Martin Geck: Johannes Brahms

Sein Erfolgsrezept war die Mischung aus "Ordnung und Ausdruck, Selbstbeherrschung ... Melancholie und Glücksbegehren."


Brahms empfand alle Musik, nicht nur die Wagners, die narkotisieren will und übe-rrumpeln , die "zu mehr Schein als Sein tendiert... tendenziell als Bedrohung seines eigenen Lebenskonzeptes der splen­did isolation"

Wieder eine vorzügliche Rowohlt-Monographie, die äußerst informativ ist, angenehm lesbar und Interesse weckt, sich mit Brahms zu befassen, vor allem mit seiner Musik. Man hört sie anders nach der Lektüre dieser Publikation

Martin Gecks großartige Brahms-Monographie                   


Rowohlt Monographie 2013


Am 7. Mai 2013 jährt sich das Datum seines Geburtstags zum 180. Mal: Johannes Brahms war der Antipode Richard Wagners. Doch er war weit weniger von Wagner entfernt, als oft behauptet wird. Der Musikwissenschaftler und Musiker-Biograph Martin Geck hat es in seiner soeben erschienenen Rowohlt Monographie glaubwürdig dargestellt.

Alles über Brahms auf 158 Seiten.


Schon  für viele musikliebenden Zeitgenossen von Johannes Brahms und Richard Wagner lautete die heiß diskutierte Alternative: Will man sich von Musik narkotisieren lassen "oder sich in bürgerlichem Realitätssinn der Einsicht öffnen, dass die Kunst zwar mit dem Leben versöhnen, letztlich jedoch nicht über ein irdisches Leben triumphieren kann, an dessen Ende unwiderruflich der Tod steht?" So Martin Geck in seiner klugen Brahms-Monographie, durch die sich wie ein roter Faden der Kontrast Wagner-Brahms zieht. Dabei macht Geck allerdings klar, dass bei aller Verschiedenartigkeit ihrer Musik Wagner und Brahms gar nicht so weit von einander entfernt sind, wie oft behauptet wird. Sie repräsentieren doch auf je eigene Weise den letzten Versuch des Bürgertums im 19. Jahrhundert, "sich in einer von Ökonomie beherrschten Welt an immateriellen Ideen abzuarbeiten", ja Sinn zu suchen in "transzendentaler Obdachlosigkeit".


"Bei aller spirituellen Heimatlosigkeit ... war Brahms in seiner Musik ein Gott-sucher - nicht anders als neben ihm Wagner und Bruckner und nach ihm Mah-ler," Martin Geck begründet das psychologisch. Brahms hatte eine schwere Kindheit und Jugend und er hatte es nicht leicht mit den Frauen, weshalb er sich sehr früh das Lebensmotto "Frei aber einsam" zu eigen gemacht hatte. Bis auf eine Ausnahme, die - wohl eher geschwisterliche - Freundschaft zu Clara Schumann, pflegte er vor allem Männerfreundschaften mit bedeutenden zeitge-nössischen Künstlern. Brahms war Zeit seines Lebens Junggeselle, der ver-gleichsweise bescheiden, weil möbliert zur Untermiete wohnte, aber er war ein geselliger Zeitgenosse und reger Wirtshausbesucher, wie Mozart und Schubert. Künstlerisch war er so fleißig, wie er als konzertierender Musiker umtriebig war. Sein Leben spielte sich zwischen Hamburg, seiner Geburtsstadt und Wien, seiner Wahlheimat, aber auch in Karlsruhe, Baden-Baden und Meiningen ab, Städte, die ihm viel bedeuteten.


Mit dem Deutschen Requiem" hatte es der 38-jährige Johannes Brahms end-gültig geschafft, viel Geld zu verdienen und in die "Kategorie der gutsituierten Komponisten" aufzusteigen. Schließlich war zu seiner Zeit das Oratorium als Religionsersatz "des Deutschen liebstes Kind". Das Erfolgsrezept nicht nur sei-ner Chormusik, auch seiner  Kammermusik, seines Liedschaffens und seiner Sinfonik ist die Mischung aus "Ordnung und Ausdruck, Selbstbeherrschung ... Melancholie und Glücksbegehren."


Aber Martin Geck weist darauf hin, dass alle Musik von Brahms  auch eine enorme Tiefendimension  hat, die die wenigsten Zuhörer auch nur erahnen: "Traditionsbewusstsein und geschichtstiefe Huldigungen an Bach, Beethoven, Schubert oder Schumann".  Großgeworden - das verschweigt Geck nicht - ist Brahms als Musiklehrer und Wirtshausmusikant mit Tanzmusik und Volkslied-gut. Er hat sein Leben lang daran  festgehalten und für diese Gattungen komponiert.


Brahms wurde im Gegensatz zu Wagner schon früh erfolgreich, obwohl er seine Musik niemandem aufdrängte. Was Wunder, dass sein 20 Jahre älterer Kollege ihm das neidete. Wobei Martin Geck präzise beschreibt, dass die Begegnungen zwischen den beiden Antipoden viel positiver und durchaus geprägt von gegenseitiger Wertschätzung verliefen, als oft behauptet wird. Natürlich war Brahms der sogenannten neudeutschen Musik gegenüber skep-tisch. Schon weil er alle Musik, die narkotisieren will und überrumpeln , die "zu mehr Schein als Sein tendiert... tendenziell als Bedrohung seines eigenen Lebenskonzeptes der splen­did isolation empfinden und als Veräußerlichung der Musik ablehnen" musste.


Fazit: Wieder eine vorzügliche Rowohlt-Monographie, die äußerst informativ ist, angenehm lesbar und Interesse weckt, sich mit Brahms zu befassen, vor allem mit seiner Musik. Man hört sie anders nach der Lektüre dieses 159 Seiten.


 


Beitrag in MDR Figaro


Verdi Handbuch


Das Verdi-Jahr 2013 wartet mit allerhand Neu- und Wiederveröffentli-chungen von Tonträgern, Notenausgaben und Musikliteratur auf. Einen der gewichtigsten Beiträge leisten der Metzler Verlag und der Bärenrei-ter-Verlag mit dem jüngst erschienenen Verdi-Handbuch, das zwar schon im Jahre 2000 erstmals erschien, inzwischen längst vergriffen, aber 13 Jahre später grundlegend neu bearbeitet und auf den neusten Stand der Verdiforschung gebracht worden ist.






















Kein Vorwurf gegen Verdi ist so alt wie der, seine Musik sei Leierkastenmusik. Richard Wagner, der allgemein als Antipode Verdis gilt, hat es noch vornehm ausgedrückt, als er schrieb: Das Orchester sei bei Verdi "nichts anderes als eine monströse Gitarre zum Ak-kompagnement der Arie". Der dem Nationalsozia-lismus nahestehende Komponist Hans Pfitzner läßt Wagner in seiner anti-semitischen Parodie "Die Meistersinger oder Das Judenthum in der Musik" im Jahre 1940 sogar persönlich auftreten und Verdi ins Gesicht sagen: "Elender Leierkasten". Nachzulesen in der Einleitung des neuen Verdi-Handbuchs von Anselm Gerhard und Uwe Schweikert. Darüber, dass dieses Etikett durchaus falsch ist, obgleich Verdi, wie aber auch Wagner oder Ponchielli den Leierkästen Europas ihre Popu¬larität verdanken, wird man in diesem  imposanten Verdi-Buch aufgeklärt. Wobei auch  nicht verschwiegen wird, dass Verdi bei aller Aufgeschlossenheit und Neugier Wagners Musik bescheinigt: "Zukunftsmusiker sind der Gattung symphonischer Orchestermusik zuzurechnen; sie verwechseln diesen Stil mit jenem, den es für das Theater braucht, wo es, wenn die Direktion Geld machen will, nötig ist, sich dem ganzen Publikum verständlich zu machen, den Uhrmacher, den Kohlenhändler und den Verkäufer von Siegellack eingeschlossen."

Anselm Gerhard und Uwe Schweikert haben in Form eines praktischen Nach-schlagewerks - das durch keinerlei Fußnotenapparat den Lesefluss erschwert - eine umfassende und aktuelle Einführung in Leben, Zeit und Werk Verdis vor-gelegt. In sich abgeschlossene Kapitel in-formieren über die zeit-, sozial- und theatergeschichtlichen Voraussetzungen, unter denen die Oper im 19. Jahrhundert zur populärsten Kunstform in Italien wurde. Der Leser erfährt alles Wichtige zur Entstehung eines Librettos und seiner Vertonung, über Vers, Arienform, Har-monik und Stimmtypologie. Verdis Wirken im italienischen 19. Jahrhundert, sein Werk zwischen Konvention und Innovation, aber auch seine Rezeption bei den Zeitgenossen bis hin zur modernen Verdi-Renaissance im Regietheater werden sehr aus¬führlich dargestellt und konkret erläutert. Es geht aber auch um den Mythos Verdi, den private wie den politischen, und um die Trivialisierung und Popularisierung Verdis bis hin in neuste Formen audio-visueller Kultur und Kommunikation.

Zum ersten Mal werden in diesem Verdi-Handbuch alle nicht für die Bühne bestimmten Kompositionen Verdis - Kammermusik, Kirchenmusik, Lieder und vieles mehr - vollständiger aufgelistet als in sämtlichen bisher publizierten Werklisten oder Katalogen. Im Zentrum dieses weit ausholenden wie zuverlässigen Handbuchs stehen natürlich die 26 Opern Verdis. Sie werden in ausführlichen Einzelartikeln behandelt. Von namhaften Autoren, die das von Klischees verstellte Bild des neben Mozart, Wagner und Puccini meistge-spielten Opernkomponisten bis heute unter Berücksichtigung des aktuellen Forschungsstands ins rechte Licht rücken. Großen Raum nimmt aber auch die Darstellung der politischen, ökonomischen und kulturellen Situation Italiens im 19. Jahrhundert ein, um die Rahmenbedingungen der  Opernproduktion Verdis verständlich zu machen.   

Die große Stärke des 750 Seiten dicken Handbuchs liegt darin, dass durch die Beiträge von 25 Autoren ein vielschichtiges und facettenreiches Bild von Verdi und seiner Zeit entsteht. Eine detaillierte Zeittafel, ein umfangreiches Glossar italienischer Opernbegriffe - von Adagio bis Tutti - , biographische Notizen zu den wichtigen Personen aus Verdis Umkreis, bibliographische Hinweise und ein Register machen den großen Nutzwert dieses imposanten Handbuchs aus. Es zieht die Summe heutigen Wissens über Verdi, fundiert und verständlich. Und ist der schlagende Beweis dafür, dass Wissenschaft nicht akademisch trocken vermittelt werden muss. Ohne Frage die umfangreichste deutsch-sprachige Veröffentichung zum Werk dieses herausragenden Opern-komponisten. Für alle, die sich mit Verdi ernsthaft befassen: Schüler, Studen-ten, Musiker und Operninteressierte, professionelle wie unprofessionelle, ein unbedingtes Muss und ein Lesevergnügen, dieses Buch!


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