Die Banditen Komische Oper

Foto: Jaro Suffner / Komische Oper Berlin


Harry Kupfers szenisch turbulente, durchaus vergnügliche, wenn auch überstrapaziert auf die Probleme Ostdeutschlands anspielende, zudem musikalisch aufs Format einer Wirtshauskapelle reduzierten Version von Jacques Offenbachs „Banditen“ hatte 1989 an der Komischen Oper Berlin Premiere. 1991wurde sie zum letzten Mal wiederaufgenommen. 32 Jahre später bringt die Komische Oper (in der Ausweichspielstätte des Schillertheaters) das Werk nun wieder auf die Bühne. Angekündigt wurde eine konzertante Aufführung. Erlebt hat man dann aber doch eine halbszenische, deren „szenische Einrichtung“ Max Hopp besorgte. Am Pult stand der aufstrebende französische Dirigent Adrien Perruchon, er ist seit der Spielzeit 2021/22 Musikdirektor des Orchestre Lamoureux in Paris.

 

 

Offenbachs "Banditen" langweilen an der der Komischen Oper Berlin

 

Mit den "Banditen" hat Offenbach 1869, kurz vor Ausbruch des deutsch-Französischen Krieges, in seiner letzten Zusammenarbeit mit den brillianten Librettisten Meilhac und Halévy noch einmal einen großen Coup gelandet. Das erfolgreiche Trio entwarf ein Räuber- und Verwechslungsspiel, welches nichts weniger war als eine Satire auf die Skandale des Zweiten Kaiserreichs, vor allem der betrügerischen Bankiers jener Zeit, wenn man so will eine komische Parabel auf den Satz: "Money makes the world go round".

Das Stück ist eine der besten Offenbachiaden. „Verkleidung, Travestie — summa summarum: die Vortauschung falscher Tatsachen Das Rollenspiel, dient den Autoren (Librettisten) dabei nicht nur als probates Mittel der Komik, sondern zur Offenlegung einer Moral oder Erkenntnis, ... zur Diffamierung der herrschenden Klasse. Einen absoluten Gipfel der Verkleidungs-Dramaturgie ?ndet sich in den Banditen, deren gesamter Handlungsverlauf aus einer Kette von Rollenwechseln besteht, der mit der Stringenz einer chemischen Reaktion ablauft: Im zweiten Akt schlüpfen die Banditen nacheinander in die Kleider von Bettlern, des Gasthof-Personals, der Mantuaner und schließlich der spanischen Gesandtschaft“ (so Frank Harders-Wuthenow in seinem fabelhaften Gastbeitrag im Programmheft).


Die Geschichte des Banditenchefs Falsacappa (hervorragend in Spiel, Stimme und Textverständlichkeit Alexander Kaimbacher), der nach Prinzessinnenraub und versuchtem Coup auf den Staatsschatz des Fürstentums von Mantua einsehen muss, dass die Minister, die er berauben will, die größeren Gauner sind, denn sie haben die Gelder der Staatskasse (eine Mitgift von 3 Millionen) längst veruntreut. Banditen und Banker, Staatsbeamte und Politiker wie Gauner werden schließlich ununterscheidbar. Die staatlichen Autoritäten sind offensichtlich krimineller als die Banditen – daran ändern auch die Carabinieri nichts, die mit schwerem Stiefeltritt immer zu spät kommen. Am Ende wir der Räuberhauptmann begnadigt und zum Polizeichef ernannt.


Diese letzte der großen Buffo-Opern Offenbachs, die am Vorabend des deutsch-französischen Kriegs entstand, bietet natürlich mit ihren bitter-komischen Anspielungen auf Geld, Macht, Politik, vor allem aber auf die Korrumpierbarkeit von Politikern und die Lächerlichkeit der Armee Gelegenheit zu aktueller Gesellschaftssatire. Max Hopp konnte dieser Versuchung nicht widerstehen. Doch seine Aktualisierungen sind nicht gerade satirisch zu nennen, eher sind es einfältige Versuche eines Bezugs zum Heute. In seiner Textfassung lässt er Kalauer „aufblitzen“, auch Straßenjargon und fade Witzchen, auch macht sich lustig übers Gendern. Geradezu peinlich sind eine Mikrofonprobe des Räuberhauptmanns und eine Zurechtweisung des Bettlerchors (über Lautsprecher). Betteln im Schiller-Theater sei strengstens verboten, die Choristen sollten doch bitteschön Räuber spielen! Max Hopp greift damit haarsträubend in die Dramaturgie des Stück ein, ja verhöhnt die Travestie geradezu. 


Frank Harders-Wuthenow: „Das Mittel der Travestie beschränkt sich allerdings nicht nur auf das Spiel mit dem gesellschaftlichen Status oder Stand, sondern dient auch der Ironisierung von Genderstereotypen: Fiorella, die Tochter des Räuberhauptmanns Falsacappa, trägt als draufgängerisches ‚Flintenweib‘ durchaus ‚männliche‘ Züge ... während Rigoletto, ihr Zukünftiger, als Hosenrolle, die Offenbach seiner Geliebten Zelma Bouffar auf den Leib schneiderte,  zwangsläufig zur ‚weiblichen‘ Sphäre tendiert.“ In der Aufführung der Komischen Oper ist von dieser Ambivalenz nichts zu spüren. Fragoletto wird von dem klaren, erfreulich natürlich vortragenden Tenor Johannes Dunz mit brillianter Textdeutlichkeit und leichtfüßiger, offenbachischer Gesangskultur gesungen. Überhaupt sind die sängerischen Meriten der Aufführung den Männern zuzuschreiben: Neben dem schon erwähnten Alexander Kaimbacher und Johannes Dunz sind auch der Herzog von Mantua (Noam Heinz), Graf Gloria-Cassis (Ivan Turši?), und der Antonio (Tom Eric Lee) sehr überzeugend Offenbachdarsteller- und Sänger. Das Couplet des Schatzmeisters Antonio, der als schrille Tunte mit hochtoupierter Rothaarperücke auftritt, wird zum parodistisch-sängerischen Paradestück des Abends.


Leider muss man die Fiorella von Nadja Mahanta eine glatte Fehlbesetzung nennen. Ihre Stimme ist für die Partie viel zu tief, sie hat Probleme nicht nur mit den hohen Noten, auch singt sie wortunverständlich opernhaft.  Ein Missverständnis von Offenbachgesang. Elisabeth Wrede singt dagegen die Prinzessin von Granada überzeugend, wenn auch eine Spur zu brav. Etwas mehr Chuzpe und rebellisch augenzwinkernde Angriffslust hätten nicht geschadet.  Aber das trifft auf alle übrigen Sänger: Innen zu. Sie chargieren, dass sich die Bühnenbretter biegen. Auch die gelegentlich plakative Übertreibung hat mit Offenbachs subtilem Humor nicht viel zu tun.


Auch das Dirigat ist trotz energischen Zugriffs und rasanter Schnelligkeit, der auch das Vocalconsort Berlin zu folgen weiß, zu brav, zu korrekt, zu humorlos. Das Orchester der Komischen Oper könnte gelegentlich etwas „schräger“, augenzwinkernder, eleganter und gewitzter spielen. Die Musik Offenbachs „zündet“ in dieser Produktion nicht wirklich. Aber auch die „szenische Einrichtung“ glänzt nicht eben von intelligentem Witz, und szenischem Einfallsreichtum. Die Personenführung ist konventionell-schablonenenhaft. Es gibt viele Auftritte auf schmalem Grat zwischen Orchester und Zuschauerraum, es wird viel  gefuchtelt und gewunken. Deftigster Komödienstadel scheint Maßstab zu sein. Der Chor darf Sitzenmachen und Aufstehen üben auf einer Zuschauertribüne auf nackter Bühne, wenn er nicht gerade übers Spielfeld gescheucht wird. Herabgelassene Tafeln mit Akt- und Szenenanweisung ersetzen die fehlenden Dekorationen, trösten aber nicht über das dröge Einheits- „Bühnenbild“ hinweg. Der Chor tritt in schwarzen T-Shirts mit aufmontiertem „R“ in Regenbogenfarben auf, darf sich immer wieder geringfügig umziehen, schwenkt Fähnchen und langweilt wie die ganze Aufführung. Für die Kostüme zeichnet Katrin Kath-Bösel verantwortlich. Sie scheinen aus dem Fundus zusammengesucht zu sein, grotesk in ihrer Überzeichnung.

 

Leider wird das Stück zurechtgestutzt, gekürzt und durch Eingriffe in die Partitur und durch Striche verunstaltet. Der Besetzungszettel gibt darüber keinerlei Auskunft, ja er ist ungenau, wenn es lapidar heißt „Deutsche Textfassung von Richard Genée“. Wie Frank Harders-Wuthenow (vom Verlag Boosey & Hawkes, der die Noten der gespielten Version vertreibt) im Programmheft richtigstellet, habe sich mittlerweile die Überzeugung durchgesetzt, „dass Offenbach, wie Wolf Rosenberg es 1980 formuliert ‚überhaupt nur erfolgreich sein kann, wenn man ihn spielt und nicht seine Bearbeiter, dass die Stücke so, wie sie vorliegen, noch stets moderner sind als das, was zum Zwecke sogenannter Aktualisierung mit ihnen veranstaltet ward.‘ Allerdings dauerte es noch einmal zwanzig Jahre, bis die erste wissenschaftliche Offenbach-Ausgabe gestartet wurde, die mittlerweile eine bedeutende Anzahl seiner Buhnenwerke in sogenannten quellenkritischen Ausgaben verfügbar gemacht hat.  Die Fassung der Produktion der Komischen Oper “basiert auf dem Partiturautograph des Komponisten und den historischen Aufführungsmaterialien (Edition Keck). Die Übersetzung der Gesangstexte, für die Erstaufführung der Banditen in Wien 1869 entstanden, stammt von keinem Geringeren als Richard Genée, einem der bedeutendsten österreichischen Theaterautoren der Epoche, unsterblich geworden durch sein Libretto zu Strauss’ Fledermaus, welches wiederum auf einem Theaterstück von Meilhac und Halévy beruht. Seine Dialoge sind leider nicht erhalten. Die Dialog-Einrichtung von Max Hopp für die Aufführungen an der Komischen Oper Berlin beruht auf dem Textbuch von Ernst Dohm, das wiederum anlässlich der Berliner Erstaufführung des Werks 1870 gedruckt wurde.“


Auch der Offenbachschriftsteller Peter Hawig spricht sich entschieden gegen jede Art von textlicher wie musikalischer „Verhunzung“ aus. Auch gegen Bearbeitungen und Aktualisierungen, denn: „der Anspielungs- und Parodiecharakter Offenbachs ist fast immer einleuchtend und erfahrbar, ohne dass der Zuschauer ihn an einer wiederzuerkennenden Einzelheit verifizieren müsste. …Alle vorschnelle ‚‘réécriture‘ mündet entweder in Plattheiten oder intellektualistische Spitzfindigkeit – oder war von allem Anfang an nie etwas anderes als das Bedürfnis der Bearbeiter, Tantiemen zu kassieren.“


Es darf daran erinnerte werden: Der Musikschriftsteller Paul Marsop beklagte 1899: „Der geistfunkelnde französische Blödsinn wurde in der Übertragung durch deutsche Verskünstler, in der Ausführung durch deutsche Sänger und Orchester zum abgeschmackten, mit groben und blöden Zoten durchsetzten Tollhausspiel.“ Aber schon 1884 konstatierte der Wiener Starkritiker Eduard Hanslick: „Was für grobkörnige, geistlose Aufführungen Offenbach’scher Operetten man … in kleineren Hof- und Stadttheatern Deutschlands erlebt, ist erstaunlich.“


Das trifft leider auch für die Komische Oper von heute zu.


Rezension auch in nmz online