Rosenkavalier Leipzig

Fotos: Kirsten Nijhof


Auf hohem Niveau verhunzter Rosenkavalier an der Oper Leipzig

Eine verquaste Zeitreise von Michael Schulz


Premiere 30.03.2024

 

Der „Rosenkavalier“ – 1911 in Dresden uraufgeführt – war neben Puccinis „Turandot“ einer der größten Welterfolge der Oper im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts. Diese „Komödie für Musik“ beschwört am Vorabend des ersten Weltkriegs noch einmal einen wehmütig ironischen Rückblick auf das Wien des 18. Jahrhunderts als turbulent-besinnliche Gesellschafts-Farce.


Allerdings haben sich schon Komponist und Librettist, Richard Strauss und Hugo von Hofmannsthal immer wieder produktiv missverstanden. Was Wunder, dass das beliebte Erfolgsstück auch vom Opernpublikum immer wieder missverstanden wird. 


Hofmannsthal betont in seinem Geleitwort, dass der Text nicht versuchen wolle, die historische Zeit des Rokoko wieder auferstehen zu lassen; vielmehr sei „mehr von der Vergangenheit in der Gegenwart als man ahnt“. „Dahinter war der geheime Wunsch, ein halb imaginäres, halb reales Ganzes entstehen zu lassen, dies Wien um 1740, eine ganze Stadt mit ihren Ständen, die sich gegeneinander abheben und miteinander mischen, mit ihrem Zeremoniell, ihrer sozialen Stufung, ihrer Sprechweise oder vielmehr ihren nach den Ständen verschiedenen Sprechweisen, mit der geahnten Nähe des großen Hofes über dem allen, mit der immer gefühlten Nähe des Volkselementes.“


Der „Rosenkavalier“ darf also in gewissem Sinne als ein Gegenwartsstück verstanden werden, bezogen auf das Österreich der Zeit um 1910. Es lässt sich durchaus als teils unverhohlene, teils maskierte, ja zuweilen „verkitschte“ Kritik auf die Sitten der Donaumonarchie verstehen., ein soziales Kaleidoskop voller Brüche, Anachronismen, Standes- und Generationenkonflikte, kunstvoll in Wort und Musik gekleidet, ohne Frage. Thema der Oper ist die Zeit, das Verrinnen, das Fortschreiten der Zeit, aber auch der Gegensatz von Jugend und Alter, Liebe und Konvention.


Regisseur Michael Schulz (seit 2008 Generalintendant des Musiktheaters im Revier) zeigt den „Rosenkavalier“ denn auch als Zeitreise in Raum und Lebensalter.  Das Stück beginnt im opulenten und vielversprechenden Jugendstil-Schlafzimmer der Marschallin (mit bildnerischen Alfons Mucha-Anleihen), der zweite Akt wird in den 30er Jahren des 20. Jahrhunderts mit angedeuteter Nähe schon zum Faschismus (Architektur mit Gewehr-Gloriole hinter ägyptischem Adler-Fries) und der dritte Akt wartet mit einem zur Disco-Bar-Kaschemme der 1980er Jahre verkommen zweckentfremdeten Jugendstilschlafzimmer mit Bierkästen und Badewanne, Diskokugel, Lederfetischisten und Dominas auf. (Bühne Dirk Becher). Die Bettszene zwischen Marschallin und Octavian wird als schwüle Finde siècle-Erotiknummer gezeigt, die Überreichung der silbernen Rose als historisches Rokoko-Tableau auf drehbarer Bühne, die vom Hintergrund zur Rampe fährt, ein reichlich unzeitgemäßes Ritual, der dritte Akt endet in einem szenischen Tohuwabohu moderner, hemdsärmeliger Zeiten in Jeans und T-Shirts, in denen gesoffen und geraucht wird, Octavian muss reichlich übertrieben wie ein grotesker Travestiestar mit roten high heels und mit Mikrophon im Lichtkegel vor Duschvorhang  auftreten.  Schäbige Partyatmosphäre der 1980er Jahre soll Gegenwartsnähe andeuten. Regisseur Schulz im Programmheft: „es geht auf den Mauerfall hin“. So ein Unsinn!  Schließlich finale Desillusionierung mit allmählichem Wegfahren von Kulissen, Herabfahren von schwarzen Schleiern. Am Ende schiebt die Marschallin den sichtbar gealterten Herrn von Faninal (inzwischen im schwarzen Businessanzug) per Rollstuhl von der Bühne, gebeugt, im hellen Straßenmantel, mit Intellektuellenbrille und moderner Frisur, auch sie mittlerweile eine alte Frau. Während Octavian und Sophie „im Honeymoon“ sich wie kleine Kinder auf der Bühne herumbalgen, bevor sie sich zu ihrem Liebesschlussgesang - „Ist ein Traum, kann nicht wirklich sein“ - an die Rampe setzen, mit den Beinen im Orchestergraben, “Sein schon aso, die jungen Leut.“


Schulz wollte die Protagonisten „verschieden Zeitebenen“ durchlaufen lassen, um „ihr Altern“ zu zeigen.  Davon ist im Libretto nichts zu lesen. Im Programmheft ist die Rede von „Umbruchzeiten“, von „Psychoanalyse, Zwölftonmusik, von Gustav Mahler in Wien“, auch von der „Brutalität“ die die 1930er Jahre charakterisieren, wie das Aufkeimen des Nationalsozialismus“ und mehr der Absurditäten, die mit dem Stück nichts zu tun haben. Es sind Lippenbekenntnisse, die in der reichlich hektischen, holzhammerhaften Regie mit ihren vielen kleinen Gags und unsensibler Personenführung nicht überzeugen.


Mit seinem Hang zu szenischer Uneinheitlichkeit und zur Destruktion des Schönen mittels bildnerischer Schäbigkeit und plakativer Desillusionierung hat Michael Schulz dem Stück und seiner so sensibel wie erzkomödiantisch ausgearbeiteten Gesellschaftsanalyse der Maria-Theresia-Zeit eher einen Bärendienst erwiesen und die Botschaft des Stücks durch seine Art von Aktualisierung verwässert, ja ins Unglaubwürdige verhunzt.


Nicht weniger am Stück vorbei ist meines Erachtens auch das Anliegen des Dirigenten Christoph Gedschold zu bewerten, der die Oper im Programmheft mit einem durchrasenden „D-Zug“ verglich. Genau so hat er sie dirigiert, mit aberwitzigen Tempi, in ohrenbetäubender Lautstärke und in skelettierend analytischer Klarheit, die wohl die harmonischen Schärfen und die moderne Expressivität des Stücks, das der „Elektra“ nicht nachstehe, beweisen wollte.


Die Metaphern und Symbole dieser chiffrierten, anspielungsreichen wie ironischen Musik kann er zwar hörbar entschlüsseln, doch es fehlt an „Seele“, auch am großen Bogen.  Die so exekutierte Rosenkavaliermusik lässt kalt, ja erschreckt geradezu an vielen Stellen, etwa dem Beginn des dritten Akts, wo ein ungeheures Gedonnere einsetzt.


Neben den gern eingestanden beeindruckenden musikalischen Ausstellungsstücken (Rosenüberreichung und Schlussterzett) herrscht immer wieder ein geradezu kakophoner Krach, ja ein musikalischer Radau, wie ich ihn noch nie in einem „Rosenkavalier“ erlebte. Das Gewandhausorchester spielt zugegeben brilliant, die instrumentale Ausleuchtung des Stücks ist intelligent, aber radikal übertrieben. Das Stück bleibt seinen Zauber, seine Rührung schuldig.


Was auch der sängerischen Besetzung liegt. Zwar hat man das große Ensemble angemessen besetzen können, aber schon aufgrund der durchweg enormen Phonstärke des Abends sing Textverständlichkeit und feinere Textgestaltung, worauf es doch gerade in dieser Oper ankommt, kaum möglich.  Vor allem die Marschallin der südfranzösischen Sopranistin Solen Mainguené (neu im Ensemble der Leipziger Oper) ist eine "Schreikünstlerin" von höheren Gnaden, mit eindrucksvollen Trompetentönen setzt sie die Marschallin und ihren einzigartigen Zeitmonolog in den Sand. Sie singt ihn so dahin. Eine schöne Frau, schön gekleidet von Renée Listerdal, aber zu jugendlich sportlich, ja hysterisch in der Interpretation und nur um schöne Töne bemüht.


Ihre unsensible Gestaltung der lebensklugen Marschallin (die man ja in vielen überzeugenden, ja bewegenbden Darbietungen erlebt hat) ist geradezu grotesk.  Man versteht trotz ihres Bemühens um Textgestaltung kaum ein Wort von ihr, sie wirkt eher wie eine Lustige Witwe in der Blüte der Jugend als die Feldmarschallin Fürstin Werdenberg, die ihren jugendlichen Liebhaber verliert.


Die philosophisch angehauchte Lebenserfahrung und Melancholie der Rolle nimmt man ihr nicht ab. Ebenfalls vor allem nur um Schönklang und Stimmkraft bemüht ist auch der Rosenkavalier der in Berlin geborenen tschechischen Mezzosopranistin Štepánka Pucálková. Eine wahrhaft „schöne Stimme“! Das gilt auch für die Sophie der tschechischen Sopranistin Olga Jelínková. Sie ist seit der Spielsaison 2020/21 Mitglied des Ensembles der Oper Leipzig. Aber alle drei Sängerinnen – sie haben betörende Stimmen, gewiss - scheinen nach dem Motto zu singen: Ich kann noch lauter! Das aber ist grundfalsch in dieser Komödie für Musik“, in der es auf anderes ankommt. Singen ist schließlich mehr als nur schöne Töne abliefern, wie mir einige der Sängerinnen aus dem legendären Wiener Nachkriegsensemble erklärten.


Übertriebene Lautstärke wird man dem Bassisten Tobias Schabel, auch er fest am Opernhaus Leipzig, gewiss nicht vorwerfen können. Er hat einfach nicht die sängerische wie schauspielerische Autorität für die Rolle. Im Gegenteil, selten hat man einen so schwachbrüstigen, unidiomatischen Ochs gehört. Und was hat man schon für Interpreten in dieser polternd bassschwarzen Karikatur eines gefoppten Wiener Adligen erlebt. Dass er im letzten Akt in „heutigem“ Straßenoutfit daherkommt, sichtbar gealtert ist und mutiert zum Proleten, macht ihn nicht glaubwürdiger.


Sängerische Lichtblick gibt es immerhin in den kleineren Partien: Ulrike Schneider als eindrucksvolle Annina, der polnische Tenor Piotr Buszewski als fabelhafter italienischer Sänger oder der immer zuverlässige finnische Tenor Dan Karlström als Wirt sorgen für beglückte Momente des Aufhörens.  Auch die von Thomas Eitler-de Laint und Sophie Bauer geleiteten Chöre sangen akkurat. Immerhin!


Fazit: Der Aufwand dieser Leipziger Produktion ist enorm, aber er steht in keinem Verhältnis zum künstlerischen Ergebnis, das eher enttäuscht!


Rezension auch in "Der Opernfreund"