Kabuki Béjart

 

Fotos: Teatro alla Scala (DVD)

Maurice Béjarts Version von Kabuki


Die Geschichte der 47 Samurais (Maurice Béjart)

Premiere 28.9.1993, Deutsche Oper Berlin

 

Nach einer recht verwässerten Deutschen Erstaufführung des Balletts um die Gestalt des  umstrittenen Literaten Mishimas, das sich vor allem im oberflächlich Dekorativen gefiel, aber wenig Substanz und Konzentration des Ausdrucks zu bieten hatte, hat das Tokyo Ballett  nun mit "Kabuki - Die Geschichte der 47 Samurais" einen seiner Klassiker präsentiert, das Vorzeigestück dieser Compagnie, die es nicht ohne Grund in ihr internationales Gastspiel-Programm aufnahm, das im Zeichen ihres 30-jährigen Jubiläums steht. 


Es ist die moderne Version eines alten Kabuki-Stücks, dessen Inhalt reichlich kompliziert ist. Wagners Nibelungenring ist vergleichsweise einfach strukturiert dagegen. Die Handlung ist in neun Akte gegliedert, es gibt zahllose Haupt- und Nebenfiguren, deren Verbindungen und Funktionen eigentlich nur versteht, wer das zugrundeliegende Kabukistück genau kennt, was beim deutschen Publikum schwerlich der Fall sein dürfte. Béjart hat sich nichts weniger vorgenommen, als den Versuch einer Symbiose von Alt und Neu, Ost und West, Kabuki und moderem Ballett. Größer könnten die Kontraste nicht sein.


Inhaltlich geht es in diesem Stück um die Begegnung eines heutigen, westlich geprägten Tokyoters mit der antiquierten Welt der Samurai. Es ist der Konflikt zwischen des heutigen  Japans und der Welt seiner Tradition, wie sie das aus dem 17. Jahrhundert stammende Kabuki tradiert hat, also jenre opulenten, hochartifiziellen und gleichwohl volkstümlichen Mischung aus Tanz und Theater. Béjart zeigt einen Kultursprung aus der mit Fernsehmonitoren ausgestatteten Discowelt Tokyos, in der eine Gruppe Jugendlicher ausdruckslos zu Heavy Metal-Rock tanzt, in die von Gidayu-Gesang begleitete Welt der Samurai. Der Katalysator dieses Kultursprungs ist ein zufällig gefundenes altes japanisches Schwert, das Markenzeichen der Samurai.  Die Lebenswelt dieser bewaffneten gesellschaftlichen Klasse, mit ihren streng reglementierten Verhaltensmustern, ihren religiösen Zeremonien und ihrem Ethos führt das Stück anhand aneinandergereihter, dekorativer Teehaus-Szenen aus dem Adelsleben des alten Japans vor Augen.


Zusammengehalten wird Béjarts Kabuki-Ballett-Mix von einer ebenso heterogenen musikalischen Mischung, eine streckenweise karge, fast meditative, aber dann auch wieder sehr expressive, sehr dramatische Musik, die sowohl den traditionellen geistlichen Sprechgesang, alte japanische Instrumente, aber auch moderne, filmmusikalische Opulenz einbezieht. Trotz kostbar-sparsamer Ausstattung, vor allem in den Kostümen, trotz farbenprächtiger Symbole und traumhaft preziöser Bilder gelingt Béjart in dieser Produktion die Verschmelzung von modernem Ausdruckstanz und klassischem Kabuki-Totaltheater nicht wirklich überzeugend. Seinem Versuch, den Zuschauer mit den Mitteln seines noblen neoklassischen Tanzes in die rituelle Ausdruckswelt des Kabuki zu entführen, das ja im Alltäglichen den Mythos spiegelt, haftet etwas Künstliches an.


Imposant aber ist ohne Frage die Leistung des Tokyo Balletts, das mittlerweile auf eine zehnjährige Zusammenarbeit mit Béjart zurückblicken kann. Trotz gelegentlicher Längen und allzu zeremoniöser Trockenheit fasziniert es durch fesselnde Steigerungen und dramatische Zuspitzungen, athletische Aufmärsche und rituelle Subtilitäten. Die technische Präzision und die körperliche Ausdrucksfähigkeit, mit der das Tokyo Ballett aufwartet, ist geradezu frappierend. Der Star des Abends ist Naoki Takagishi, ein Meister der Sprünge, in der Hauptrolle des Yuranosuke. Dass das Tokyo-Ballett zu den besten Truppen der Welt zählt, ist keine Frage. 


 

Bericht für die Potsdamer Neusten Nachrichten über das

Gastspiel des Tokyo Ballett: