da Cicciotto Neapel

Photos: DDS und da Cicciotto


Ein neapolitanischer Traum


Die Trattoria „da Cicciotto“ auf dem Posillipo


Wenn man von der Piazza Vittoria mit dem Linienbus die sensationelle Via Posillipo entlangfährt (nach jeder Biegung ein sensationeller Blick auf den Golf, den Vesuv und Neapel), am Bagno Elena uns dem eindrucksvollen Palazzo Donna Anna (am, ja im Meer stehend) vorbei Richtung Parco Virgiliano, es ist eine des spektakulärsten Straßen Süditaliens trotz des unbeschreiblich holperigen Straßenbelags, steigt man an der Ecke Via Boccaccio/Via Marechiaro nach (etwa 20 Minuten) aus und geht die Via Marechiaro links hinunter zum Meer.


Es handelt sich um eine Serpentinenstraße, die durch Zitronen-, Oliven- und Weingärten, vorbei an Villen, blühenden Bougainvilleen und Mimosen bis zu Meer führt. Am Ende ist der kleine Hafen von Marechiaro. Es ist zweifelsohne der romantischste Ort des Posilippo.

Er ist der 15.und wohl schönste von den 30 Stadtteilen (Quartieri) der Hafenstadt Neapel. Der Name Posillipo leitet sich ab vom antiken Pausilypon („schmerzstillend“, „Ende des Leidens“, vergleichbar Sanssouci), einer Villa des reichen Publius Vedius Pollio zur Zeit des Augustus und ist schon seit den Zeiten der Antike ein Zentrum des süßen Lebens und süßen Nichtstuns (dolce far niente). Früher kamen die VIPs und allerhand Hollywoodgrüßen hierher, heute ist der Posillipo verschlafener Wohnort wohlhabender Villenbesitzer und eher verschlafen, nur an den Wochenenden kommen die Neapolitaner, um hier zu speisen und die unbezahlbare Aussicht auf den Golf zu genießen. 


Nach der Überlieferung wurde der Dichter Salvatore di Giacomo, einer der größten neapolitanischen Volks-Dichter, der durch die Straßen Marechiaros ging, von einem offenen Fenster aus mit einer roten Nelke beworfen. Er war so begeistert von diesem Erlebnis und von dem atemberaubenden Blick des Ortes, dass er das Lied „Marechiaro“ schrieb, bis heute eines der beliebtesten neapolitanischen Lieder. (In der Vergangenheit sangen sangen verliebte Männer ihren angebeteten Serenaden unter dem Fenster.) 


 „Wenn der Mond über Marechiaro aufgeht,

lieben sich sogar die Fische…

die Wellen des Meeres überschlagen sich

und verändern ihre Farben vor Freude.

Wenn der Mond über Marechiaro aufgeht.

In Marechiaro gibt es ein Fenster,

worauf sich mein Verlangen richtet...

dort steht eine duftende Nelke,

und darunter murmelt das Meer.

In Marechiaro gibt es ein Fenster...“

 

Das besungene Fenster in Marechiaro, auf dem Weg zur Badestelle, wurde sogar mit einer Schrifttafel versehen, die an das Lied erinnert. Das Bad selbst, eine Holzkonstruktion auf Stelzen, (mit kleiner Restauration) erlaubt über römischen Mauerreste ins glasklare Wassere zu steigen. Bei meinem letzten Besuch dieses Jahres lag das Bagno allerdings auf dem Trockenen, das hatte ich noch nie zuvor erlebt, ein bedrohliches Zeichen, Folge wohl des Vulkanismus und der Erdhebung. Neapel ist eine der vulkanisch aktivsten, gefährlichsten Gegenden Europas. Wissenschaftler warnen vor einer bevorstehenden Explosion der Phlegräischen Felder und des Vesuvs.

 

Neben dem Bagno, an dem nicht selten Versuchungen beiderlei Geschlechts ganz zufällig und wie selbstverständlich posieren, gibt es übrigens einen wilden, glattgeschliffenen Badefelsen, zu dem man sich unter dem Bagno hindurchschleichen kann. Er liegt direkt am pittoresken Palazzo degli spiriti, der Ruine einer einst römische Strandvilla, man steigt auf Stufen hinab ins direkt tiefe, blaue Wasser und kann auf Capri zuschwimmen. Die Poesie dieses Ortes ist unbeschreiblich. Gelegentlich zeigen junge Burschen, vom höchsten Punkt der Villa aus sich in die Fluten herabstürzend, ihre mutigen Kunststücke (salto di culo & mehr) nicht selten die Grenze dessen, was die Schicklichkeit erlaubt, überschreitend. Aber das hat ja seit dem 19. Jahrhundert europaweit geschätzte Tradition in Neapel.


Über dem Hafen von Marechiaro ist eine Aussichtsplattform, wo sich zwischen mehreren Lokalitäten die sensationelle Trattoria „da Cicciotto“ befindet, seit dem Jahr 1942 übrigens. Die greise Patrone kam mir bei meinen letzten Besuchen noch immer entgegengelaufen, oder er aß, ja verschlang lustvoll einen gewaltigen Büffelmozzarella, gelegentlich sang er ein neapolitanisches Lied für mich. Eine filmreife Erscheinung mit seinem fast zahnlosen Mund.


Das Lokal, an der Stelle eines antiken Fortunatempels gelegen, von dem noch eine übriggebliebene Säule kündet, ist eines meiner absoluten Lieblingslokale, schon der Lage und des Blicks (auf den Vesuv, die Milchberge und die Sorrentinische Küste sowie Capri) wegen. Ein Traum von Süditalien. Aber auch kulinarisch ist dieses Lokal einen Umweg, wo nicht eine Reise wert. Schon wegen der Fische und anderer Meerestiere, die hier roh oder in allen erdenklichen Zubereitungsarten zu haben sind, in einer Frische wie selten.  Ob Seeteufel, Tintenfische, Muscheln, Garnelen oder Hummer (astice).


Der Hummer mit Linguine (eine Art Bandnudel) und kleinen süßen Tomaten ist geradezu sensationell und so preiswert, wie nirgends sonst.

Auch die gemischten Vorspeisen, auf 5 Tellern präsentiert, darunter Garnelen in Spaghetti eingewickelt und frittiert oder exquisiter Meeresfrüchtesalat, sind im Grunde schon eine komplette Mahlzeit.

Die Söhne des alten Cicciotto, Gianluca und Vincenzo legen auf höchste Qualität und Frische Wert. Auch die Weine (große Auswahl an sehr guten Tropfen) sind, flaschenweise äußerst preiswert. Nur den Vino della Casa aus Karaffen sollte man nicht trinken, da ist das neapolitanische Temperament manchen Kellners doch versucht, Minderwertiges an den Mann bzw. die Frau zu bringen. Das ist denn auch der einzige Einwand gegen das Lokal.



Wenn man das weiß, fühlt man sich bei „Cicciotto“ wie Gott in Italien.