Teatro La Fenice in Schutt und Asche 1996

Photo: Michele Crosera

Phönix in Schutt und Asche


Aufschreie des Entsetzens erschütterten Europas Musik-, speziell die Opernwelt, als am 30. Januar 1996 die Nachricht vom verheerenden Brand in Venedigs legendärem Teatro La Fenice durch die Medien ging. Es war zwar das jüngste (und derzeit einzige) Opern-haus der Lagunenstadt, aber dennoch so etwas wie eine Ikone nicht nur der italieni-schen, sondern der europäischen Operngeschichte.


Ein Jahr nach Mozarts Tod als erster klassizistischer Bau Venedigs eröffnet, entwickelte es sich zu einem der bedeutendsten Urauffürhrungstheater. Cimarosa, Rossini, Bellini, Donizetti, Meyerbeer und Verdi vertrauten La Fenice die ersten Aufführungen einiger ihrer besten Werke an. In unserem Jahrhundert schrieben Strawinsky, Britten, Prokof-ieff, Nono und Bussetti für das wunderbare Haus in rotem Samt und Gold. Ein Knoten-punkt des Risorgimento (Visconti hat das sogar filmisch festgehalten), war das präch-tige Rang- und Logentheater mit annähernd zweitausend Plätzen nicht nur Austra-gungsort vaterländischer Emotionen Giuseppe Verdis. Es war seit Anbeginn Forum der größten Sängerpersönlichkeiten wie Enrico Caruso, Benjamino Gigli, Magda Olivero und Giulietta Simionato. Nicht zuletzt die junge Maria Callas triumphierte hier mit ihren frühen Brünnhilden und Isolden, auch Joan Sutherland startete vom Fenice aus mit der Partie der Händel-Alcina ihre internationale Karriere. Aber selbst in weniger opernfreundlichen (sprich: kulturfeindlichen) Zeiten des Sparens war das Fenice doch immer das Herz der Musikstadt Venedig, jener Stadt, in der einst das erste bürgerliche Opernhaus gegen Entgelt seine Pforten öffnete und in der im achtzehnten Jahrhundert mehr als ein Dutzend Opernhäuser um die Gunst der Publikums konkurrierten.


Das La Fenice ist ein Wahrzeichen Venedigs wie der Dogenpalast oder der Markusdom, der Palazzo Vendramin, die Frarikirche oder Santa Maria della Salute. Daß es in zwei Stunden (so lange dauerte es von der Feuermeldung bis zum Einsatz der Feuerwehr) bis auf die Grundmauern abbrannte, weil man angeblich nicht schnell genug Wasser zum Löschen herbeischaffen konnte, mutet grotesk an in der Stadt der Kanäle und wirft ein bezeichnendes Licht auf venezianische, auf italienische Zustände, auf Chaos, Impro-visation und Langsamkeit, zu schweigen von Desorganisiertheit und Vetternwirtschaft.


Die alte, noch intakte Sprinkleranlage war angeblich ausgeschaltet worden, noch bevor eine neue eingebaut war. Die jüngste Renovierung des Hauses stand kurz vor dem Ab-schluß. Fahrlässigkeit wird offiziell als Brandursache nicht ausgeschlossen. Die Welle der Solidaritätsbekundungen auf der ganzen Welt nimmt kein Ende, auch an spontanen Angeboten an Benefizveranstaltungen mangelt es nicht. Selbst Claudio Abbado und die Berliner Philharmoniker, die im Mai zu Gast im Fenice sein sollten, wollen helfen. "Big P" Luciano Pavarotti will allein auf dem Markusplatz singen fürs La Fenice. Auch der Bürgermeister Venedigs, Massimo Cacciani, versprach allen Opernfreunden: "das Theater wird wiedererstehen, wie es einmal war." Die Regierung in Rom sagte Hilfe zu, auch Europäische Union und UNESCO schlossen sich an. Doch die Mühlen der Büro-kratie mahlen in Italien noch langsamer als anderswo, was selbst Venedigs Bürger-meister öffentlich beklagt: "Das Geld ist nicht das letzte Problem!"


Mit Wehmut erinnert man sich, daß dieser (!) Phönix, eben "La Fenice", 1792 auf der Asche eines abgebrannten Theaters erbaut wurde. Omen est nomen!  Als es nach 44 Jahren zum erstenmal abbrannte,  wurde es in einer Rekordzeit von nur sieben Monaten wieder aufgebaut! Was man 1836 vermochte, sollte heute unmöglich sein? Es geht schließlich nicht nur um eines der schönsten Opernhäuse Europas, es geht um die Ehre der einstens vielleicht bedeutendsten, auf jeden Fall aber der ersten (bürgerlichen) Opernmetropole Europas. Und es geht, natürlich, auch um die Gegenwartskultur im krisengeschüttelten Italien. Möge dieser Phönix alsbald aus seiner Asche wieder-erstehen!



Beitrag in der Opernwelt  in  Februar 1996