Parsifal in Minden

Foto: Stadttheater Minden © Alex Lehn

 

Wagners Parsifal in Minden
„auf der Stufe der Verhunzung“ (Th. Mann)

 

Nach den vom Richard Wagner Verband Minden initiierten Gemeinschafts-Produktionen mit der Nordwestdeutschen Philharmonie (Landesorchester NRW) und dem Stadttheater Minden sprachen nicht wenige, auch ich, vom „Wunder Minden“, zumal man den Fliegenden Holländer, Tannhäuser, Lohengrin, Tristan und Isolde und den kompletten Ring mit privatem finanziellem Engagement und Risiko zustande brachte. Eine einzigartige Leistung bundesweit.


Verantwortlich für dieses „Wunder“ ist der Richard Wagner-Verband Minden, vor allem seine Vorsitzende, Dr. Jutta Hering-Winkler, ein Organisations- und Geldbeschaffungsgenie, ihres Zeichens Rechtsanwältin und Notarin.


In diesem Sinne kann man auch bei dem von ihr jetzt ermöglichten Parsifal angesichts der enormen Anforderungen der Realisierung dieses Stücks zumindest von einem Sponsoring-Wunder“ sprechen. Künstlerisch ist die Produktion, vor allem die Regie von Eric Vigié, langjähriger Intendant der Oper Lausanne,ein eher ein Debakel. 


Die Inszenierung ist eine groteske Mischung aus Science-Fiction, Walt Disney-Effekten, Comedy, Gothic Style und etwas „Clockwork Orange“. Wie in einem magisch-mythischen Zeichentrickfilm erlebt der Zuschauer Video-Fahrten durch Wald und Auen, samt fallender Blätter und schwimmender Schwäne, Fluss- Landschaft und Gralsburg samt sich öffnendem und schließendem Fallgitter sowie Rittergalerie. Es sind am Rande des Kitsches rangierende Projektionen auf einem Schleier vor dem auf der Bühne sitzenden Orchester.


Die Personenführung (es wird nur auf der Vorbühne agiert) ist weitgehend statuarische Rampenregie in „oberammergauer“ Erzählweise, quasi religiös (was Wagners Intention völlig widerspricht), weihevoll und vordergründig. Dass die Regie im zweiten und dritten Akt dieser Konzeption ohne Blumenmädchen und Gralsritter auskommen muss (sie stehen auf einer Galerie hinter dem Orchester), erweist sich als Manko an dramatischer Aktionsmöglichkeit und szenischer Glaubwürdigkeit.


Die surrealistisch animierte und zerschnippelte Videofassung von Boschs „Garten der Lüste“ im zweiten Akt ist schon eine Zumutung. Doch die Schlußpointe schlägt dem Fass den Boden aus. Ein digital phantasierter goldener Jesus, nach Art von Dante Rosetti frei nach Leonardo Da Vinci und Michelangelo, auf den Schleier projiziert, segnet den Erdenkreis und den Sternenhimmel, ja darf  am Ende „winke winke“ machen wie eine japanische Maneki Neko Katze. Das ist – mit Verlaub gesagt – geschmacklos, so geschmack- und geistlos wie die ganze Regie und Ausstattung Eric Vigiés. Was für ein Missverständnis des Werks!


Auch die Sängerbesetzung ist weitgehend unbefriedigend und weit hinter dem bisherigen Mindener Modell und seiner Qualität zurück.


Der junge Finne, Jussi Myllys (darstellerisch tatsächlich ein "reiner Tor") singt einen vor allem auf heldische Durchschlags-Kraft setzenden, raubeinigen Parsifal. Man darf nicht an Thomas Mohrs geradezu belkantischen, natürlich strömenden, wortverständlichen Wagner-Gesang denken, der bisher zum Standard in Minden wurde. 


Myllys (ist zudem absurd gemummt. Im ersten Akt wie Ludwig II. mit brauner, struppiger Perücke als Indianer verkleidet, im zweiten wie ein Arbeiter im blauen Kittel, der der klischeehaften Verführungskunst Kundrys nahezu ohne Aktion widersteht und im dritten als Jesus, wie von Nazarenern gemalt. 


Wagner sagte einmal zu Gattin Cosima, sie hat es überliefert „an den Heiland habe ich blutwenig daran gedacht“. Sprachlos ist man, wenn Parsifal im dritten Akt nach seiner Fußwaschung von Gurnmanz auch noch das Turiner Grabtuch als Gesichtsabdruck Jesu abgenommen wird.


Die anspruchsvolle, vielschichtige Partie der Kundry, eine der komplexesten Frauenfiguren Wagners, wurde der jungen, für die Rolle zu unreifen französischen Sopranistin Isabelle Cals anvertraut, die zwar streckenweise schönes Stimmaterial hören läßt, aber nahezu wortunverständlich singt, und letztlich der Partie mit ihren sängerischen Klippen nicht gewachsen ist. Statt schillernder „Höllenrose“ ist sie eine Zigeunerin im ersten, im zweiten Akt eine elegante Balldame mit Federschmuck und Strass-Kopfnetz, im dritten büßende Maria Magdalena. 


Den Klingsor singt Yoshiaki Kimura mit stimmprotzendem, absolut unsauberem und unverständlichem Bariton, geradezu grotesk maskiert und gewandet in fliederfarbenem Schlafrock à la Wagner mit rotem Schlafanzug darunter.


Roman Trekel singt einen lautstark deklamierenden Amfortas, der eher wie Nosferatu denn als ein leidender Gralskönig auftritt.


Der belgische Bass Tijl Faveyts singt sehr nobel die Riesenpartie des Gurnemanz. Er ist der Einzige, dem man ohne wenn und aber Gesangskultur, Wortverständlichkeit und Stimmschönheit bescheinigen darf, ein Hoherpriester, der im letzten Akt zum ergrauten Väterchen Frost mutiert.  Von den Knappen, Rittern und als Punkerbräute mit wilden Perücken auftretenden Blumenmädchen will ich nicht reden. Alles in allem wahrlich kein Sängerfest.


Die Leistung des Orchesters unter Frank Beermanns Stabführung ist allerdings wunderbar! Die Nordwestdeutsche Philharmonie spielt ohne Fehl und Tadel einen betörend klangschönes intelligent disponiertes hochromantisches „Weltabschiedswerk (im zweiten Akt allerdings sehr breit genommen). Frank Beermann erweist sich wieder einmal als energischer wie feinsinniger Dirigent  und außerwöhnlich kompetenter Anwalt Richard Wagners.