Britten Sommernachtstraum Fassbaender Frankfurt

Photo: Monika Rittershaus / Oper Frankfurt


Langweiliger Sommernachtstraum


Frankfurter Oper – Bockenheimer Depot

Premiere 16. Mai 2022


Am 11. Juni 1960 wurde “A Midsummer Night’s Dream” von Benjamin Britten anlässlich der Wiedereröffnung der Jubilee Hall bei dem von ihm und Peter Pears gegründeten Aldeburgh Festival uraufgeführt. Das Libretto verfasste der erfolgreiche englische Komponist gemeinsam mit seinem Lebensgefährten. Dabei wurde die als Vorlage dienende und von Brittens Vorgängern vielfach vertonte gleichnamige Komödie William Shakespeares von fünf auf drei Akte verkürzt und weitgehend in Shakespeares Wortlaut belassen. Nun kam diese Oper am Bockenheimer Depot, der attraktiven zweiten Spielstätte der Frankfurter Oper heraus. Regie führte Brigitte Fassbaender, einst eine der führenden Mezzosopranistinnen, dann Operndirektorin in Braunschweig und Intendantin in Innsbruck. Sie ist längst eine vielbeschäftigte Regisseurin und hat das Stück schon viermal inszeniert (Amsterdam 1993, Tel-Aviv 1994, Amsterdam 1993, Braunschweig 1995 und Innsbruck 2010). Man hat mehr von ihr erwartet, als sie nun in Frankfurt ablieferte.

 

In einem zauberischen Wald nahe Athen herrschen Eifersucht und Ehestreitigkeiten zwischen dem Herrscherpaar des Elfenreichs, Oberon und Titania um einen faszinierenden jungen indischen Prinzen. Oberon beauftragt Puck, ihm einen Zaubersaft zu beschaffen, der Männer wie Frauen in jedwede Kreatur, die man nach dem Erwachen erblickt, verliebt macht. So will er sich Titania vom Leib schaffen, um den „indian boy“ für sich zu haben. Der Wald wird zum magischen Ort fortwährender Verwandlungen: Der Weber Bottom, der mit seinen Freunden ein Theaterstück zur Hochzeit des Herzogspaares einstudiert, verwandelt sich in einen Esel, in den sich die Elfenkönigin Titania verliebt. Und dann beträufelt Puck auch noch versehentlich die falschen Lider zweier schlafender Liebespaare mit dem Nektar der Zauberblume und löst dadurch ein Verwirr- und Verwechslungsspiel der Gefühle aus. Glücklicherweise ist am nächsten Morgen ist der erotische sommerliche Traum- Spuk des Liebesdurcheinanders, vorbei.

 

Brigitte Fassbaenders Spuk, Gefühlschaos und Elfenzauber hält sich allerdings in Grenzen, zauberisch oder gar erotisch ist da wenig, schon wegen des wenig einschmeichelnden Bühnenbilds von Christoph Fischer. Er hat eine weisse, variable, drehbare und aufklappbare Bühnenkonstruktion mit roten Baumskeletten, etwas Schilf, perlmuttfarbenen Steinen und weissen Phantasiegewächsen in den grossen Raum des Bockenheimer Depots gestellt. Diese - mit Verlaub gesagt- geschmacklose „Bühne“ ohne Poesie und im unschönen Stile des Regietheaters der Siebzigerjahre wird von den aus allen Himmelsrichzungen herbeieilenden Darstellern beklettert, bestürmt, bespielt. Auch die biederen und einfallslosen Kostüme von Anna-Sophie Lienbacher tragen nicht zu einer irgendwie faszinierenden Aufführung bei, es sind durchweg austauschbare, wenig charakteristische, androgyne, mit roten Bändern und Fetzen behangene “Priesterlook”-Bühnengewänder, was die Elfen und Geister angeht sowie moderne Straßenanzüge und Casual wear, was die Handwerker und menschlichen Liebespaare angeht. Dass Oberon fst wie eine manierierte Dragqueen mit hochgeschraubter Damenperücke auftreten muss, hat sich mir nicht erschlossen, ebensowenig wie das betont ungelenke Auftreten des reichlich betagten Pucks (Frank Albrecht) mit Gummikopfputz eines Hahnenkamms, oder sollte es Reptilisches meinen? Eine Grotesk-Charge, die nichts von einem verführerischen, schelmischen, närrischen Kobold, den man erwartet, schon gar nichts Erotisches.


Überhaupt ist Eros in dieser Mittsommernachs- Partnertauschkomödie ziemlich abwesend, ganz zu schweigen von den Abgründen und Abnormitäten, die das Stück ja andeutet und nahelegt. Statt in einen Esel mit langen Ohren (Symbol außerordentlicher animalischer Sexualität) wird Bottom in einen Kürbiskopf verwandelt. Diese Entsexualisierung ist bezeichnend für die Verharmlosung und Banalisierung, die die Regisseurin dem Stück antut. Selten hat man einem derart langweiligen und nichtssagenden “Midsummer night’s dream” beigewohnt. Auch die Elfen gehen über braves Kinderballett (Ringelpietz mit Anfassen) nicht hinaus, da ist nichts Gespenstisches, Subversives, Freches zugange.

 

Die pralle Shakespeare-Komödie einer schwülen Sommernacht voller Liebeswahn und Dramatik, Elfenträume, Rüpel-Szenen und der Tragikomik der Hingabe einer Feenkönigin an einen verliebten Esel wird durch die Inszenierung Lügen gestraft. Aber auch die musikalische Sprache Brittens, die ja an sich poetisch, geheimnisvoll, komisch, drastisch und immer von überragender handwerklicher Meisterschaft zeugt, wird nicht annähernd angemessen realisiert. Die in allen Farben schillernde Instrumentation, die ins tiefe Dickicht der Gefühle führt, ins emotionale Unterholz gewissermaßen, verbleibt in Frankfurt in harmlos-bravem Niemandsland.

 

Das irrlichternde harmonische Klangweben im Elfenreich kommt entschieden zu kurz im allzu vorsichtigen Dirigat des britischen Frankfurt-Debütant Geoffrey Paterson, das ohne dramatisches Temperament Kraft und gestalterische Chuzpe die Musik Brittens weitgehd teilnahmslos buchstabiert. Auch wenn Paterson im zweiten Teil des Abends sich endlich etwas aus seiner Zurückhaltung herauswagt, das Muiziren “aufdreht” und tatsächlich Klangsinn beweist: In diesem Dirigat treffen - wie bei der Inszenierung - keine wirklich auflodernden Begierden oder gar heimliche Laster aufeinander.  Last but not least ist ausgerechnet der Anlass des Streits zwischen Titania und Oberon, der verführerische, anziehende “indian boy”, nicht nachzuvollziehen. Das Objekt erotischer Begierde (für Mann wie Frau) ist ein nahezu geschlechtsneutrales, blasses Knäblein ohne Ausstrahlung.

 

 

Eigentlich war die Oper für eine Kammerorchester-Besetzung entstanden, doch Britten erweiterte später die Partitur für ein größeres Orchester. Das Ergebnis ist eine farbenreiche Komposition, die mit Harfenglissandi, Xylophon und Celesta für die Elfenwelt aufwartet, neben Oberons Countertenor, Titanias Koloraturen und Pucks gesprochenen Worten.  Die Liebenden hingegen werden von Streichern und Holzbläsern begleitet, während die Szenen der Handwerker durch tiefe Holz- und Blechbläser, Kontrabässe und Schlagzeug charakterisiert sind. Was für eine Musik, gewagt wie das Sujet! Wenig gewagt kommt sie in Frankfurt daher. Man spielt übrigens eine Mischfassung.

 

Immerhin verfügt die Aufführung über beachtliches sängerisches Niveau. Aus dem grossen, insgesamt überzeugenden Ensemble ragen der farbenreiche, großstimmige persisch-kanadische Countertenor Cameron Shabazi als Oberon hervor, aber auch die virtuose ukrainische Sopranistin Kateryna Kasper, der virile Bass Thomas Faulkner als Theseus, die schönstimmige Hippolyta von Zanda Švede, aber der amerikanische Tenor Michael Porter als Lysander, Danylo Matviienko als Demetrius, die Mezzosopranistin Tamara Gura als Hermia, die Polin Monika Buczkowska als Helena und der britische Bass Barnaby Rea als Bottom, um nur die Wichtigsten zu nennen. Eine geglückte Ensembleleistung wie gesagt, zu der auch die Solist*innen des Kinderchores, das Frankfurter Opern- und Museumsorchester unter der Kinderchor der Oper Frankfurt (Leitung Alvaro Corral Matute) beitragen.


Doch die Aufführung als Ganzes darf man alles Andere als geglückt oder gar als beglückend bezeichnen.


Rezension in nmz online