Cosi fan tutte. Huguet

Marina Viotti (Dorabella), Paolo Fanale (Ferrando), Gyula Orendt (Guglielmo), Federica Lombardi (Fiordiligi), Staatsopernchor. Photo: Matthias Baus


„Cosi fan tutte“ als vordergründige, absurde 68er-Gaudi


Premiere an der Berliner Staatsoper am 3.10.2021

 

An der Berliner Staatsoper sollte der neue Mozartzyklus ursprünglich schon 2020 mit Mozarts „Cosi fan tutte“ starten. Diese Neuproduktion fiel der Pandemie zum Opfer. „Le Nozze di Figaro“ gab es nur als Premieren-Livestream zu sehen. Don Giovanni wird folgen. Nun gab es, vor Publikum, ohne Abstandsregelung vor rappelvoll besetztem Haus „Cosi fan tutte“ live Unter den Linden. Es ist der tatsächliche Beginn der Mozart-Trilogie, die bei den nächsten Festtagen komplett zu erleben sein soll. Der Chéreau-Schüler Vincent  Huguet führte Regie, am Pult der Berliner Staatskappelle stand Daniel Barenboim.


Als „Trilogie über sexuelle Befreiung“ kündigte Regisseur Vincent Huguet sein szenisches Vorhaben an. Inspiriert worden sei er von Michel Foucaults dreibändiger Abhandlung „Sexualität und Wahrheit“. „Die Hochzeit des Figaros“ hat er als quirligen, quietschbunten Achtziger-Jahre Retro-Spaß gezeigt. "Cosi fan tutte" hat er jetzt als Sechziger-Gaudi angerichtet. Huguet siedelt das Stück in mediterranem Ambiente an, genau gesagt im Hafen von Neapel, aber an seinen unschönsten, desillusionierenden  Stellen. Nichts als Beton und Edelstahl. Beeindruckende Agaven und Kaktusfeigen sorgen für mediterranes Ambiente (Bühnenbild Aurélie Maestre). Liegestühle und ein Eisverkäufer markieren Badeterrain. Und im Hintergrund grüßt der Vesuv, den ganzen Abend hindurch. Schon zu Beginn wohnt man einer Badegesellschaft bei, die sich frivolen Neckereien und Liebesspielen hingibt. Es folgen allerhand Entkleidungsszenen, allerhand Bademode und nacktes Fleisch ist zu sehen. Ansonsten ist die Aufführung eine Flower-Power-Kostüm-Orgie (Kostüme Clémence Pernoud). Es gibt Hippies unterm Sternenhimmel, Möbel und Requisiten der Sechzigerjahre, viel Klamauk und allerhand Regiegags, so etwa muss ein Mercedes-Benz-Stern als mesmerischer Magnet des vermeintlichen Dottore herhalten. Auch wird Bier aus Champagnergläsern getrunken, man spielt mal auf Schiffsandeutung und viel Bühnenqualm kriecht, mal blau, mal rosa beleuchtet (Licht Irene Selka) über die Szene, Lampengirlanden illuminieren romantisch. Ein vordergründiger 60er-Jahre Ausstattungs-Spaß, nichts weiter.

 

Die Rechnung geht aber nicht auf, die Inszenierung überzeugt nicht wirklich, denn ob man unbedingt Foucault bemühen muss, um die Sprengkraft von Mozarts Da-Ponte-Opern zu begreifen, sei dahingestellt, zumal der Bezug ein Lippenbekenntnis des Regisseurs bleibt, das sich in seiner Inszenierung nicht realisiert. Dass Mozart und Da Ponte sich in ihrer Analyse der gesellschaftszersetzenden Kraft des Eros auf der Höhe eines de Sade bewegen, ist schon lange klar. Das ist nicht neu. Auch übrigens Inszenierungen des Stücks in den Sechzigjahrengabs schon.


Die Oper "Cosi fan tutte" ist eine bösartige, hintergründige Partnertausch-Komödie, Mozart hat mit seiner und da Pontes Oper die bürgerliche Sexual-Moral des 18. Jahrhunderts gesprengt, die sittsamen Bürger vor den Kopf gestoßen. Es ist gewissermaßen eine Operation am offenen Herzen, ein zynisches psychologisches Experiment, eine schwarze Komödie, die am Ende zwei zerstörte Liebespaare hinterlässt, trotz lieto fine, trotz gutem Ausgang. Das zeigt Huguet nicht wirklich, auch wenn er am Ende eine „Reise nach Jerusalem“ veranstaltet. Klar Stellung zum Ausgang bezieht er jedenfalls nicht.


Last but not least: In den 6oer Jahren fand neben der politischen eine erotische Befreiung statt, eine erotische Revolution, wenn man so will. Mozarts "Cosi fan tutte" als Rokoko-Gesellschaftsspiel dürfte für die 68er eigentlich ein alter Hut gewesen sein, denn Partnertausch, freie Liebe, das war damals doch selbstverständlich.

 

Die Oper benötigt sechs Sängerdarsteller, die ein Wechselbad der Gefühle ausdrücken können, mal buffonesk, mal wehmütig-nachdenklich: Ein exquisites Solistenquartett mit Sopran, Mezzosopran, Tenor und Bariton ist gefragt, plus Soubrette (Kammerzofe) und Bassbuffo (alter Philosoph). Alles anspruchsvolle Partien.


Erfreulicherweise verfügt man Unter den Linden über ein so glänzendes Mozartensemble, wie ich es lange nicht gehört habe. Nicht nur die Stars, Barbara Frittoli als gewitzte Kammerzofe Despina und Lucio Gallo als sonorer alter Philosoph Don Alfonso sind exquisit. Auch das Quartett der beiden Liebespaare ist superb besetzt, Federica Lombardi sticht als Fiordiligi durch Stimmschönheit, Stimmgröße und vollendete Gesangkultur heraus. Aber auch Marina Viotti als Dorabella, Gyula Orendt als Guglielmo und Paolo Fanale als Ferrando sind vorzüglich. Man darf einem Stimmfest beiwohnen.


Dass sich der Abend dennoch hinzieht, die Aufführung dauert ja fast 4 Stunden, hat Daniel Barenboim zu verantworten. Man konnte zwar fast 4 Stunden in Schöngesang baden, auch hat die Staatskapelle Berlin ihre Meriten, aber  Barenboims Lesart hat nichts Aufregendes und nicht im Geringsten etwas von historisch informierter Interpretation, obwohl er im Orchestergraben ein Cembalo für die Rezitative spielen ließ. Es ist eine recht konventionelle, durch und durch romantische, gediegene zwar, aber streckenweise extrem langsame, ja langweilige Interpretation. Das Aufregend-Prickelnde der "Cosi"-Musik bleibt außen vor.

 

Beitrag auch in DLF Fazit am 3.10.2021