Der Teufel auf Erden Chemnitz

Photot: Nasser Hashemi


"Ist der Teufel erst auf Erden, was ist dann die Hölle wert?" 

 

Ausgrabung der fantastisch-burlesken Operette "Der Teufel auf Erden" von Franz von Suppé am Theater Chemnitz. Eine Koproduktion mit der Volksoper Wien, wohin die Produktion in der nächsten Spielzeit geht. Premiere war am Samstag 27.04. 2019.

 


 

1878 brachte Franz von Suppé seine Operette "Der Teufel auf Erden" im Wiener Carl-Theater auf die Bühne,  ein lange vergessenes Meisterwerk, dessen Verbreitung "die drastische Forde-rung nach einer demokratischeren Regierungsform im Wege" stand, "die die Teufel in der Hölle fordern. Davon war das österreichische Kaiserhaus allerdings nur zögerlich zu überzeugen. Au-ßerdem trieb eine Teufelin als Äbtissin auf der Erde ihr Unwesen. Das hatte wieder die Kirche nicht so gern", so der Suppé-Biograph Hans Dieter Roser. Das Stück war zu kritisch für seine Zeit. Zu unkritisch für heute findet es Alexander Kuchinka,  daher hat er eine textliche Neu-fassung gewagt, eine Reise  durch die Jahrhunderte, ein "Spagat zwischen Modernisierung und Werktreue", um dem Stück "ein möglichst frisches Leben" einzuhauchen. Jakob Brenner hat entsprechend  eine revidierte musikalische Fassung erstellte. Er hat "die musikalische Grund-struktur" von Suppés Originalpartitur" erhalten, gelegentlich korrigiert, passend zum neuen Libretto geändert, umgestellt und umgeschrieben. Dass es dem blutjungen, nicht eben mit feu-rigem Temperament gesegneten, aber akkuraten Kapellmeister an Erfahrung und dirigenti-schem  Metier mangelt, eine so raffinierte Musik, wie sie Suppé komponierte, angemessen zu realisieren, ist verständlich. Aber es ist schade, denn mit Akuratesse allein kommt man Ope-rette nicht bei. Und so zündete das Suppésche Feuerwerk aus Walzern und Marschcouplets, hinreissenden Chornummern, ariosen Ohrwürmern und pikanten Ensembles nicht wirklich. Die immer wieder italienisch opernhaft auftrumpfende, aber durch und durch wienerische, hörbar offenbachisch inspirierte, von vitalen Rhythmen belebte Musik kommt etwas hölzern, steif und blutleer über die Rampe. Dennoch muss man dem Theater Chemnitz dankbar sein, das Werk ausgegraben zu haben.

 

Zwar ist in der Chemnitzer Fassung textlich und dramaturgisch das Original kräftig bearbeitet worden, Figuren wurden umbenannt, der dritte von vier Akten spielt gar im 21. Jahrhundert, in einer Chemnitzer Tanzschule, das Nachspiel (der Opernball) gar in der Chemnitzer Oper, deren Generalintendant persönlich (Christoph Dittrich) als "Intendant" mit Selbstironie auftritt. Re-gisseur und Ausstatter Hinrich Horstkotte hat eine prachtvolle, liebevoll ironische Reverenz ans Kulissentheater des 19. Jahrhunderts auf die Bühne gezaubert, gemalte Hängekulissen, die mit Anleihen bei Hieronymus Bosch Hölle, Nonnenkloster, Kadettenanstalt und Tanzschule sowie Opernhaus zeigen, eingerahmt in ein gigantisches, aufgerissenes Höllenmaul. Auch kostümlich ist das ein phantasievolles Panoptikum, das manche mythologischen wie weltpolitischen Figuren aus Antike und Neuzeit erkennen lässt. Der dreieinhalbstündige Abend amüsiert und unterhält kurzweilig konventionell, aber augenzwinkernd, auf schmalem Grat zwischen Komödienstadel und Ausstattungsrevue, Klamotte und "Offenbachiade".


Es darf reichlich gelacht werden, zumal die zeitnah aktualisierten, frechen, gelegentlich allzu schnoddrigen Dialoge und Gesangstexte der angriffslustigen, gesellschaftskritischen Marsch-route des Stücks entsprechen. Politiker, Religion und Kirche, Reliquienhandel und Militär werden kräftig durch den Kakao gezogen, aber auch Donald Trump, der in der Hölle um Ein-lass begehrt, Priester, die sich des Missbrauchs von Minderjährigen schuldig gemacht haben und selbst das Gerangel um den Brexit kommen zur Sprache. Der Schlussakt ist schließlich eine gepfefferte Abrechnunng mit unserer Wohlstands- und Spaßgesellschaft, vor allem  mit dem rücksichtslosen und oberflächlichen Narzissmus der Generation Facebook mit ihrem zuweilen grotesken social networking. Man singt: "Die kennen alle keine Engel und keine Teufel mehr, und sind nur mit sich selbst beschäftigt", das "Handy in der Hand, das wichtigstes Hormon in unsrer Generation." 


Die Aufführung ist ein teuflisches Vergnügen, bei dem Alexander Kuchina als Höllenknecht Ruprecht in Teufels-Krampus-Habit (der in die Menschen fährt, um unsichtbar zu werden) und Matthias Winter als per se unsichtbarer Engel Rupert (ohne Auftrag, und nicht an Gott glau-bend) den Vogel abschießen und aufs Komischste durch die Zeit- und Ortsreise führen, einer dem anderen helfend, über Gott und Teufel gleichermaßen lästernd. Köstlich deren Dialoge und Spiel. Da bleibt kein Auge trocken. Aber auch Gerhard Ernst als Oberst Donnersbach ist eine begnadete Knallcharge von Gottes bzw. Teufels Gnaden. Er bekennt "Man hat's im Leben leichter als Unsympath" und outet sich schließlich als Satan. "Menschen sind die wahren Teu-feln" und "wer gut ist, wer bös ist, ist nicht mehr feststellbar". Das Fazit des Stücks "Ist der Teufel erst auf Erden, was ist dann die Hölle wert?" 

 

Aus dem grossen Ensemble  ragen Dahmar Schellenberger als stimmmüde, aber ausdrucks-starke Äbtissin Mutter Aglaja, Matthias Otte als trotteliger Vizeleutnant Nebel, Franziska Krötenheerd und Sylvia Rena Ziegler in den verschiedenen weiblichen Hauptpartien, Reto Rosin als Isidor und Isbert sowie Andreas Beinhauer als Ismael und Tanzschüler heraus. Insgesamt eine glänzende Ensembleleistung. Rührend unbeholfen und kindlich komisch die Balletteinlagen der Schülerinnen und Schüler der Opernballettschule, routinierter die Tänze-rinnen und  Tänzer der Chemnitzer Tanzschule Köhler-Schimmel, deren Chefs als Tanzschul-leiter und Ballorganisator auftreten. Das Premierenpublikum war außer Rand und Band vor Begeisterung. Diese Chemnitzer Operettenausgrabung darf wohl als die herausragende Suppé-Huldigung im Suppé-Jahr 2019 bezeichnet werden.



Artikel auch in "Freie Presse"