Enoteca Reale

Es war einmal: Enoteca Reale

Nachruf auf ein außergewöhnliches Restaurant                            

Gottschedstr. 2, Berlin Wedding

Geschlossen seit Sommer 2002

Photos: Dieter David Scholz

Irgendwo im Wedding, einem nicht eben für seine lukullischen Verheißungen bekannten, aber ethnisch bunt und wohltuend aufgemischten, recht lebendigen Bezirk mitten in Berlin, in dem die Arbeitslosenzahlen, die Zahl der Hundehalter und Alkoholiker am höchsten ist, auch die Kneipendichte, behauptet sich, nun schon seit einigen Jahren, eines der kulinarisch wie atmosphärisch erfreulichsten, der qualitativ beständigsten italienischen Restaurants in Deutschlands Hauptstadt, die die Hauptstadt auch der heftigsten gastronomischen Fluktuation in Deutschland ist.


Man würde das Lokal nie suchen, würde es nie zufällig entdecken im Kiez zwischen Panke, Reinickendorfer Straße und Leopoldplatz. Der unscheinbare Eingang ist eher Understatement. Eine schlichte, massive Eisentür mit ausgeleuchteter Aufschrift „Enoteca Reale“ weckt lediglich aufgrund der tresorartigen Abgeschottetheit der Lokalität einige Aufmerksamkeit. Man rätselt, was für ein Etablissement sich hinter der Stahltür wohl verbergen möge. Doch jeder Zweifel wird ausgeräumt, wenn einem auf Klingelzeichen von der Dame des Hauses persönlich geöffnet wird, von der redseligen Signora Francesca Rienzner, einer markanten, energischen rothaarigen Persön-lichkeit mit einem Gehproblem. Stets gleichermaßen zuvorkommend, wird man höflich, mit etwas feierlicher, warmer Aufmerksamkeit empfangen. Auch der flinke Oberkellner ist topfit und weiß, worauf es ankommt.


Man betritt eine crème-weiße Tropfsteinhöhle der Genüsse, einen Tempel venezianischer Lebensart. Stalaktitenartige Gebilde, deren Enden in Alabasterkristallen aufleuchten, hängen entlang des langen schmalen Raums von der Decke herab, auch durch den sandfarbenen Marmorboden strahlt von unten das milde Licht. Art Déco-Strenge und mediterrane Verspieltheit ergänzen sich zu traumartigem Ambiente. Weißgepolsterte Stühle und Sofas auf silberfarbenen, muschelartig gedrehten Säulen laden an marmornen Tischen zum kulinarischen Thronen ein. Alles ist nach eigenen und eigenwilligen Entwürfen gefertigt. Weiße, groß-zügige, stets vorbildlich gebügelte und kunstvoll gefaltete Servietten gehören selbstverständlich zur distinguierten Tischkultur des Lokals.


Der Sohn der Signora, Christiano Rienzner kocht nicht nür fürs Auge. Die Raffinesse seiner norditalienische Küche kitzelt Gaumen und Nase aufs Gekonnteste. Er kocht nuancenreich, mit differenziertesten, geschmackssicher komponierten Aromen, phantasievoll und originell in der Kombination der tagesfrischen Zutaten. Seine superben Baccalà-Variationen mit einem Hauch von Sepia-Tinte, dazu Fenchel-Sorbetto im frittierten Parmesan-Körbchen sind überwältigend und lohnen selbst für Baccalà-Verächter wie mich einen Besuch! Hier begriff ich endlich die Segnungen des Stockfischs, an die ich nie geglaubt hatte. Aber auch der Seeteufel auf einem Entenleber-Mayonnaise-Spiegel oder die knusprig gebratene, dabei butterzarte Entenbrust auf Mangold sind perfekte Kreationen. Die Speisekarte ist klein, aber fein, und wechselt in mehrtägigen Abständen.


Signora Mama weiß mit sachkundigem Urteil, treffsicherem Instinkt und natürlicher, direkter Selbstverständlichkeit zu jedem Gang den richtigen Wein zu empfehlen. Die exhibitionistischen Showeinlagen und aufdringlich-prätentiösen Sommelier-Bluffs vergleichbarer Lokalitäten der Haute cuisine bleiben in der Enoteca Reale wohltuend außen vor. Diese Enoteca ist  Refugium und Oase gleichermaßen, fern von Berlin und doch mitten drin. Nicht von dieser Welt und doch sinnlich und bodenständig! Ein venezianischer Familienbetrieb mit Stil und Niveau.


Die überwiegend italienisch orientierte Weinkarte ist beeindruckend. Vater Luigi Rienzner kümmert sich persönlich und ausschließlich um den Weinimport aus Italien. Große  Kenner- und Leidenschaft verraten sich in der Auswahl von Erlesenem, Wohlbekanntem und spektakulär Unspektakulärem aus Alto Adige, Friaul, Piemont, Toscana und Veneto. Einige seiner Weine bezieht er exklusiv von befreundeten kleinen Winzern, die sonst nichts exportieren. Sein weißer Tokaier aus dem Friaul beispielsweise ist exzellent! Besonders erfreulich, dass auch beste Weine glasweise ausgeschenkt werden.


Man kann Luigi Rienzners Weine auch flaschenweise mit nach Hause nehmen (oder sogar liefern lassen),  zu erstaunlich moderaten Preisen übrigens. Aber auch die Preiskalkulation des Restaurants ist zurückhaltend angesichts des hohen Levels des Gebotenen. Das Glück dieser Enoteca ist der in Berlin besonders seltenen Tatsache zu verdanken, dass Angebot und Dekoration, Kompetenz und Präsentation, Dienstleistung und Genuß unabhängig von Mainstream und Zeitgeist, dem derzeit in Berlins Künsten wie Küchen allzu leichtfertig und unbesonnen gehuldigt und geopfert wird, eine gelungene Symbiose eingehen. Und das auf höchstem, nach wie vor Michelin-Stern-Niveau, auch wenn Michelin dies nicht (mehr) zu würdigen weiß. Aber der Michelin ist leider nicht mehr, was er einmal war... Und Berlin  hat sich auch verändert. Die politischen Vaeränderungen nach 1989 haben auch der Gastroszene in Ost wie West traurige Opfer gefordert. Das der Enoteca Reale nch den Wende die Gäste abhanden kamen und die Luft ausging, ist überaus bedaurlich!