La Donna del Lago Pesaro 2016

Photo: Rossini Opera Festival  Pesaro



 

Sängerisch hochkarätig und bildmächtig:

"La Donna del Lago". Im Zentrum Juan Diego Florez

Rossini-Opera-Festival in Pesaro  2016 


Am vergangenen Wochenende, am 8. August, ist im kleinen italienischen Adria-Städtchen Pesaro, dem Geburtsort Gioacchino Rossinis, das zu seinen Ehren alljährliche Rossini Opera Festival, es ist inzwischen das 37.,  mit einem Paukenschlag eröffnet worden. 


Die selten gespielte Oper "La Donna del Lago" stand als Eröffnungspremiere auf dem Programm, Rossinis erste abendfüllende Oper frei nach Sir Walter Scott, einer Kultfigur der europäischen Ro-mantik. Damiano Michieletto, einer der faszinierendsten unter den jungen italienischen Regisseu-ren, hat das Ritter- und Liebestück, das sich um eine Frau zwischen drei Männern dreht und von unerfüllter Erotik, Unmöglichkeit des Kommunizierens, vom Unerforschlichen der menschlichen Seele und von der Fragwürdigkeit des Glücks handelt, in einer heruntergekommenen Vila am See angesiedelt. Die Decke ist eingebrochen, das Interieur von Vegetation und Schimmel überwuchert. Paolo Fantin hat dieses  Sinnbild des Abgründigen und der Vergänglichkeit entworfen. Regisseur Michieletto entfesselt in diesem eindrucksvollen Bühnenbild gespenstisches, psychologisches Traumtheater aus der Perspektive der alten Helena, der weiblichen  Hauptfigur in "La Donna del Lago", die sich an ihre Jugend erinnert. Er vertraut der Gattung Oper, setzt auf schöne Tableaus, aber auch auf gutdurtchdachte Personenführung und magische Beleuchtung. Ein faszinierender, ein großer Opernabend, auch weil der Dirigent Michele Mariotti das brilliante Orchester des Teatro Comunale di Bologna zu einer überwältigenden Interpretation der geheimnisvollen, an musikali-schen Kostbarkeiten reichen Oper anhält. Die vom Publikum bejubelte Produktion ist aber auch ein Sängerfest.



Der hochvirtuose Gesangsartist Juan Diego Florez, der eine der drei männlichen Hauptpartien der Oper singt, steht gewissermaßen im Zentrum des diesjährigen Rossinifestivals. Vor 20 Jahren startete er von Pesaro aus seine Weltkarriere. In einem Konzert in der Adriatic Arena, der größten der drei Spielstätten des Festivals, wird er Ausschnitte aus allen 10 Rossini-Opern singen, die in-zwischen zu seinem Repertoire gehören. Heute gilt Florez als weltweit führender Rossinitenor unserer Zeit im leichten, hohen und biegsamen Fach. Er ist ein sogenannter "Tenore di grazia". In der Oper "La Donna del Lao" hat er allerdings starke Konkurrenz, denn sein Gegenspieler, verkör-pert von  dem amerikanischen Tenor Michael Spyres, beeindruckt nicht minder als echter "Bari-tenore". Das ist jene andere, heute seltene, dunkel timbrierte,  heldenhafte Art von Tenor, die Rossini so liebte. Sensationell sind aber auch zwei neue, nie gehörte weibliche Stimmen, die geo-rgische Sopranistin Salome Jica als Helena und  die armenische Mezzosopranistin Varduhi Abrahamyan in der Hosenrolle des Malcolm.



Salome Jica und Varduhi Abrahamyan entstammen der sängerischen Talentschmiede Pesaros, der "Accademia Rossiniana", die von Anfang des Festivals an ein besonderes Anliegen des Rossini-forschers und -Dirigenten Alberto Zedda ist. Noch heute bemüht sich der 88jährige Alberto Zedda in unermüdlicher Agilität um den Rossini-Sängernachwuchs in Pesaro. Die künstlerische Direktion des weltweit führenden Rossini-festivals hat der Grandseigneur unter den Rossinispezialisten jetzt abgegeben an Ernesto Palacio, den Gesangslehrer und Agenten von Juan Diego Florez. Der setzt auf die bewährte Tradition des Festivals:

 

“ Wir müssen nichts verändern, wir wollen an der Kontinuität dieses Festivals festhalten und dem Publikum großartige Rossiniproduktionen offerieren, mit großen Sängern unserer Zeit, aber auch mit neuen, jungen Sängern, die von der Rossini Akademie Maestro Zeddas kommen.“


Das eben macht das unverwechselbare Profil des Festivals aus, das ausschließlich Rossini gewid-met ist. Wo sonst auf der Welt kann  man den "ganzen", gerade auch den selten aufgeführten, hierzulande nahezu unbekannten Rossini mit seinen mehr als vierzig "ernsten" Opern hören? In Wildbad, natürlich! Beim dortigen Rossini-Festival. Aber auf niedrigerem Niveau.


Dank gleichbleibenden Publikumszustroms, erfolgreichen Sponsorings und gesicherter staatlicher Finanzierung kann man in  diesem Jahr in Pesaro in 12 Tagen immerhin 28 Veranstaltungen aufbieten. Drei Opernaufführungen stehen auf dem Programm: neben "La Donna del Lago" eine von Regisseur Davide Livermoore als turbulente, zirkushafte Fellini-Hommage angelegte Neuinszenierung des dramma buffo "Il Turco in Italia" und die Wiederaufnahme seiner spektaku-lären Inszenierung der Oper  "Ciro in Babilonia" aus dem Jahre 2012 mit der einzigartigen Kontra-altistin Ewa Podles  in der Titelpartie. Nicht zu vergessen die alljährliche szenische Produktion der Oper "Il Viaggo a Reims", in der der immer wieder erstaunliche Sängernachwuchs der Accademia Rossiniana vorgestellt wird. Daneben gibt es Konzerte und Rahmenveranstaltungen. Pesaro ist für alle Rossinianer auch in diesem Jahr  wieder eine Reise wert. Im nächsten Jahr darf man sich freu-en auf eine Neuinszenierung der Oper "Le Siège de Corinthe" und Wiederaufnahmen der  gefei-erten Produktionen von "Torvaldo e Dorliska" und "La pietra del paragone".



Premierenkritik u.a. auch in SWR 2 Cluster, 12. 08. 2016