Koppen: Mozarts Tod

Eine der plastischsten Schilderungen des Schreckgespenstes Syphilis im Wien des achtzehnten Jahrhundert.

Des Rätsels Lösung?

Alle Fragen bleiben offen, aber es gibt verblüffende Erkenntnisse über Mozarts Todesumstände!

Ludwig Köppen: Mozarts Tod. Ein Rätsel wird gelöst

Ludwig Köppen Verlag 2004, ISBN 3-00-013302 -A  292 S.


 

Es mangelt nicht an Mozartliteratur. Doch kein Ereignis aus Mozarts Biographie ist nebulöser phantasievoller, unbefriedigender über-liefert als sein Tod und seine Beerdigung. Selbst namhafte Mozartbiographen befleißigen sich mangels exakten Wissens und zuverlässiger Quellen mehr oder weniger unglaubwürdiger Ausflüchte, Rekonstruktionsversuche oder Legendendichtungen. Der Kölner Autor Ludwig Köppen, promovierter Mathematiker, Stati­stiker und  Mozart-Privatgelehrter, hat das Rätsel um Mozarts Tod zum Thema eines interessanten Buches gemacht. 


*

 

Mozarts Requiem gilt gemeinhin als sein letztes, unvollendetes Werk. Die Legende, daß ein eigenartig gewandeter Bote eines unbekann-ten Auftraggebers, ein „grauer Bote“ im Juli 1791 wie ein Abgesandter aus einer anderen Welt an Mozarts Tür erschienen sei und ihn im Auftrag eines anonym bleiben wollenden Bestellers mit der Komposition der Totenmesse beauftragte, wird von fast allen Biographen Mozarts überliefert. Auch daß es danach bergab gegangen sei mit Mozarts Gesundheit.


Gegen Ende November 1791 hab sich Mozart krank zu Bett gelegt, von dem er nicht mehr aufstehen sollte. Noch auf seinem Todeslager habe er er fieberhaft an dem Werk gearbeitet, das er nicht unvollendet lassen wollte. Am 4. Dezember, dem Tag vor seinem Tod, probte erwohl mit einigen Freunden daraus das Lacrimosa. Elf Stunden später war sein Körper dem "hitzigen Frieselfieber" erlegen. Noch we-nige Minuten zuvor habe er mit seiner Frau heiter geplaudert. Baron van Swieten, ein reicher Bekannter Mozarts, ordnete aus Gründen der Sparsamkeit ein Begräbnis 3. Klasse an. Am 6. Dezember fand die Trauerfeier statt. Constanze, die gleich nach dem Tode ihres Gatten erkrankte, konnte später, als die Grabstelle ihres Mannes aufsuchen wollte, keinerlei Spuren mehr finden. So endete bekanntlich das Leben dieses Genies.


Oder war alles ganz anders? Ludwig Köppen stellt diese Frage an den Beginn seines Buches. Er will sich nicht zufriedengeben mit den überlieferten Behauptungen und Vermutungen um Mozarts Tod. Tatsächlich verschleiern ihn alle namhaften Mozartbiographen, ob Otto Erich Deutsch, Erich Schenk, Egon von Komorzynski, Franz Xaver Niemetschek, Friedrich Rochlitz, Georg Nikolaus Nissen, der spätere Gatte Constanzes, ob Otto Jahn, Carl Bär oder Volkmar Braunbehrens. Alle sahen sich der Verlegenheit ausgesetzt, über die genaue To-desursache Mozarts und das Verschwinden seiner Leiche nur Mutmaßungen anstellen zu können. Wo sie nichts wußten, halfen sie sich mit Vermutungen und nebulösen Formulierungen.


Sie alle schreiben, daß Mozart, der immerhin von zwei bedeutenden Ärzten Wiens betreut wurde und schlimmste Vergiftungssymptome, darunter totales Nierenversagen aufwies, nicht in ein Krankenhaus gekommen sei, daß Mozarts Leiche, nach einem Tag Aufbahrung im Sterbehaus von Unbekannten weggeschafft worden, angeblich für nur einen Tag in einer Seitenkapelle von St. Stephan, die Kruzifix-kapelle gebracht worden und am Abend, nach Einbruch der Dunkelheit in den 5 Kilometer vor Wiens Mauern gelegenen St. Marxer Friedhof überführt worden sei. Weder Mozarts Gattin, noch Verwandte, Freunde, Kollegen oder die Brüder der Freimaurerloge, der Mozart angehörte, hätten sich, so liest man übereinstimmend, um Mozarts Tod und Beerdigung gekümmert. Merkwürdig für einen der aufsehenerregendsten Komponisten seiner Zeit.


Es war Baron van Swieten, einflußreicher Hofbeamter, und einer der reichsten Mäzene und Freunde Mozarts, der sich  um Mozarts Be-gräbnis kümmerte. Ausgerechnet ihm war Mozart  allerdings nur ein Armenbegräbnis wert. Mozarts Witwe Constanze wurde sofort nach Mozarts Tod – von wem auch immer - zu einer ihr offensichtlich wenig oder unbekannten Familie gebracht. Und dann verlieren sich die Spuren. In aller Anonymität  und Eile wurde Mozart auf dem St. Marxer Friedhof beerdigt, in einem Reihengrab. Es erhielt weder Kreuz noch Grabstein, blieb unauffindbar für alle, die nach ihm suchten, bis heute. Die Zeitungen schwiegen, die Witwe Constanze schwieg, sie besuchte den Friedhof ihres Mannes erst 17 Jahre nach seinem Tod zum ersten Mal.  Da war bereits keine Spur seines  Grabes mehr aufzufinden.


Man muß kein Kriminalist sein, um die Tatsächlichkeit dieser Zusammenhänge in Frage zu  stellen. Ludwig Köppen wagt eine Hypo-these. Sie ist, wie er selbst zugesteht, nicht neu. Schon Wolfgang Hildesheimer hat den Verdacht geäußert, aber Köppen geht ihm mit kriminalistischem Spürsinn nach: "Spätestens Ende Juni des Jahres 1791 hat Mozart intimen Verkehr mit einer Frau, die an Lues erkrankt ist. Nach etwa 2 Wochen treten die Symptome des Primärstadiums auf, sie sind weder zu übersehen noch zu verkennen. Mozart behandelt sich lokal mit quecksilberhaltigen Salben. Dies führt er in Prag fort, wo er mit Constanze und Franz Xaver Süßmayer am 28. August eintrifft." Franz Xaver Niemetschek, der mit Mozart in Prag Umgang pflegte, bestätigte in seinem Mozartbuch diesen Verdacht:   

"Schon in Prag kränkelte und medizinierte Mozart unaufhörlich; seine Farbe war blaß und die Miene traurig." Mozarts Gesundheits-zustand verschlechterte sich nach seiner Rückkehr nach Wien – so Köppen - infolge zunehmende Quecksilbervergiftung dramatisch. 

"Jedenfalls kommt es bei Mozart zu einer irreversiblen Schädigung des Nierenparenchyms, in deren Gefolge Nierenversagen mit komplett eingestellter Harnproduktion und fortschreitender Harnvergiftung auftreten. Mozart ist mit keinem damals vorhandenen me­dizinischen Mittel zu retten."


Die Tatsache, daß beide Mozart behandelnden Ärzte, Dr. Closset und Dr. Salaba, Spezialisten für Venerologie und zuständig auch für das Hauptspittal Wiens samt Siechenhaus und Station fürs Venerische, Mozart nicht einliefern, sondern zuhause qualvoll sterben lassen, offen-sichtlich die Verlegenheitsdiagnose vom Frieselfieber stellen, daß Mozart heimlich und anonym beerdigt wurde, verdichtet sich für Köp-pen zu einer eindeutigen Indizienkette: "Hier ist eine Retuschierung der Wahrheit vorgenommen worden. Die beiden erfahrenen Ärzte lassen den Moribunden  in Ruhe zuhause sterben, was den Vorteil einer Ehrenrettung hat. "


Warum wird Mozart nicht in seiner Heimat eingesegnet, warum verweigert ihm die Kirche die Sterbeskramente, warum unternehmen die Brüder von der Loge nichts, warum schweigt Constanze auch später zu den Vorgängen? Die entscheidende Frage lautet: Warum agiert Gottfried van Swieten so seltsam, reißt alle Formalitäten an sich und läßt Mozart in einem anonymen Armengrab begraben? Immerhin ist er einer der bis dahin spendabelsten Freunde und  Auftraggeber Mozarts gewesen, zudem als Präses der Studien- und Bücherzensurhof-kommission, Präfekt der Hofbibliothek und königlicher Stephansritterordenskommandeur einer der reichsten und angesehensten Männer Wiens. Auch dafür hat Köppen eine Antwort:


"Alles hängt einzig von seiner unglücklichen Tat ab, die darin bestand, daß er Mozart mit dem quecksilberhaltigen Therapeutikum aus dem Vorrat seines Vaters versorgt hat, wozu ihm jegliche Befugnis fehlte. Ein unter Kaiser Joseph dem Zweiten herausgegebener Erlaß schreibt vor, daß Gifte nur von Apothekern abgegeben werden dürfen, die darüber genau Buch zu führen haben. Aus der Sicht eines Straf-verfolgers hat Baron van Swieten widerrechtlich Gift weitergegeben. Er steckt in einem Dilemma: Kommt sein Vergehen an den Tag, läßt sich ein Skandal kaum unterdrücken. Vielleicht muß er eine polizeiliche Untersuchung gewärtigen und ist gesellschaftlich ruiniert." Deshalb, so Köppen, habe der Baron, in Absprache mit dem Hof, vorgesorgt und ein Verschleierungs-Szenario entworfen und durchge-führt, das sicherstellte, daß alle pikanten Details geheimgehalten, die Öffentlichkeit ausgeschlossen, daß sein eigener und der Ruf Mozarts unbescholten blieben und Konstanze - der dafür materielle Sicherheit versprochen wurde – stillschwieg.  Van Swieten wurde übrigens – dies ist jedenfalls eine verbriefte Tatsache - noch am Tage von Mozarts Tod sämtlicher Hofämter enthoben.


Köppens Hypothese ist konsequent und in sich schlüssig. Seine Indizienanhäufung ist erdrückend. Nur: Köppen liefert keinen einzigen Beweis. Auch für ihn gilt, was der Mozartforscher Helmut Perl in Bezug auf die übrigen Mozartbiographen in seinem demnächst erschei-nenden Buch zum selben Thema anmahnt: "Nicht ein einziges der als faktisch unvermeidlich und damit unwiderleglich hingestellten und als Tatsachen vermuteten und dargestellten Ereignisse kann belegt werden."


Es bleiben also weiterhin alle Fragen offen. Und Köppens Hypothese bleibt ein - wenn auch faszinierendes, in sich logisches - Gedanken-konstrukt. Wer Köppens Hypothese folgen möchte, wird in seinem Buch alle nur erdenklichen Argumente, die dafür sprechen, finden. Es ist darüberhinaus eine eindrucksvolle Dokumentation der Damenbekanntschaften Mozarts, eine plastische Schilderungen des Schreckge-spenstes Syphilis im Wien des achtzehnten Jahrhunderts und eine luzide medizinische Lektion in Sachen Lues. Was die Syphilis im Wien des achtzehnten Jahrhunderts bedeutete, hat man anschaulicher nie vermittelt bekommen als in Köppens Buch. Insofern schließt das Buch in jedem Fall eine Lücke der Mozart-Literatur. Die Lücke in Mozarts Biographie schließt es nicht.


Des Rätsels Lösung, die Köppen auf dem Titel seines Buches verspricht, sie bleibt in weiter Ferne. Es könnte alles auch ganz anders ge-wesen sein. Zum Beispiel wie Helmut Perl vermutet, und auch er hat triftige Argumente für seine Hypothese, daß nach der "Zauberflöte", die Perl übrigens in seinem letzten Buch (siehe meine Rezension "Der Fall Zauberflöte auf dieser Homepage) als chiffrierte Kampfansage eines radikal aufklärerischen Illuminaten an Adel und Klerus überzeugend dechiffrierte, daß nach dem Titus", den die Kaiserin als "por-cheria tedesca" bezeichnete, die "Begräbnisreaktion" von Adel und Klerus zum Racheschlag an Mozart ausgeholt habe. Er sei exkom-muziert worden und schließlich, angeführt vom reaktionären Leopold dem Dritten, der für seine Hatz auf die Illuminaten bekannt war, und den Jesuiten, unter deren starkem Einfluß die Kaiserin stand, auf dem Schindanger verscharrt worden. 


Wie auch immer man die Umstände von Mozarts Tod, mehr noch seiner Beerdigung und der Unauffindbarkeit seines Grabes bewerten, welche Schlüsse man daraus ziehen mag: Das ominöse Geschehen um Mozarts schmachvolles Ende ist bezeichnend für das Ende der liberalen Epoche Wiens (unter Joseph dem Zweiten), für Mozarts Größe und die Irritation, die er schon zu Lebzeiten ausgeübt haben muß. Das Thema wird die Mozart­verehrer auch weiterhin beschäftigen. Und man darf schon gespannt sein auf Helmut Perls Buchveröffent-lichung im Vorfeld des 250sten Geburstages Mozarts.


 


Buchrezension im SWR, Musik aktuell / OPERNWELT