Pountneys Meistersinger in Leipzig

Photo: Kirsten Nijhof / Oper Leipzig


Die Meistersinger von Nürnberg

Oper Leipzig, Premiere 23.10.2021.

 

Griechisch inspiriertes Fest deutscher Bürger-Utopie


 

Es war eine grandiose Aufführung. Zum ersten Mal  (nach Wieland Wagner, der aber so konkret, so eindeutig nicht war) hat ein Regisseur den Mut gehabt, Wagners Intentionen einer Wiedergeburt des antiken Theaters zu zeigen, indem er die Handlung in einem Amphitheater spielen lässt. Wagner bekannte in seinem Aufsatz »Zukunftsmusik«, er habe seine Idee des Festspiels „im Theater des alten Athens“ gefunden. An anderer Stelle heißt es: „Wir können bei einigem Nachdenken in unserer Kunst keinen Schritt tun, ohne auf den Zusammenhang derselben mit der Kunst der Griechen zu treffen. Und in seiner Autobiographie „Mein Leben“ schreibt Wagner, dass er sich "mit fühlbarer Wirklichkeit in Athen heimischer empfand als in irgendeinem Lebensverhältnisse der modernen Welt.“ Gerade auch in den „Meistersingern“ ist viel Griechisches enthalten.  In diesem Stück hatte sich Wagner ja weniger von der derben Dramatik des Nürnbergers Hans Sachs als der utopischen Sängerwettstreits-Komödie des  Aristophanes in “Die Frösche” inspirieren lassen zu einer beispiellosen Oper, in der der Gegensatz von Alter und Neuer Musik,  (verknöcherter) Tradition und Avantgarde, um nicht zu sagen “Zukunftsmusik” geht. Verhandelt wird in ihr aber auch der Zusmmenhang von (Meister-) Kunst contra Nationalpolitik. Wobei Sachs in seiner so oft falsch versandenen Schlussansprache für deutsche bürgerliche, antiaristokratische Kunst als Utopie einer demokratischen Kultur plädiert, jenseits aller Politik. David Pountney hat das verstanden und hat es aus britisch ironischem Blickwinkel, fern aller deutschen historischen Traumata in Szene gesetzt.

 

Ins Halbrund eines grauen antiken Amphitheaters hat Pountney mit seinem Bühnenbildner Leslie Travers ein historisches Miniatur-Nürnberg hineingestellt, ein variables Arrangement von Holzmodellbauten, die begehbar sind, auseinandernehmbar und vielfältig variierbar, auch als Sitzgelegenheiten. Nach der Prügelszene sieht man zu Beginn des dritten Aktes einen Modellbausatz kriegszerstörter Nürnberger Häuser auf einer Altnürnberger Sachsstube. Auf der Festwiese steht der Deutsche Reichstag als heutiger Bundestag en miniature auf der Skena des ansonsten leeren Amphitheaters. So ganz hat Pountney also Deutsche Politik und Zweiten Weltkrieg nicht außen vor gelassen. Auch der Nachtwächter gleicht eher einem Kriegsinvaliden, der auf eine Krücke gestützt daherkommt, als einem Altnürnberger Faktotum. Ansonsten aber keine Naziuniformen, keine Kofer, keine Judensterne. Beckmesser wird als Schulmeister dargestellt, nicht als antisemitische Karikatur eines Juden. Es wäre ja auch unsinnig. Im spätmittelalterlichen Nürnberg hätte man niemals einem Juden das ehrenwerte Amt des Merkers anvertraut. Und dass Wagner tatsächlich Beckmesser als Judenkarikatur gesehen haben wollte, wie noch immer oft behauptet wird, ist nichts als fragwürdige Spekulation.

Pountey spielt in seiner so intelligenten wie verantwortungsvollen Inszenierung mit historischen und modernen Kostümen, lässt Massen paradieren und tanzen, auch mal in weißen, mal in roten Overalls. Stolzing tritt in weißer Jeans mit roten Sneakers und dunklem Künstermantel auf, ein Mensch von heute, die Meister treten durchweg in Altnürnberger Tracht auf, auf der Festwiese sieht man keine Folklore.


Endlich einmal keine deutsche, um nicht zu sagen deutschtümelnde Festoper! Musikalisch entsprach dem Regieansatz Pountneys das Dirigat Ulf Schirmers, der zwar den Abend gemeinsam mit einem grandios aufspielende Gewandhausorchester (bemerkenswert die Bläser) zu einem Fest werden ließ, aber einem Fest an rhythmisch pointierter, dramatisch wie lyrisch klangprächtiger, transparent polyphoner Strukturen. Schirmer hat die Meistersinger-Musik voll ausgekostet und vom ersten bis zum letzten Takt unpathetisch, ohne falsche (teutonische) Weihe und kraftvoll jugendlich gestaltet. Eine flüssige Interpretation mit straffen Tempi, unerhört schönen orchestralen Details und doch wie aus einem (symphonischen) Guss, eine musikalische Interpretation, wie man sie überwältigender kaum je gehört hat. Eine Extraklasse für sich ist der Chor der Oper Leipzig samt Zusatzchor (Einstudierung Thomas Eitler-de Lint).

 

Leider überzeugte die sängerische Besetzung nicht durchweg: In dem großen, insgesamt rollendeckend besetzten Ensemble gab es Licht und Schatten.

Großartig war der britische Wagnerbariton James Rutherford, ein Paradebeispiel absolut wortverständlichen, klug phrasierten und (auch in der Höhe) stimmintakten, natürlichen Singens, eine singschauspielerische Autorität, die hervorstach. Auch der Walther von Stolzing des Magnus Vigilius war ohne Fehl und Tadel, ein jugendlich strahlender Tenor ohne alle meist zu beklagenden heldenhaften Unarten. Leider fiel der Backmesser von Mathias Hausmann, auf den man besonders gespannt war, wegen Stimmbanderkrankung aus, er rettete den Abend immerhin durch sein Spiel, während, aus der Gasse dankenswerterweise Ralf Lukas sang. 


Der David von Matthias Stier war ungewöhnlich stark, baritonal und viril besetzt, das war kein üblicher Spieltenor, eine wohltuende Rollenaufwertung. Elisabet Strid sang die Eva recht robust, zuweilen keifend und flackernd. Immerhin hat sie im Quintett ordentlich auf Linie gesungen. Kathrin Görings Magdalena war unauffällig rollendeckend. Qualitativ sehr unterschiedlich waren die Meister besetzt. Vor allem Wortverständlichkeit und Artikulation ließen bei einigen sehr zu wünschen übrig. Am Enttäuschendsten waren Artikulationsprobleme, mangelnde Aussprachegenauigkeit und Vokalverfärbungen bei Sebastian Pilgrim, der mit seinem ansonsten imposanten schwarzen Bass den Veit Pogner sang. Trotz der sängerischen Abstriche eine Aufführung, die man gesehen haben sollte!

 

Besprechung auch in "Oper & Tanz"