Geschlechterbilder in der Oper

Es gibt keine vermeintlich naturgegebene Ordnung der Stimmgattungen

  

Anke Charton: "Prima donna, primo uomo, musico. Körper und Stimme: Geschlechterbilder in der Oper"

357 Seiten. Leipziger Universitätsverlag.

 

Immer noch kommt es vor, so berichtet die Autorin zu Beginn ihres Buches, dass Zuschauer in einer Aufführung der Oper "Orlando furioso" von Antonio Vivaldi irritiert sind, wenn eine Frau die männliche Partie des Medoro singt.  Oder wenn eine Frauenrolle von einem Mann, einem Countenor (als Kastraten-Ersatz) gesungen wird. Weil die vermeitliche Übereinstimmung von Körper, Stim-me und Geschlechterrolle verletzt wird.


Auch die sogenannte "Hosenrolle", wie die des von einer Frau gesungenen, jungen Liebhabers Cherubino ist einer jener Fälle, in denen das Spiel mit Kleiderordnung und Stimmzuweisung die herrschenden Ideen von Körper, Geschlechterrolle und sozialer Ordnung durcheinanderbringt.

Die Oper ist die Gattung, in der alles möglich ist, könnte man einwenden. Gewiss, aber Oper spiegelt immer auch Muster und Konnotationen von Stimmen und Körper. Es sind sehr ver­schie-dene Muster, wie Anke Charton mit Blick auf dreihundert Jahre Operngeschichte veranschau-licht. Und so kann es vorkommen, dass man in diesem Spiegel heute natürlich empfundene Muster gelegentlich nicht wiedererkennt: Das Heldentum eines Kastraten, der die Primadonna singt und die Weiblichkeit eines Primo uomo, der von einer Sängerin gegeben wird, wurden lange als Grenzverletzungen betrachtet. Doch sie demonstrieren, dass jede Konstruktion von Geschlechterrolle relativ ist. Sie hängt von ihrem Wahrgenommen Werden ab. In der Barockoper galt es als keineswegs unnatürlich, dass ein Mann hoch 8Sopran) singt. Und eine Frau fiel nicht aus der Rolle, wenn sie mit tiefer Altstimme einen Mann sang.  Geschlechtszuweisungen in der Oper sind regional und zeitlich sehr unterschiedlich vorgenommen worden. Vorgeblich bio­logische Geschlechterzuordnungen sind in dieser Kunstform fragwürdig.


Wenn Prinz Tamino in Mozarts "Zauberflöte" den ängstlichen Papageno dazu auffordert, doch ‚ein Mann' zu sein, und Papageno entgegnet, dass er lieber ein Mädchen wäre, macht er sich lä-cherlich, weil er aus der Männerrolle fällt, oder - um es wissenschaftlich zu sagen - weil er ein unangemessenes "Genderverhalten" an den Tag legt. Doch die Überschreitung von solchen vor-gegebenen Geschlechterrollen in der Oper ist nicht immer ein Moment von Komik. Papageno ist das beste Beispiel dafür, wie die Absage an ein traditionelles Körper- und Geschlechterbild ihn zum Mittler zwischen vorherrschenden Strukturen macht, die er nur auf Grund seines eigenen ‚komischen' Zwischendaseins thematisieren und in Frage stellen kann.


Eben solche Zwischenräume von "männlich" und "weiblich" ermöglichen in der Oper "Zu­griffe auf Kategorien von Geschlecht, und dies auf verschiedenen Ebenen: im Libretto, in den Körpern und besonders in den Stimmen. Von den standesorientierten Stimmtravestien der Barockoper über Mozarts ‚mädchenhaften' Papageno bis hin zur sexualpathologisierten (oft en travestie gesungenen) Knusperhexe bei Humperdinck" differenziert Anke Charton Körper- und Stimm-vorstellungen vor dem Hintergrund normierender Geschlechterpolitik.  

Anke Charton macht in ihrem Buch deutlich, dass die bis heute gebräuchliche Einteilung in zwei geschlechterspezifische Stimmgattungen, das Gegensatzpaar hoch-tief, männ­lich-weiblich, keiner vermeintlich naturgegebenen Ordnung entspricht, sondern - und das ist die Haupt­these der Autorin - eine auf dem Nährboden des 18.  und 19.  Jahrhunderts gewachsene Konvention ist.


Jedes sogenannte Angemessenheitskriterium von Geschlechterstereotypen, so lernt man in diesem Buch, ist fragwürdig. Zwar legt der Körper das Geschlecht fest, evozieren Stimmen bestimmte Assoziationen, doch Kleidung, Stimme und Rolle sind abhängig von gesellschaftl-ichen Ordnungskategorien, Hierarchien und Funktionszuordnungen der Oper. Diese Parameter waren in der höfischen Barockoper andere als in der Zeit der Französischen Revolution oder dem bürgerlichen neunzehnten und zwanzigsten Jahrhundert, wie die Autorin belegt. Sie leistet insofern einen wichtigen Beitrag zur "Genderforschung", aber auch zur Erforschung der Opern-geschichte, indem sie unreflektierte biologistische Geschlechterzuweisungen als Irrtümer, Vor-urteile und Mis­sverständnisse entlarvt. 


Es hätte der Wissenschaftlichkeit ihrer Arbeit allerdings keinen Abbruch getan, wenn sie ihre Erkenntnisse in etwas einfacherem Deutsch mitgeteilt hätte. Der leichteren Lesbarkeit hätte sie einen großen Dienst erwiesen. Denn bei aller Horizonterweiterung soll die Lektüre selbst eines wissenschaftlichen Buches doch immer auch ein Vergnügen sein, oder nicht? 


Beitrag für DLF - Musikjournal.