Don Carlo Essen. Carsen

Photo: Hans Jörg Michel


Schwarze Parabel über heutige politischeeVerhältnisse

 

Don Carlo“ am Aaalto Theater Essen

Regie Robert Carsen, ML: Andrea Sanguinetti

 

Während Europa durch Kriege auf eine harte Probe gestellt wird, ist die Vater-Sohn-Beziehung zwischen König Filippo von Spanien und seinem Sohn, Infant Don Carlo, durch die Liebe zur selben Frau, Elisabetta von Valois, getrübt. Eigentlich hätte die Ehe zwischen Elisabetta und Filippo endlich den lang ersehnten Frieden zwischen Flandern und Spanien  besiegeln sollen, doch es kommt anders.

 

Ausgehend von Friedrich Schillers "Don Karlos, Infant von Spanien" brachte Giuseppe Verdi dieses Stück 1867 zunächst in Paris (aus Anlass der Weltausstellung) als spektakuläre fünfaktige Grand Opéra heraus, inklusive einer viertelstündigen Balletteinlage. Doch schon im Zuge der Uraufführung wurde dem Komponisten bewusst, dass sein Werk noch nicht ausgereift war und so viel Prunk und Pracht der Sprengkraft der Oper entgegenstand. Denn der Rückgriff auf Schillers 1787 uraufgeführtes Drama war durchaus kein Zufall: Die Zerbrechlichkeit von sozialen und privaten Utopien stellte für den politisch so engagierten Verdi in den Wirrungen des 19. Jahrhunderts ein wichtiges Thema dar. Im Laufe von 20 Jahren kürzte, redigierte, veränderte die Oper zu immer neuen Fassungen.

 

 

Nun hatte im Aalto-Theater Essen Giuseppe Verdis Oper "Don Carlo" Premiere. Sie sollte bereits im Jahre 2020 herauskommen, wurde aber pandemiebedingt abgesagt Allerdings kam die Produktion bereits 2016 in Strasbourg heraus. Es handelt sich um eine Koproduktion. Nun also die Premiere in Essen.

 

Die Inszenierung der Verdi-Oper besorgte der international renommierte Regisseur Robert Carsen (Szenische Einstudierung Jean-Michel Criqui).  Im Don Carlo geht es ja um die Unvereinbarkeit von privatem Glück und Politik, um das absolutistische System Philipps des Zweiten, den brutalen Fanatismus der katholischen Kirche und den Freiheitskampf der Niederlande. Es geht um die Einsamkeit und Macht der Herrschenden, um Sehnsucht nach Freiheit und Ausweglosigkeit. 

 

Vor allem aber zeigt Regisseur Robert Carsen das Stück als Vater-Sohn-Konflikt zwischen König Filippo von Spanien und seinem Sohn, dem Infanten Don Carlo. Beide lieben dieselbe Frau, Elisabetta von Valois, doch sie liebt nur Carlo, verzichtet aber aus Staatsräson auf diese Liebe und wird Königin. Der Vater ist Katholik, steht unterm Einfluss des Großinquisitors, der Sohn will Freiheit für das unterdrückte, protestantische Flandern, will Freiheit statt Repression.

Dann gibt es da noch die intrigante Prinzessin Eboli, die Mätresse es Königs, die auch Carlo liebt, aber verschmäht wird, und den nicht ganz koscheren Freund Carlos, Marquis Posa schlägt sich heimlich – um Einfluss auf ihn zu haben - auf die Seite des Königs. Das tragische Ende ist vorbestimmt.

Also ein durch und durch trostloses, hoffnungsloses Stück Das trostloseste, das Verdi je komponierte.

Robert Carsen zeigt das ungeschminkt, mit psychologischer Präzision der Personenführung und erschütternder Eindringlichkeit, vor allem das Scheitern des persönlichen Glückssuche, die Resignation, ja Todesbereitschaft aller Handelnden und den Sieg des Terrorregimes der Kirche und der Herrschenden.  Carsen ist wieder einmal ein Meister großer Chortableaus und entfaltet theaterwirksame Rituale. Das stärkste ist das Autodafé mit vorausgehender Königsankleidung, Bücherverbrennung und Massenerschießung (Hinrichtung).

 

Das Aalto Theater wollte mit dieser Produktion ein Zeichen setzen. Die Bezüge zur Gegenwart springen denn auch ins Auge. Bühnenbildner Radu Boruzescu hat auf alles Historische und Naturalistische verzichtet (also man sieht nichts Spanisches, weder Escorial, noch Gefängniszelle, noch Kloster San Juste). Er hat einen schwarzen Einheits-Raum entworfen, einen Seelenraum für dieses gewissermaßen schwarze Seelen-, ja Todesspiel, in dem Glück nur ein Traum ist. An dieser Oper ist nichts historisch korrekt, sie ist eine Metapher über den Tod, die Kälte des Alleinseins, die Brutalität und Grausamkeit der Herrschenden bzw. der Kirche.

Das haben Carsen und sein Bühnenbildner konsequent ins Bild gesetzt, Petra Reinhard hat dazu klösterlich schwarze Kostüme entworfen), nur wenigen Requisiten, Machtinsignien und Berge weißer Lilien illustrieren symbolisch. In dr Zeitlosigkeit  der Inszenierung macht Carsen das Stück zur Parabel über politische Verhältnisse von heute. Bei Flandern denkt man an die Ukraine, zumal vor Beginn der Aufführung eine bewegende ukrainische  Komposition gespielt und gesungen wurde und eine Solidaritätserklärung verlesen wurde

 

Nun gibt es ja an die sieben verschiedene Fassung dieser Oper, Verdi hat 20 Jahre lang an seiner Don Carlos-Oper herumgefeilt und sie immer wieder verändert. In Essen spielt man die sogenannte Mailänder Version, das vieraktige Dramma lirico, also nicht die fünfaktige Grand Opéra. Verdi hat sich nach der katastrophal erfolglosen italienischen Erstaufführung derselben zu radikalen Kürzungen und Revisionen entschieden, vor allem wurde der erste Fontainbleau-Akt gestrichen und das Ballett eliminiert. Die für die Mailänder Scala erstellte Version ist sehr viel kürzer, konzentrierter und intensiver (die Grande Opera ist dagegen  die längste Oper, die Verdi je schrieb).

 

Der junge italienische Dirigent Andrea Sanguinetti, ein echter Shooting Star und am Aalto-Theater Essen kein Unbekannter, steht am Pult dieser Verdi-Produktion. Er dirigiert das existentiell erschütternde Musikdrama sehr souverän, transparent, aber nie so, dass es weh tut. Es ist kein bis zur äußersten Brutalität geschärfter Verdi. Aber diese Oper ist brutal und schmerzhaft. Andrea Sanguinetti liebt immer auch den “schönen”, den poetischen, den romantischen Verdi. Den beglaubigt er mit unglaublicher Feinfühligkeit, herrlichen Klängen und großer Sensibilität im Detail. Der scharfe, bittere, gnadenlose Verdi kommt etwas zu kurz für mein Dafürhalten. Die Oper ist kein Unterhaltungs-, sondern ein gnadenlos Staat und Kirche anklagendes,  politisches Werk.

 

 

Die Oper Verdis verlangt mindestens sechs erstklassige Gesangssolisten.

Die Besetzung ist insgesamt sehr gut. Vor allem hat man eine fabelhafte Herrenriege zur Verfügung. Der Filippo von Ante Jerkunica verfügt über einen ehrfurchtgebietenden Bass von imperialer  Autorität. Gaston Rivera schmettert mit seinem Tenor mühelos den rebellischen Heißsporn Carlo. Aber auch der Rodrigo bzw. Marquis von Posa von Jordan Shanahan und der Großinquisitor von Karl Heinz Lehner beeindrucken. Die Damen hingegen lassen zu wünschen übrig.  Die Elisabetta von Gabriel Mouhlen, aber auch Nora Sorouzian als Eboli geben ihr Bestes, lassen es aber an  Gesangskultur, Stimmschönheit und kantabler Gelenkigkeit, an Koloraturen- und Höhensicherheit fehlen. Beide sind keine berufenen Belcantistinnen, schon gar keine begnadeten Verdisängerinnen.

Das Orchester ist immerhin vorzüglich, auch der Chor ist fabelhaft, trotz genannter gesanglicher Einschränkungen handelt es sich um eine unbedingt sehenswerte Aufführung.


DLF Fazit 12.03.2022