Goetterdaemmerung Tcherniakov


Photos: Monika Rittershaus / Staatsoper Unter den Linden


Tcherniakovs banale, trivialisierte Götterdämmerung

Premiere 9.10.2022 in Berlin, Staatsoper Unter den Linden


 

Nun hat sich der neue „Ring“ von Dmitri Tcherniakov vollends als absurd, ja ärgerlich erwiesen, trotz einer international hochkarätigen Sängerequipe und einem, wenn auch zu laut dirigierenden Christian Thielemann. Mit der „Götterdämmerung“ ist der enttäuschende Schlussstein der Neuinszenierung der Wagnerschen Tetralogie an der Berliner Lindenoper eingefügt worden. In der „Götterdämmerung“ muss jeder Regisseur Farbe bekennen, muss vom Ende her erklären wie er Wagners „Ring“ und seine Botschaft versteht, muss sein Inszenierungskonzept plausibel beglaubigen und seine Message mitteilen.


Wagners Intention ist eindeutig die eines kapitalismuskritischen Weltuntergangs mit hoffnungsvollen Andeutungen auf eine bessere Menschheit, eine Gesellschaft, frei vom Fluch des Goldes, das Brünnhilde bei ihrem Opfertod den Rheintöchtern zurückgibt und damit die Ordnung der Natur wiederherstellt und Götter und Menschen erlöst, Lichtalben und Schwarzalben. Es überlebt allerdings Alberich. Die Gefahr ist nicht aus der Welt. Aber die grandiose, versöhnlich-optimistische Schlussmusik lässt keinen Zweifel an (vielleicht illusionärer) Zuversicht auf eine bessere Welt.


Tcherniakov nimmt dem Zuschauer nicht nur alle Illusionen, er raubt ihm auch jede Hoffnung. Trister, banaler, hoffnungsloser sah man den Schuss der „Götterdämmerung“ nie.  Der Leichnam Siegfrieds wird von Bestattern auf dem Leichenwagen, abgedeckt mit jener Silberfolie, unter der einst Wotan seine „Wunschmaid“ in Schlaf bettete, in den hinlänglich bekannten Betonsaal des „Forschungszentrums E.S.C.H.E.“ gefahren. Brünnhilde singt (schreit) ihren Schlussgesang „Starke Scheite schichtet mir dort…“ hinter dem Leichnam stehend, auch der Wanderer weist seinem toten Hoffnungsträger die letzte Ehre, dann legt sich Brünnhilde auf die Leiche. Die Bühne fährt mit ihr nach links weg, ein schwarzer Raum, in den Brünnhilde mit Reisetasche eintritt, Erda, inzwischen auch gehbehindert, kommt mit dem flatternden Püppchen des Waldvogels. Vorhang. Schluss. Ende. Der Zwischenvorhang mit dem Gebäudeplan des „Forschungszentrums E.S.C.H.E. “ zerbröselt. Das war´s. Zuvor allerdings wurde der pessimistische, vielleicht buddhistisch gemeinte, schopenhauerisch beeinflusste, jedenfalls alle Hoffnung raubende Text des Schlussgesang Brünnhildes auf die Rückwand projiziert, den Wagner allerdings nie vertont hat. Wagner gab das Prinzip Hoffnung nicht auf. Tcherniakov hat das in Abrede gestellt, wie er auch im letzten Teil der Tetralogie regielich nicht müde wurde, gegen Szenenanweisungen, Text und Musik der Partitur anzurennen. In seiner gewiss bühnentechnisch eindrucksvollen, aber sterilen, jeder Poesie abholden Inszenierung wurde Wagners Monumentalwerk jede Romantik, jeder Realismus, aber auch jede gesellschaftskritisch-optimistische Idee ausgetrieben.


Das Ergebnis der Menschenversuche im psychiatrischen Forschungszentrum, in das Tcherniakovs Regiekonzept Wagners Werk hineinpresste, obwohl dieses Konzept hinten und vorne nicht passte, ist der Tod Siegfrieds, der mit großem Betroffenheitstheater kommentiert wird. Mehr nicht? Nein. Übrigens starben ja vorher schon einige Dramatis personae am Fluch des Goldes (Ringes): Fasolt, Fafner und Mime beispielsweise. Dieses Ende der Inszenierung und ihrer Botschaft ist ziemlich dürftig. So banal, ja aussagelos hat man noch keinen „Ring“ enden sehen. Der Destruktion des Monumentalwerks im Szenischen entspricht die musikalische Aufwertung durch Christian Thielemanns Dirigat. In meist ohrenbetäubender (und sängerunfreundlicher) Lautstärke zelebrierte er einen ungebremst monumentalen Wagnerstil (dass er durchaus auch für leise Töne einen Sinn hat, bewies er immer wieder), der den Zuschauern schier den Verstand raubte und beispiellose Begeisterung abverlangte. Einmal mehr haben sich Nietzsches Worte bewahrheitet: „Die Deutschen haben sich einen Wagner zurechtgelegt, den sie Verehren können“, oder auch: „Wagner ist unter deutschen bloß ein Missverständnis“.…


Von den vielen Missverständnisse, und Abstrusitäten der Inszenierung seien nur einige erwähnt:  Die geriatrischen Ambitionen Tcherniakovs. Vergreiste, gehbehinderte Figuren prägen den Abend. Alberichs fast total nacktes Auftreten (warum eigentlich) in der “Götterdämmerung“ ist wahrlich keine Augenweide. Das Spiel mit dem Pferdepüppchen Grane, dar unentwegt herumtanzende Siegfried, die teetrinkenden Nornen als alte Tanten im Schafzimmer Siegfrieds und Brünnhildes, das vorher die Familie Hunding bewohnte, die Rheintöchter als Krankenschwestern im Stresslabor, die vielen (im heutigen Alltag genau abgeschauten) alltäglichen Banalitäten des Haushalts wie des menschlichen Verhaltens sind albern und verharmlosen, ja verspießern das Stück. Von tragischer Fallhöhe keine Spur. Alles Tragische und Pathetische wird ironisiert. Es ist ein Ärgernis.


Den berechtigten Ovationen für Thielemann und die Staatskapelle, die immer wieder einen grandiosen sinfonischen Wagner zelebrierten, nicht nur in „Siegfrieds Rheinfahrt“, dem „Trauermarsch“ und der Finalmusik, entsprach das verständlicherweise gnadenlose Buhkonzert, das Tcherniakov entgegengebracht wurde, es war eindeutig und eindrucksvoll, nie gab es in Berlin ein solches Buhkonzert gegen einen „Ring“- Regisseur in den letzten 50 Jahren.


Sängerisch war diese „Götterdämmerung durchwachsen. Der Star des Abends war ohne Frage Andreas Schager, er war Pennäler, Spaßvogel, Tanzbär, Hanswurst, Kindskopf, Flegel, Pascha, Blödelheini, Möchtegern- Macho und was noch… Er tritt zum ersten Mal in diesem „Ring“ nicht im Jogginganzug auf, sondern in Badeklamotten, bürgerlicher Alltags-Kleidung, schließlich im bordeauxfarbigen Anzug und in sportlich grünem Outfit einer „Jagdgesellschaft“, die zugleich die Handballgruppe Hagens ist. Der ersticht ihn beim Handballspiel von hinten mit dem Pfahl der Flagge des Vereins, Sigfried schleppt sich noch in das „Stresslabor, wo er auf der Krankenhausliebe verblutend, sein Leben aushaucht, woraufhin alle Götter, Nornen, Rheintöchter und zahllose Statisten (Ärzte, Pfleger, Krankenhausangestellten) gemächlich herbeieilen und betroffene Mine machen. Schagers nie nachlassende vokale Kraft (er könnte ruhig etwas weniger aufs Gaspedal treten bei seinem Organ), sein heldischer, Tenor, seine nimmer wortverständliche Diktion ist bewundernswert. Er ist heute ein Solitär unter den Wagnertenören. Die großartige Anja Kampe, die im „Siegfried“ bereits Konditionsschwächen zeigte, hat die Brünnhilde in der „Götterdämmerungs“ - leider nur schreiend bewältigt, nahezu wortunverständlich. Der Gunther von Lauri Vasar machte im hellbauen Businessanzug auch stimmlich virile Figur, der Alberich von Johannes Martin Kränzle übererzeugte als Bariton außerordentlich, als (fast) nackter Darsteller hingegen weniger. Der Hagen von Mika Kares ist Urgestein an schwarzem Bass. Die Gutrune von Mandy Friedrich kommt als Soubretten-Blondine im Format einer spaßigen Partyschickse daher. Die große Violeta Urmana, die man in so vielen Wagnerpartien früher bewunderte, offeriert als allzu reife Waltraute nur noch die Reste einer einstmals beeindruckenden Stimme. Die Rheintöchter (Evelin Novak, Natalia Skrycha und Anna Lapkovskaja) und die Nornen (Noa Beinart, Kristina Stanek und Anna Samuil) sind superb. Michael Volle (Wotan) und Anna Kissjudit (Erda) hatten nur stumme Auftritte in dieser „Götterdämmerung“ Unter den Linden, die nicht wirklich glücklich machte.


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