Walküre Tcherniakov

Foto: Monika Rittershaus / Staatsoper Unter den Linden



Überzeugender als das "Rheingold":

„Die Walküre“ Tcherniakovs an der Lindenoper

(Premiere 3. 10. 2022)


Stürmisch ist er, der Beginn der "Walküre", die einen Tag nach dem „Vorabend“ des "Rings des Nibelungen" an der Berliner Staatsoper Premiere hatte. Christian Thielemann nimmt ihn rasant. Der „Zirkus Walküre“ (Friedrich Nietzsche) liegt ihm hörbar mehr als der Auftakte der Tetralogie. Auch ist die Regie von Dmitri Tcherniakov am zweiten Abend bezwingender und verständlicher als im „Rheingold“.

 

Die "Walküre" erzählt die Liebesgeschichte zwischen Siegmund und Sieglinde, die Vorgeschichte der eigentlichen Siegfried-Tragödie. Wieder spielt sie bei Tcherniakov im Forschungszentrum E.S.C.H.E. Wieder ist Tcherniakov für Überraschungen gut, denn der erste Akt spielt nicht, wie vermutet, im Innenraum mit Baum, den man im „Rheingold“ sah, sondern einem ehelichen Schlafzimmer mit Kochnische und Bad umgeben von weißen, nur durch Holzrahmen skelettierten Wänden. Durch eine einseitig verspiegelt Scheibe beobachtet Wotan voyeuristisch die Szene, er sieht Sieglinde Wasser aus dem Kühlschrank entnehmen, Hunding gar stehend urinieren. Er zieht sich aus und legt sich schlafen. Auch seine bildschöne, blonde Frau Sieglinde zieht ihr Nachthemd an und legt sich zu ihm, nachdem sie ihm einen Betäubungscocktail verabreichte, damit sie sich dem in ihr Haus flüchtenden Siegmund zuweisen kann. Der erweist sich mittels eines kurzen, gezeigten Videoclips als gesuchter, fliehender Straftäter, der aufgrund seiner grauen Strähne im Haar eindeutig identifizierbar ist. Nebenbei gemerkt: Auch Wotan hat eine graue Strähne im Haar. Das Schwert zieht er übrigens aus der Rückwand des Schlafzimmers.


Keine Esche, nichts Mystisches oder Zauberisches, keine Romantik, kein Sex (den die Musik suggeriert) kein „Wonnemond“, überhaupt keine Natur und keine Stimmung. Nacktes Neonlicht herrscht vor im sterilen Gebäude-Komplex der Forschungseinrichtung. Radikal vermenschlicht Tcherniakov Götter und Riesen, Zwerge und sonstige Dramatis personae. Alle werden von den mythischen Kothurnen Wagners heruntergestoßen. Es gibt in diesem „Ring“ so scheint es, nur Spießer, Bürger, und Mittelmaß moderner Alltagsmenschen. 


Tcherniakov bricht konsequent mit alle Inszenierungsklischees. Um sich ganz aufs „Menschlich-Allzumenschliche“ (Nietzsche) zu konzentrieren. In der „Walküre“ zeigt er sich endlich als Meister der Beobachtung und Inszenierung von Alltäglichem, anrührend Menschlichem, von Psychologie und Physiologie.


Wotans und Frickas Ehedisput über Treue, Untreue, Inzest und erzwungener Opferung Siegmunds aus sittlichen Gründen im Schlafzimmer der Hundings ist ebenso bezwingend wie der Abschied Wotans und Brünnhildes Im Anatomie- oder Vortragssaal, in dem zuvor der Walkürenritt (wie eine Versammlung von Wissenschaftlerinnen) stattfand. Ein statuarisches Stelldichein der Walküren in blauen Overalls. Sie schauen sich einen Videoclip auf herabgelassener Leinwand an.  auf dem zu lesen steht, dass es bei dem Menschenversuch, als der der „Ring“ gezeigt wird, um ein Feldforschungsprojekt für Gräueltaten geht.   (Im „Rheingold“ beobachteten Ärzte ein Video mit Vorgängen im menschlichen Hirn). Es geht also allmählich zur Sache.  Man ahnt, worauf Tcherniakov hinauswill. Siegmund wird brutal von Polizisten in Kampfuniformen zur Strecke gebracht, nachdem er mit Sieglinde (samt Tüte voller Wäsche und Mineralwasserflasche) ins zweite Tiefgeschoss geflüchtet ist, wo dann die Todverkündigung Brünnhildes im blauen Regenmantel stattfindet, während ein Stockwerk höher die (stummen) Nornen sich an den Käfigen mit Versuchstieren zu schaffen machen.


Eindrucksvoll, ja bewegend ist der Disput Wotans mit der von ihm verstoßenen „Wunschmaid“, die er schließlich allein im Dunkeln stehen lässt, während er im Hörsaal stehend auf die Hinterbühne fährt, wo sich dann ein schwarzer Vorhang herabsenkt. Kein Feuerzauber, kein Felsen, keine Flammen, kein Qualm, kein Einschlafen. Brünnhilde malt orange Feuerzungen auf Stühle, bei ihrer Einschläferung steht sie mit weit ausgebreiteten Händen über Wotan. Lachend deutet sie mit Händeflattern Feuer an.  Ironie, sonst nichts. Tcherniakov verweigert konsequent Wagnersche Illusion.


In dieser Szene wachsen Wotan und Brünnhilde als gänzlich unopernhafte, feinster menschlicher Regungen und sichtbarer psychologischer Vorgänge fähige Sängerdarsteller über sich hinaus. Michael Volle singt einen klug phrasierenden, volltönenden, ja imposanten Wotan. Er dürfte gegenwärtig konkurrenzlos sein. Auch die attraktive, jugendliche Brünnhilde von Anja Kampe ist konkurrenzlos, sie übertrifft fast alle ihre Sängerkolleginnen des hochdramatischen Fachs mit Natürlichkeit des Vortrags, enormer Strahlkraft auch bei den Spitzentönen und Wärme, schließlich auch an Sprach- Behandlung. Auch die schöne Sieglinde, eine Blondine mit Traumfigur, gesungen von der litauischen Sopranistin Vida Miknevičiūtė ist sensationell in Erscheinung und Stimmkraft. Die Fricka von Claudis Mahnke ist im der „Walküre“ weit überzeugender als im „Rheingold“, Der Hunding des finnischen Bassisten Mika Kares ist wiederum eindrucksvoll. Die acht Walküren sind exzellent. Einziger sängerischer Wermutstropfen ist der amerikanische Tenor Robert Watson als Siegmund, die Wälserufe gelingen ihm zwar erstaunlich, er hat Kraft, aber seine Stimme ist nicht wirklich schön“, sie ist oft eng geführt, klingt gequetscht und ist eigentlich klein. Dennoch darf man von einer – alles in allem - erstklassigen sängerischen Besetzung sprechen.


Auch Christian Thielemann gilt es, Abbitte zu leisten, denn wie er den Abstieg nach Nibelheim, den Disput zwischen Wotan und Fricka, den Walkürenritt und die lange Abschiedsszene Wotan-Brünnhilde einschließlich Feuerzauber dirigierte, nötigt Respekt ab. Da zeigte er sich dann doch als kraft- und temperamentvoller Meister der „Kunst des Übergangs“ und Künstler der Klangmagie, auch wenn er nicht gerade als Anwalt einer analytisch scharfen Durchleuchtung der Partitur gelten kann. Romantisches Parfum und gefühlte Stimmung sind eher seine Sache. Auch waren seine Tempi durchweg schneller als im „Rheingold“, wenn auch immer wieder dröge Stellen zu hören waren.  Extreme Dynamik gehört nun Mal zu seinem Markenzeichen.


Fazit: Man verließ schwer beeindruckt diese „Walküre“ in Berlins „Lindenoper“ und man ist gespannt auf die noch ausstehenden beiden Teile der Tetralogie.