradezu kalligraphisch schönes Textbuch zu „Tristan und Isolde“, das verschollen schien, jetzt aber aus Privatbesitz auftauchte, hier zum ersten Mal gezeigt wird, daneben Partituren, Autographen seiner in Zürich entstan-denen Schriften, Briefe, aber auch Photos, Aquarelle, Gemälde, Theaterzettel, Einladungen zu Soiréen, Urkunden, aber auch persönliche Memorabilien wie etwa Stoffmusterproben Wagners oder Sulzers Diamantring, Herwegs Notizbuch, Geschirr und Tischwäsche der Wesendoncks und Gotttfried Kellers Lesebrille.


Auf zwei Stockwerken wird Wagners Zürcher alltägliche Lebens-  und Arbeitswelt zur Schau gestellt. Ein Großteil der Ausstellungs-stücke stammt neben Leihgaben aus in- und ausländischen Museen und öffentlichen Archiven aus schweizer Privatarchiven und Sammlungen der Nachfahren von Wagners Zürcher  Freunden, zumeist traditionsbewussten Zürcher Familien. Nicht nur Richard Wagner profitierte von Zürich, auch Zürich profitierte von Wagner, wie man  spätestens in dieser bedeutenden Ausstellung begreift, denn Wagners vielfältige Aktivitäten im jungen, noch unterentwickelten Zürcher Musikleben waren beträchtlich.


Es war Experimentierfeld, Experimentierbühne, sie hat ja in dem Sinne gar nicht bestanden, Wagner musste sie ja zuerst schaffen und fördern. Das war das, was Wagner  Zürich vermittelt hat. Er hat das Musikleben enorm stimuliert, modernisiert und  professionalisiert.  (Graf)


Der Ausstellungsgestalter und –Architekt Adrian Buchser hat dieses Ineinander von gesellschaftlichem Zürcher Lebensalltag und Wag-ners Kunstproduktion, von revolutionärer Gedankenwelt und schweizerischer Naturlandschaft deutlich und doch auch  theatralisch- insze-niert, mit suggestiven Lichtinstallationen,  schwebenden Vitrinen, weichen Teppichböden und Wagnermusik als Raumklang. Man lernt viel in dieser Ausstellung, ohne belehrt zu werden. Es ist eine sinnlich-atmosphärische Ausstellung geworden,  die anders als die erste Zürcher Ausstellung von 1953, wo man zum erstenmal primäre Wagnerzeugnisse sichtete und zeigte, ein vernachlässigtes Kapitel aus Wagners Leben konzentriert und umfassend in seinem Kontext veranschaulicht. Keine Ausstellung für Spezialisten und Kenner allein, sondern durchaus für ein breites Publikum, weil man als ganzer Mensch eintauchen kann  in die Zürcher Lebens- und Arbeitswelt, die sinnliche und die intellektuelle Welt Wagners, der Zürich den entscheidenden Inspirations- und Karriereschub seines Lebens verdankt .



Beiträge in: SWR2 Musik aktuell + DLF Kultur heute


 


Die Ausstellung „Kunstwerk der Zukunft“ im Zürcher Museum Bärengasse des Schweizerischen Landsmuseums, ist noch bis zum 16. November zu besichtigen.  Es gibt einen lesenswerten Katalog: 200 Seiten farbige und schwarzweisse Abbildungen (145)

Format 20.5 x 27.5 cm, Klappenbroschur, 2008