Gudrun Wagners überraschender Tod 2007

Photo: Bayreuther Festspiele GmbH / Jörg Schulze

28.11. 2007  Die „heimliche Herrscherin von Bayreuth" ist tot


        „Tiefbewegt und in stiller Trauer muss ich bekanntgeben, dass heute morgen meine liebe Frau und engste Mitarbeiterin Gudrun Wagner völlig unerwartet verstorben ist“, hieß es in der von Wolfgang Wagner am 28.11.2007 unterzeichneten kurzen Mitteilung. Gudrun Wagner wurde 63 Jahre alt.  Vor wenigen Tagen hatte sie sich nach Angaben der Bayreuther Festspiele für eine Operation ins Bayreuther Klinikum begeben. Sie habe diese Operation gut überstanden, es sei ihr noch am Dienstag gut gegangen. Am frühen Mittwochmorgen sei sie in dem Krankenhaus gestorben.


Zur Erinnerung: Geboren wurde Gudrun Wagner am 15. Juni 1944. Ihre Mutter floh mit dem vier Wochen alten Baby aus Ostpreußen nach Bayern. Der Vater kam erst 1949 aus russischer Kriegsgefangenschaft frei. Nach dem Schulbesuch erwarb Gudrun Wagner ein Diplom als Fremdsprachenkorrespondentin, sie besuchte Sprachen-schulen in Regensburg, Paris, Birmingham und London. 1960 landete sie auf eine Stellenanzeige hin - "Kultur-betrieb in Nordbayern sucht Mitarbeiter" - bei den Bayreuther Festspielen im Pressebüro. Engagement und Ehrgeiz ließen sie rasch zur rechten Hand und zur Geliebten Wolfgang Wagners werden. Wolfgang Wagner ließ sich von seiner ersten Frau Ellen Drexel scheiden, Gudrun sich von ihrem Mann Dietrich Mack.  1976 heirateten Wolfgang und Gudrun Wagner. 1978 wurde die Tochter Katharina geboren, die sich derzeit um die Nachfolge des 88-jährigen Festspielchefs bemüht.


Gudrun Wagner, gesegnet nicht mit Intellekt und Bildung, eher mit zupackender, intelligenter Bauernschläue, hielt sich in der Leitung der Festspiele offiziell im Hintergrund, galt aber seit Jahren als einflussreiche Organisatorin und Strippenzieherin hinter den Kulissen. Für zahlreiche Besetzungen und Entscheidungen der letzten Jahre ist sie mitverantwortlich gewesen. Sie selbst hörte die Bezeichnungen "inoffizielle Chefin" und "heimliche Festspielleiterin" nicht so gerne, sah sich lieber als "Frau im Feuer" und "Libero des Festspielhauses".  Sie  ließ sich mit folgendem Satz zitieren: "Wenn ich meine Arbeit richtig machen will - und wer will das nicht? -, dann habe ich natürlich die Fäden in der Hand; sonst würde es hier nämlich nicht laufen."

Es entschlüpfte ihr aber auch die selbstbewußte Äußerung: „Ich bin mein Mann!“  1993 erhielt sie den französischen Orden „Chevalier des l'Arts et des Lettres“. Wolfgang Wagner wollte im Jahr Jahr 2001 seine Gattin offiziell zu seiner Nachfolgerin machen. Gudrun Wagner bewarb sich um die Festspielleitung, stieß aber im Stiftungsrat der Richard-Wagner-Festspiele auf Ablehnung. Das Gremium wählte im Jahr 2001 Eva Wagner-Pasquier, Wagners Tochter aus erster Ehe. Daraufhin weigerte sich Wolfgang Wagner von seinem Posten zurückzutreten.




Ein Gespräch mit Dieter David Scholz in SWR 2 Journal


Die Nachricht kam mehr als überraschend. Gudrun Wagner, die Gattin des greisen Bayreuther Festspielleiters Wolfgang Wagner, ist gestorben. Das wird für die Festspiele nicht ohne Bedeutung bleiben. Sie war 25  Jahre jünger als ihr Mann. Dieter David Scholz, viel mehr als Spekulationen werden uns da, fürchte ich, nicht bleiben. Der Tod kam ja auch für die Familie überraschend.


 


Ja, allerdings, der kam mehr als überraschend. Man hätte ja eher täglich mit dem Ableben von Wolfgang Wagner gerechnet angesichts seines hohen Alters (er ist 88), und seiner körperlichen Hinfälligkeit. Daß Gudrun Wagner nun mit 63 Jahren so ganz unerwartet und plötzlich gestorben ist, das ist natürlich eine tragische Angelegenheit, zumal für den greisen Wolfgang Wagner, der jetzt hilflos dasteht, denn sie war seine rechte Hand, und mehr als das. Insider wissen seit Jahren, dass eigentlich alle Fäden der Bayreuther Festspiele bei Gudrun Wagner zusam-menliefen. Nichts ging ohne sie, alles ging über ihren Schreibtisch. Sie hatte alle Fäden der Administration und der Organisation in der Hand. Und sie war eine strenge „Herrin“, sie war gefürchtet. Sie hatte nicht viele Freunde. Und Wolfgang konnte sich auf sie verlassen. Nun steht er ohne sie da und möglicherweise wird das ganze Kartenhaus der Wagners zusammenbrechen, denn die beiden – Wolfgang und Gudrun Wagner - haben ja, das muß man bei allen Verdiensten und selbst angesichts der tragischen Ereignisse sagen, die Öffentlichkeit hinters Licht geführt, indem sie verheimlichten, wer seit Jahren eigentlich der Chef des Hauses war.


Strenge „Herrinnen“ sind in Bayreuth ja nicht unbedingt etwas Neues gewesen. Cosima, Winifred ... Gudrun blieb zwar für die Öffentlichkeit  meist im Hintergrund, aber sie hat alle Fäden gezogen, sagen Sie. Was passiert denn jetzt? Jetzt ist niemand mehr da, der die Fäden zieht. Das Kartenhaus wird  möglicherweise vollständig zusammenbrechen. Werden die Karten jetzt vollständig neu gemischt für die Nachfolge?


Es sind mehrere Szenarien denkbar. Es ist ja immer so, wenn Könige oder Königinnen sterben, dann haben die Kronprinzen oder Kronprinzessinnen entweder die beste Chance oder gar keine Chance. Also natürlich wird jetzt Katharina Wagner sich um so mehr anstrengen, dort Bella Figura zu machen und sich möglicherweise zur Retterin von Bayreuth aufzuspielen. Aber wir wissen ja, dass der Stiftungsrat, der allein zu entscheiden hat über diese Nachfolgefrage, nicht unbedingt Sympathien für Katharina Wagner hat. Und das mit gutem Grund, denn sie hat sich blamiert mit ihrer Meistersinger-Inszenierung und auch mit ihren ziemlich naiven Äußerungen über die künst-lerische Zukunft Bayreuths. Aber es gibt natürlich noch zwei andere Anwärterinnen, die sicher nicht besonders traurig sein werden über den Tod von Gudrun: Einmal natürlich Eva Wagner-Pasquier, Wolfgang Wagners Tochter aus seiner ersten Ehe mit Ellen Drexel. Diese zurückhaltende Frau, Casting-Chefin beim Festival in Aix-en-Provence. Sie wird favorisiert vom Stiftungsrat. Und dann gibt es noch Nike, die Nichte Wolfgang Wagners, die Tochter von Wieland Wagner, die derzeit ohne rechte Fortüne das Kunstfest Weimar leitet. Aber sie hat wahr-scheinlich auch keine Chancen. Weil sie völlig utopische, unrealisierbare Vorstellungen über die Zukunft Bay-reuths hat. Auch das ist schon durchgesickert. Wie auch immer: Ich denke, der Stiftungsrat ist jetzt gefordert. Er muß jetzt eine Entscheidung treffen, denn man kann jetzt davon ausgehen, dass der greise Wolfgang Wagner die Festspiele alleine nicht mehr wird leiten können.


Wird der Stiftungsrat auch aktiv werden? Ich habe den Eindruck, von außen zuschauend, daß er sich letzen Endes ja schon lange vor Entscheidungen gedrückt hat.


Der Stiftungsrat ist wirklich nicht sehr mutig gewesen in der Vergangenheit. Er hat sich auch immer von Wolfgang Wagner und seiner Gattin hinhalten und erpressen lassen. Er hätte längst einschreiten müssen, denn was sich seit Jahren in Bayreuth abspielt , ist alles andere als schön. Wir wollen doch mal ehrlich sein: In den letzten Jahrzehn-ten ist Bayreuth (von Ausnahmeproduktionen abgesehen) weit entfernt gewesen von dem, was Richard Wagner einmal wollte: Vorbildfunktion in Sachen Wagneraufführung. Wir sehen doch heute in vielen Häusern der Welt, selbst an kleinen Häusern, auch in der Provinz, die besseren und interessanteren, auch besser besetzten Wagner-aufführungen als in Bayreuth. Und deshalb muß gehandelt werden. Es hätte längst gehandelt werden müssen. Da müssen jetzt auch neue Weichen gestellt werden. Und ich finde, der Stiftungsrat der Bayreuther Festspiele ist in der Pflicht  und hat die Verantwortung, jetzt zu einer Krisensitzung zusammenzukommen und  über die Bayreuther Zukunft zu entscheiden. 


Könnte es sein , das klingt etwas zynisch, so meine ich es aber nicht, dass dieser überraschende Tod von Gudrun Wagners dazu führen wird, dass in Bayreuth jetzt wirklich alles neu und anders wird, dass jetzt, wo die „graue Eminenz“ nicht mehr am Leben ist, Bayreuth einen völlig anderen Weg gehen wird, der auch notwenig sein dürfte?


Ja, es ist tatsächlich möglich, und wahrscheinlich, und das wäre auch gut so, dass  jetzt in Bayreuth alles ganz anders wird. So eine Situation ist natürlich immer auch eine Chance, aber eine Chance für viele verschiedene Möglichkeiten. Die Frage ist nur, wer wird jetzt das Ruder umwerfen? Wer wird Nachfolger werden? Und wird jetzt so schnell ein verantwortungsvoller gefunden? Immerhin, das darf man nicht vergessen: Wolfgang Wagner hat einen Vertrag auf Lebenszeit. Bisher hat er sich der Patriarch hartnäckig geweigert, den Weg frei zu machen für einen Nachfolger, außer er hieße Katharina Wagner.  Aber das hat der Stiftungsrat nicht akzeptiert. Wenn Wolfgang Wagner, der jetzt seine Ehefrau, seine Vertraute und engste Mitarbeiterin verloren hat (er kann einem Leid tun, denn er kann in seinem Zustand die Geschäfte nicht mehr führen) weise wäre, und Ehre im Leib hätte, und Verantwortungsgefühl gegenüber den Festspielen, die ja – wie gesagt - nicht mehr in seinem Familienbesitz sind, dann würde er jetzt den Weg frei machen und zurücktreten. Aber er hat ja in der Vergangenheit immer wieder bewiesen, dass er nichts von Selbstlosigkeit, Milde und Größe hält. Verzicht war nie seine Sache. Eher Fafners Devise: "Ich lieg und Besitz" Er wollte immer Alleinherrscher sein mitsamt seiner Familie, also mit der seiner zweiten Ehefrau Gudrun und deren Tochter Katharina. Wenn er angesichts dieser tragischen Wendung, die das Schicksal unvorhergesehen brachte, den Weg jetzt frei machte, dann könnten in Ruhe und in aller Sachlichkeit die anstehenden Probleme erörtert und in die Wege geleitet werden. Aber es wird wohl eher so sein, dass der sture Patriarch jetzt zur letzten Schlacht bläst, denn jetzt geht es um die Zukunft seiner Tochter Katharina, die um die Protektion und Förderung ihrer unerbittlich ehrgeizigen Mutter gebracht wurde.  Einer Mutter, die wohl auch hauptverantwortlich war für die Entfremdung Wolfgang Wagers von seinen Kindern aus erster Ehe, wie man hört.


Wenn ich mir ein persönliches Urteil erlauben darf: Ich glaube, es wäre wohl gut, wenn endlich diese Familie in Bayreuth nicht mehr am Ruder säße und vor allem ihre Familieneitelkeiten befriedigte. Seit Gründung der Stiftung der Bayreuther Festspiele 1973 sind die Bayreuther Festspiele mehr oder weniger ein Staatsbetrieb. Man bräuchte jetzt eine neutrale, von allen Familienansprüchen freie Persönlichkeit mit Sachverstand, Erfahrung und Kompe-tenz, einen professionellen Intendanten oder „Kulturmanager“, um dieses derzeit so viel beanspruchte Modewort zu benutzen. Die Bayreuther Festspiele müssten endlich wieder auf einen außergewöhnlich hohen künstlerischen Standard gebracht werden, der das Wort „Festspiele“ rechtfertigt. Denn das Bayreuther Festspielhaus (das immer noch alljährlich Tausende anzieht) mit seiner Aura und Authentizität ist ja nur etwas Museales und im Grunde so herrlich Anachronistisches wie die Festspielidee Richard Wagners.  Es bedarf aber - zumal als öffentlich subven-tionierter Festivalbetrieb -  einer künstlerischen Legitimation.  Die Stagnation, für die Gudrun und Wolfgang Wag-ner in den letzten Jahren verantwortlich zeichnen, muß beendet werden.  Und Zeitgeistlösungen à la Katharina sind keine.