Holländer Fritsch

Foto: Monika Rittershaus

 

„Der fliegende Holländer“
Eine (musikalisch nicht) vergnügliche Parodie


Herbert Fritsch, das unartige Kind der Regiezunft, der mit seinem hochmusikalischen und ultrakörperlichen Regiestil seit einigen Jahren nicht nur die Schauspiel-, sondern auch die Opernbühnen des Landes aufmischt, inszenierte an der Komischen Oper Berlin Wagners Frühwerk „Der fliegende Holländer“ als Lachtheater. Premiere war am 27. November 2022.

 

 

Es darf gelacht werden bei diesem „Fliegenden Holländer“. Nie hat man das romantische Gespensterstück so lachmuskelanregend erlebt. Alle Inszenierungsklischees dieser erzromantischen Oper bleiben außen vor. Grelle Farben auf den mit Hochglanzfolien bespannten Wänden in blau, grün und rot, nehmen diesem Schauer-Stück alles Grauen. Ein Schiff wie aus einem Kinderzimmer (wie von Wellen geschüttelt durch sportive Komparsen-Gespenster) rauben ihm jede Schwere und jedwedes düstere Pathos.


Von psychologischem Realismus keine Spur. Respektlos ist diese Inszenierung, frech und lustig. Eher eine Kindergeschichte wie ein Märchen, skurril verfremdet, musicalhaft aufgedonnert. „Ich wollte den Wagner ins Kinderzimmer zurückholen“ betont Herbert Fritsch im Programmheft. Der Regisseur, der sein eigener Bühnenbildner ist, zeigt es auf schmalem Grat zwischen Humor und Tragik, Tod und Lächerlichkeit, mit Witz und Ironie, Lebensfreude und Swing. Alle tanzen, fallen aus der Reihe, bewegen sich jenseits klischeehafter Geschlechterrollen. Nichts ist da von deutscher „Heimeligkeit, und wenn ja, dann karikiert, etwa bei der Figur des Daland, der sein Kind verschachert gegen Berge von Klunkern und Gold, die die sehr diverse Holländermannschaft auf ein rotes Tuch häuft, das Daland schließlich wie einen Beutesack an sich reißt. Diese Gespenstermannschaft ist ein Panoptikum schräger, transvestitischer Mannsbilder in Lumpen.  „Der Fliegende Holländer“ kommt an Berlins Komischen Oper als witzige „Operette“ daher, nicht ganz ernst gemeint. Fritschs Timing ist wie immer hervorragend, wie er Massen bewegen kann verblüfft immer wieder.  


„Nicht anfassen“ – das Holländer-Schiff ist gemeint - ist beim Auftritt des Holländers eines der ersten Worte, die gesprochen wurden, es ist auch das letzte Wort dieser keinerlei Erlösung zeigenden Inszenierung, die doch den von Wagner komponierten Erlösungsschluss hören lässt (in dreiaktiger Fassung, die ohne Pause kurzweilig durchgespielt wird). Ein offenes Ende.


Sängerisch und musikalisch steht es nicht wirklich gut um diese gewagte Produktion, die man eigentlich nur als Parodie ernst nehmen kann.  Zu viele sängerischen Defizite, zu viele falsch gesungene Noten, immer wieder gesprochene anstatt gesungener Phrasen verwundern. Schon die ersten Worte der Holländerarie „Die Frist ist um“ wird wie gesprochene Sprache vorgetragen.

Den Holländer singt und spricht Günter Papendell mit unzureichendem Bariton als rothaariger Korsar im zerschlissenen, pseudobarocken Musketierkostüm, torkelnd wie betrunken, irgendwie plemplem, roboterhaft, überschminkt und überzeichnet (das gilt eigentlich für das ganze Personal der Aufführung), mit Klunkern behangen, fast wie ein Transvestit anmutend. Eine immer wieder zum Lachen anreizende, komische, tänzelnde Figur. Der noch nie mit bassistischem Schönklang auffallende Jens Larsen (im Kapitänskostüm) singt (Verzeihung, spricht immer wieder) einen sängerisch grenzwertigen Daland. Aber er stattet diese Singspieltype großartig komisch aus mit Grimassen, die stummfilmreif sind. Die Senta von Daniela Köhler versucht sich in sich in hochdramatischem Sopran, leider ist ihre Stimme in der Höhe geeignet, Gläser zum Zerspringen zu bringen, „schön“ ist das nicht, soll es wohl auch nicht sein. Vielmehr erscheint diese Senta in orange-braunem Outfit wie die Karikatur einer bezopften Carmen. Regisseur Fritsch lässt im Programmheft verlautbaren: „Carmen ist für mich der weibliche Holländer und der Holländer die männliche Carmen.“ Auch wenn das m.E. wohl eher auf Don Giovanni zutrifft, und bei aller Bewunderung seiner unkonventionellen Hamburger „Carmen“-Inszenierung neulich: Erotik, ja Liebe scheint in dieser Inszenierung außen vor zu sein. Zu geschlechtslos ist der Holländerdarsteller, zu outriert diese Senta im Jahrmarktsformat, die beim Liebesduett den Holländer auf ihrem Schoß schaukelt wie ein Baby in einer Wiege. Brenden Gunella als Erik im grünen Anzug mit weißem Hemd und Krawatte ist der Spießer der Aufführung, ein bürgerlich domestizierter Jäger und Angsthase, mit einem Tenor wie ein Reibeisen. Selten hat man Erics Romanze so schütter und brüchig gehört. Karolina Gumos ist eine biedermeierlich gewandete und frisierte Gouvernante, die mit unauffälligem Alt immer wieder einer Feder hinterherjagt. Das ist ihr Tick.  Eine völlig durchgeknallte, groteske, puppenhafte Erscheinung mit Puffärmelchen, sie ist ebenso zum Lachen wie der kleinstimmige Steuermann von Caspar Singh, der in blauem Anzug mit strohblonder Perücke wie ein Möchtegern-Musicalstar der Zwanzigerjahre an der Rampe herumhampelt, tanzt und defiliert. Auch er ein virtuoser Komiker mit bemerkenswerter Mimik und Beweglichkeit. Das Körpertheater, zu dem Herbert Fritsch seine Akteure immer wieder zu animieren vermag, ist faszinierend.

 

Auch die Chorsolisten und die Komparserie der Komischen Oper Berlin samt Vocalconsort Berlin spielen und singen in ihren weiß blauen Matrosenanzügen (die Herren), und Serviermamsell-Reihengirl-Outfits mit Federn, hellblauen Schürzen und rosa Schleifen (die Frauen) so komisch, grotesk und unkonventionell, dass man sich zuweilen auf die Schenkel klopft vor Vergnügen. Alles Pathos und Unbehagen der „Mit Gewitter und Sturm“-Matrosengesänge und der Der „Summ und Brumm „-Spinnstubengemütlichkeit wird ausgetrieben zugunsten revuehafter Ausgelassenheit, chaplinesker Typenzeichnung und übermütigen Klamauks. Die Girlies trippeln, quietschen und gackern, dass es eine Lust ist. Einzelne der Matrosen können herrliche Grimassen schneiden. Die geisterhafte Holländer-Mannschaft begeistert durch individualtypische Einzeldarstellungen. Jeder trägt einen anderen alten Fetzen aus dem Fundus, Männer tragen Frauenkleider, schlechtsitzende Perücken und Ohrclips. Ein karnevaleskes Panoptikum an Grotesktypen, eine große Gaudi.


Das Orchester der Komischen Oper Berlin spielt vor allem unterhaltsam, laut und ungenau.

Nicht nur für „Wagnerianer“ ist das gewiss eine Zumutung, womöglich ein Alptraum, aber ein höchst vergnüglicher! Dirigent Dirk Kaftan haut auf die Pauke und präsentiert einen derart plakativen, flotten, ja tänzerischen „Holländer“, wie man ihn noch nie gehört hat: holzhammerhaft, hemdsärmelig und unpathetisch wie die hochvirtuose, überzeichnete, aber artifizielle Inszenierung. Fritsch hat es Mal wieder ordentlich krachen lassen.


Rezension in nmz oline