Spontinis Agnes von Hohenstaufen in Erfurt

Photos: Lutz Edelhoff



Spontinis „Agnes von Hohenstaufen" in Erfurt


Eine Parabel auf Deutschtum und preußischen Größenwahn zwischen Mittelalter und Erstem Weltkrieg



Am 1. Juni 2018 fand am Theater Erfurt ein besonderes Opernereignis statt: Eine der an-spruchsvollsten Opern der vorwagnerischen Zeit, ein wahres Mammutwerk, wurde nach mehr als 30 Jahren in Europa wieder auf die Bühne gebracht, ein grossdisponiertes Opern-projekt, das der Generalmusikdirektor des preussischen Königs für eine Prinzenhochzeit in Berlin 1827 komponierte, für die Hochzeit des preussischen Prinzen Carl mit der Weimarer Prinzessin Marie. Nur den ersten Akt  schaffte der Komponist zu diesem Datum. 2 Jahre später kam eine zweite, komplettierte Fassung des dreiaktigen Werks heraus. Acht Jahre danach überarbeitete Spontini das Werk noch einmal gründlich. Drei Fassungen gibt es also, ein Work in progress und ein  utopisches Werk, mit dem Spontini, der italienischstämmige Hofkomponist Napoleons und spätere Berliner GMD auf nichts weniger als eine Erneuerung der deutschen Oper hinzielte. Nur dreimal wurde in den letzten 100 Jahren die Oper aufge-führt, in Florenz und in Rom. Nun also stemmt das Theater Erfurt das Stück. Dort spielt man eine eigene Fassung der Oper, die die auf der 2001 erschienenen kritischen Neuedition ba-siert, nach der letztgültigen Fassung des Stücks, wie es 1837 bis 1840 in Berlin gespielt wur-de. Natürlich hat man in Erfurt kräftig gestrichen, sonst wäre die Aufführung noch sehr viel länger gewesen, als sie ohnehin ist. Dreieinhalb Stunden. Und man spielt die Oper zum ersten Mal seit 180 Jahren wieder in deutscher Originalsprache. Die bisherigen Aufführungen im 20. Jahrhunderte wurden ja alle in italienischen Versionen gegeben. Und zum ersten Mal seit 1840 hört man in Erfurt die Ouvertüre der Oper, die bisher als verschollen galt. Ihre Partitur konnte eigens für Erfurt aus historisch überlieferten Instrumentalstimmen, die in Kopenhagen aufgefunden wurden rekonstruiert werden.   

 

"Agnes von Hohenstaufen" ist ein Mittelalterstück mit nationalpatriotischer Stossrichtung, was sie zur preussischen Nationaloper schlechthin prädestinierte. In Erfurt hat man die Insze-nierung einem Franzosen anvertraut, Marc Adam, er war zuletzt Generalintendant in Nizza.  Kein schlechter Schachzug, denn "Agnes von Hohenstaufen" ist ziemlich deutschtümelnd, da bewahren  Franzosen vielleicht einen klareren Blick. Es handelt sich schließlich  um eine pa-triotische Oper, die auf der Opernbühne den Anfang machte einer folgenreichen Mythifizie-rung Friedrichs des Ersten von Hohenstaufen (Vater des in der Oper agierenden Heinrichs des Sechsten), der als Barbarossa zur Identifikationsfigur der deutschen Reichsgründung wurde und zur quasi mythischen Leitfigur des preussischen Grössenwahns, der im Ersten Weltkrieg gipfelte. Regisseur Marc Adam und seine Ausstatterin Monika Gora haben sich daher auch entschieden, die Oper aus der Perspektive von 1914-18 zu inszenieren, sozusagen als Alle-gorie preußischer Hybris.


Das Bühnenbild schafft den Spagat der Gleichzeitigkeit von Schlachtfeldszenen des Ersten Weltkrieges und mittelalterlicher Architektur. Über allem schwebt der fliegende Reichsadler. Nicht nur per Video, sondern leibhaftig. Zu Beginn der Oper stürzt sich ein echter Adler auf einen toten Soldaten, eine spektakuläre Szene, so verblüffend wie die ganze Inszenierung, die den Machtstreit zwischen Welfen und Hohenstaufern mit der integrierten Liebesgeschichte der Agnes und dem Sohn Heinrichs des Löwen als durchaus kritischen Herrscherpreis zeigt. Immerhin geht die Oper nur deshalb gut aus, weil Heinrich VI. militärisch bezwungen und von seinem Gegenspieler, Heinrich dem Löwen, durch großherzigen Verzicht auf seine An-sprüche zur Räson gebracht wird.


Die Aufführung ist eine große Kostümrevue, die einen Bogen spannt von mittelalterlichen Burgfräuleins über napoleonisch-biedermeierliche Spontinizeit bis hin zur wilhelminischen Pickelhaube. Das schafft ironische Distanz zum ziemlich schwer erträglichen Text des Libret-tos (Raupach und von Lichtenstein), das ganz ungeniert Vaterland, Deutschtum, Soldatenehre und  Gefühlssentimentalität feiert. Durch diese Distanzierung gelingt es dem Regieteam in einer turbulenten, zeigefreudigen Inszenierung, auch wenn sie gelegentlich wie unfreiwillige Opernparodie  anmutet, diese preußische Grand Opera unterhaltsam und opulent als Parabel auf Deutschtum und preussischen Grössenwahn auf die Bühne zu bringen. Der szenisch-technische  Aufwand der Produktion ist enorm und sie hat großen theatralischen Schauwert. 


Spontini hat seine letzte grosse Oper "Agnes von Hohenstaufen" für das Königliche Opern-haus in Berlin geschrieben. Es wurde in allen dortigen Aufführungen von den besten Sängern des Hauses gesungen, denn mindestens ein halbes Dutzend der vielen Gesangspartien stellt außerordentliche Anforderungen an die Sänger. Für die Titelpartien der wenigen Auffüh-rungen, die es im 20. Jahrhundert gab, standen keine Geringeren als Maria Callas, Montserrat Caballé und Leyla Gencer zur Verfügung. Natürlich darf man als  Messlatte in Erfurt nicht die historischen Vorbilder nehmen. Solche Kaliber kann das Erfurter Theater nicht aufbieten. Aber man kann das Werk mit einem insgesamt  rollendeckenden Ensemble stemmen. Die sängerischen Leistungen sind sehr unterschiedlich. Aber es gibt ein paar herausragende Sänger, die ich nennen möchte: Der ungarische Bariton Máté Sólyom-Nagy singt einen Kaiser Heinrich den Sechsten von großer Stimmautorität, exzellent ist die Irmengard  der Norwegerin Margrethe Fredheim, die Agnes der russischen Sopranistin  Claudia Sorokina singt die Titelpartie virtuos, aber doch leichtgewichtig, mit Verlaub gesagt, dafür ist ihr Liebhaber Heinrich mit dem Tenor Bernhard Berchtold wohltuend lyrisch besetzt.  Und der aus Tiflis stammende Bass Kakhaber Shavidze singt mit seinem sonoren Bass einen bal-samischen Erzbischof von Mainz.  Keine leichte Aufgabe, dieses Stück an einem Haus wie Erfurt sängerisch glaubwürdig zu besetzen.  Aber man hat ja in Erfurt in der Vergangenheit schon einige Kraftanstrengungen gemeistert und Ausnahmewerke realisiert, an die sich selbst größere Häuser nicht herantrauen. 


Nicht nur sängerisch, auch orchestral ist "Agnes von Hohenstaufen" ein Ausnahmewerk, das Orchester wie Dirigent viel abverlangt. Der griechischen Dirigentin Zoi Tsokanou, sie war drei Jahre Kapellmeisterin in Erfurt und ist derzeit künstlerische Leiterin und Chefdirigentin des Staatsorchesters Thessaloniki, wurde das stilistisch schillernde Werk in Erfurt anvertraut. 


Sie nimmt die Herausforderung mit zupackend rustikalem Schwung und griechisch-unbe-kümmertem, beinahe italienischem Temperament an. Es ist keine leichte Aufgabe, diese sehr faszinierende Mischung aus italienischer Oper, französischem Pomp und Pathos sowie deutscher Romantik unter einen Hut zu bringen. Es ist ja eine Musik des Nichtmehr und des Nochnicht, mit unüberhörbaren Vorwegnahmen von Wagner und Verdi, aber doch von ganz eigenem Strickmuster.  Spontini verlangt einen riesigen Orchesterapparat, der Wagnersche Dimensionen übersteigt, mit einigen Spezialinstrumenten, die man natürlich in Erfurt nicht hat. Man hat das Philharmonische Orchester Erfurt aufgestockt mit Mitgliedern der Thüringen Philharmonie Gotha-Eisenach.  Das Orchester spielt außerordentlich engagiert. Die Dirigentin tut ihr Bestes, den Apparat unter und auf der Bühne musikalisch zusamme-nzuhalten. Das klappt nicht immer ganz problemlos, vor allem was den erweiterten Chor angeht, der viel zu tun hat in dem Stück. Puristen unter den Spontini-Verehrern können manche berechtigte Einwände gegen die Aufführung erheben. Aber ich finde, diese Spontini-Ausgrabung in Erfurt ist mutig, ist geglückt und das Ergebnis ist - unterm Strich -  ein Opernereignis, das man sich nicht entgehen lassen sollte.   


Rezension auch in MDR-Kultur