Die Hugenotten Berlin Alden

Enttäuschung an der Deutschen Oper Berlin 

David Aldens enttäuschende Neuinszenierung von Meyerbeers "Hugenotten" und ein Symposion


Mit der Neuproduktion der Grand Opéra  „Die Hugenotten“  präsentierte  die Deutsche Oper Berlin am 13. 11. 2016 nach „Vasco da Gama" einen weiteren wichtigen Teil ihres Meyerbeer-Zyklus. Er soll drei Werke des Meisters der Grand Opéra, die lange nur ein Raritätendasein auf den Spielplänen führten, erneut zur Diskussion stellen. Die Deutsche Oper hat  ihre Neu-inszenierung des Stücks zum Anlass genommen, in einem dreitägigen Symposion die die Geschichte des komplexen Wechselverhältnisses von Oper und Religion zu beleuchten, das von offener Feindschaft, Blasphemierung  bis zu Instrumentalisierung reicht. In acht Vorträ-gen kamen renommierte Wissenschaftler unterschiedlichster Herkunft und Ausrichtung zu Wort.

Photos  © Bettina Stöß  / Deutsche Oper Berlin

Ante Jerkunica, Juan Diego Florez, Marc Barrar

Ante Jerkunica, Juan Diego Florez, Olesya Golovneva

Natürlich ging es in dem Symposion um religiöse Figuren auf der Opernbühne. Richard Wagners Auseinandersetzung mit der Religion, die auf der romantischen Idee der „Kunst-religion“ aufbaute, kam zur Sprache, aber auch Richard Straussens „Salome“ und Arnold Schönbergs „Moses und Aaron". Anselm Gerhard vom Institut für Musikwissenschaft der Universität Bern entfaltete in seinem Vortrag über die religiösen Resonanzen in der Oper des 19. Jahrhunderts ein eindrucksvolles Panorama der Tabubrüche und Blasphemien auf der Musiktheaterbühne, von Donizetti über Verdi bis zu Wagner und Puccini. Er verwies auf die Zensur, die Kirchen- und Klosterszenen verbot. Man durfte Sakralbauten nur von außen zeigen. Und er thematisierte religiöse Begriffe, die in der Oper blasphemiert wurden. Als besonders anschauliches Beispiel wählte er Massenets „Manon“: 


„La mia bocca e un altare, dove il duo bacio e  dio“, „Mein Mund ist ein Altar, auf dem Dein Kuss Gott ist. Und das muss man in Beziehung setzten zur Tatsache, dass bis in die frühen 1890er Jahre  das Küssen auf der Bühne selbstverständlich als unschicklich galt. Hier ist aber der Kuss der Gott auf einem Altar, nämlich auf dem Altar des sinnlichen Munds dieser Manon.“


Am spannendsten in diesem Symposion waren die Seitenblicke auf die aktuelle gesell-schaftliche Akzeptanz  von Religion in der Oper. Marina Davydova,  Festivalleiterin der Wiener Festwochen, sang ein Lied davon, wie massiv die Russisch Orthodoxe Kirche heute das Operngeschehen in Russland zensiert. Michael Ajzenstadt, Operndirektor der Israeli Opera, machte deutlich, dass die Traditionen der strenggläubigen Juden in Israel auch die Oper beeinflusst, zumal singende Frauen auf der Bühne und Zurschaustellung des weib-lichen Körpers in der Öffentlichkeit ein Tabu darstellen, auf das jeder Spielplangestalter und jeder Regisseur bis heute Rücksicht zu nehmen hat.


„Über Oper und Religion kann man endlos reden, aber wenn man über Oper und Religion in Israel nachdenkt, dann gibt es eigentlich keinen gemeinsamen Nenner“ 

 

Ahmed Milad Karimi vom Zentrum Islamischer Theologie der Universität Münster pries  in seinem rabulistisch brillianten Vortrag, der allerdings den realen Islam mit seinen extre-men Auswüchsen energisch ausklammerte,  seine Religion als offenes Kunstwerk an und erklärte, dass der Koran in seiner quasi musikalischen, bildhaft-ornamentalen Theatralik - und zwar in der Schrift wie in der Praxis der Ausübung - im Grunde opernhaft ist:


„Die Weise, wie wir Zugang zu Gott haben als Muslime, ist Schönheit, denn er selbst als Wahrheit ist nicht anzutreffen. Die Religion des Islam ist ein äußerst ästhetisches Unter-fangen. Nicht bloß die sinnliche Vermittlung der religiösen Riten, wie ich anfangs einge-führt habe, führt diesen Umstand vor Augen, vielmehr ist die Weise, wie sich Gott im Islam mitteilt, reine Sinnlichkeit, ja mehr noch Theatralik. Es ist inszeniert!“


Der protestantische Theologe Gerhard-Marcel Martin von der Philipps-Universität  Mar-burg befasste sich schließlich mit Meyerbeers „Hugenotten“, allerdings aus Sicht des „Bi-bliodramas“ , also der spieltheatralen, spieltherapeutischen Auseinandersetzung mit reli-giösen Texten. In seinen kritischen Anmerkungen zu Meyerbeers Oper  monierte er in ihr eine plakative Religionsdarstellung, aber auch groteske Widersprüche zwischen Lebens- und Todesbejahung. Er entdeckte Züge absurden Theaters in dem Werk und unterstellte ihm abgründigen Geschichtspessimismus.


„ Also ließe sich nach allem von einer weltgeschichtlich-göttlichen Komödie, allenfalls von einer Tragikomödie sprechen. Es ist die Tragödie der blindwütigen Eigendynamik destruk-tiver Kräfte, in der jegliches Individuum verloren geht.“ 


In Giacomo Meyerbeers fünftaktiger Oper „Die Hugenotten“ ist religiöser Fanatismus das Kernthema. Es wird so drastisch vorgeführt wie in keinem anderen Werk der Opern-litera-tur. Mit seinen „Hugenotten“ hat Meyerbeer eines der größten Massaker der europäischen Geschichte auf die Opernbühne gebracht: Eben das Gemetzel der Bartholomäusnacht 1572.

 

Meyerbeers 1836 in Paris uraufgeführte Operh at eine wechselhafte Geschichte: Im 19. Jahrhundert wurde das Werk, das erfolgreichste  vor  der „Afrikanerin“, vergöttert und rund 1.000 Mal gespielt. Und doch wurde der  Repertoirehit ein Jahrhundert später -  nach Richard Wagners Denunzierung und dem Aufführungsverbot der Nazis - geschmäht und schließlich vergessen. Erst in den Siebziger- und Achtzigerjahren des vergangenen Jahr-hunderts setzte eine Renaissance Meyerbeers ein.


Ein bedeutender Meilenstein dieser Meyerbeer-Wiederentdeckung war die Inszenierung der „Hugenotten“ von John Dew 1987 an der Deutschen Oper Berlin. Sie wurde triumphal gefeiert, nicht zuletzt wegen der spektakulären Bühnenbilder von Gottfried Pilz, der das Stück vor Kreuzberger Mietskasernen und vor der Berliner Mauer zeigte. Auch wie John Dew bei allen diskret-beklemmenden Anspielungen aufs Dritte Reich und die Juden-pro-blematik doch immer - gerade in den „komödiantischen“ Szenen - augenzwinkernd-paro-distisch mit Opernklischees spielte, wie er Revueelemente und eine köstliche Bilder- und Bewegungssprache einbezog, das vergisst man nicht.


Auch die zum ersten Mal fast komplette Aufführung der Oper in Brüssel vor 5 Jahren war ein international beachtetes Ereignis. Olivier Py realisierte eine spektakuläre Ausstat-tungs-oper. Die hinreißend musikalische Ausleuchtung des Stücks durch Marc Minkowski setzte Maßstäbe.


In diesem Jahr hat die Oper Kiel ihre Spielzeit mit einer opulenten Inszenierung des Regis-seurs Lukas Hemleb eröffnet. Er setzt auf historische Tableaus vor einer matt spiegelnden, schräg gekippten Rückwand. Die historischen Kostüme von Falk Bauer seien so überwäl-tigend gewesen, so meinte ein Kritiker, dass echte Hofdamen und Edelmänner des 16. Jahrhunderts vermutlich vor Neid erblasst wären.


Während sich die Kieler dem Historienstoff recht klassisch näherten, war der junge japa-nische Regisseur Tomo Sugao im Mainfrankentheater Würzburg, wo das Stück ebenfalls zur Eröffnung dieser Saison herauskam, wagemutiger. Er erzählt ein Stück über zwei Lie-bende, Valentine und Raoul, die an Romeo und Julia erinnern und die sich radikalisieren. Die Inszenierung ist ein szenischer Spagat zwischen pompösen Bühnenkostümen und schlichter Straßenkleidung, Zuschauerraum, Bühne und Off, Illusions- und epischem Theater. 


Und nun zur Premiere der Berliner Inszenierung von David Alden: Der Regisseur wurde in den zurückliegenden Jahrzehnten  als Repräsentant des quietschbunten „Britpop“ auf der Opernbühne gefeiert wie verschrien. Alden  setzt in der guckastenbühnenhaften  Aus-stattung von Giles Cadle vor allem auf die Kontrastdramaturgie und den Collagencharakter Meyerbeers. Deshalb verortet er das Stück auch nicht historisch eindeutig, sondern mischt Elemente verschiedener Epochen von der Renaissance bis heute in einem Einheitsraum nach Art einer Turnhalle mit Kirchendachgebälk, in der Tischerücken und Bänkekippen das Äußerste an Dramatik sind. Zwischen Rampen- und Revuetheater lässt Alden die fünfak-tige Grand Opéra fast komplett spielen. Der Abend dauert denn auch fünf Stunden. Und doch tritt er auf der Stelle, trotz hypermotorischer Personenführung. David Alden hat die Oper um das  Massaker der Bartholomäusnacht revuehaft verharmlost durch permanentes Schunkeln, Tänzeln und Tippeln. Die Aufführung wird schnell langweilig. Im Gegensatz zur Vorgängerinszenierung am Haus durch John Dew und Gottfried Pilz 1987 kommt keinerlei Ergriffenheit auf. 

 

Auch sängerisch und musikalisch ist die Aufführung  kein wirklich großer Abend. Außer dem fulminanten Marcel von Ante Jerkunica enttäuschen Patrizia Ciofi als Margurite und die virtuose Olesya Golovneva als Valentine. Man hat diese Partien schon weitaus kulti-vierter gesungen gehört.


Juan Diego Florez, der Star des Abends, singt wie immer fulminant, aber man fragt sich doch, ob der konkurrenzlose Rossiniinterpret gut beraten ist, Meyerbeer zu singen. Zu weiß, zu eindimensional, zu schlank ist sein „tenore di grazia“ für die Partie des Raoul. Schade, dass auch der Dirigent Michele Mariotti, ein ausgezeichneter Rossinidirigent beim Rossinifestival in Pesaro, nicht den rechten Ton findet für Meyerbeers pikante Musik der Stilbrüche und Gattungsvermischungen. Zu langsam, zu weich, zu harmlos dirigierte er die Grand Opéra. Wer Marc Minkowskis scharfe, analytisch zugespitzte Lesart  der „Huge-notten“ in Brüssel vor 5 Jahren gehört hat, ist von dieser neuen Berliner Aufführung arg enttäuscht.



Beiträge auch in SWR 2 Cluster & DLF Musikjournal am 14.11.2016