Aida. Dresden. Thalbach

Photo: Semperoper Dresden / Ludwig Olah


Povere Ägyptenklischees: Eine enttäuschende Verharmlosung


Giuseppe Verdis „Aida“ in der Semperoper Dresden

Premiere 5. März 2002



1871 wurde sie im Opernhaus in Kairo uraufgeführt, die Oper Aida“ von Giuseppe Verdi. Eine Auftrags-Oper für das geopolitische Ereignis der Eröffnung des Suezkanals, die der Herrscher (Khadive) Ali Pascha von Ägypten bei Giuseppe Verdi in Auftrag gegeben hatte. Eine Kriegs- und Liebestragödie, halb Grande Opéra, halb lyrisches Drama, nach einem Entwurf des Gründers der ägyptischen Antikenverwaltung und in Kairo lebenden Ägyptologen Auguste Mariette. Das Libretto stammt von Camille du Locle.

 

Verdis drittletzte Oper (für die Verdi 150.000 Goldfranken bekam, das bis dahin höchste Honorar für einen Komponisten) behandelt einen nationalen und emotionalen Konflikt im alten Ägypten. Zwei Königstöchter - die versklavte äthiopische und die ägyptische - begehren einen jungen ägyptischen Feldherrn, der leider die Tochter des Feindes liebt. Das Ganze endet in einer Tragödie. Gern wird die Oper – die bis heute erfolgreichste Ägyptenoper – als monumentales Ausstattungsstück gezeigt.

 

Auch die Schauspielerin Katharina Thalbach – die es in Dresden inszeniert - liebt buntes, sinnliches Theater und opulente Ausstattungen, wie sie in Berlins „Schlauem Füchslein“, Leipzigs „Lucia di Lammermoor“ oder zuletzt in Dresden in „Hänsel und Gretel“ (2006) demonstrierte. Um nur drei ihrer zahlreichen Operninszenierungen zu erwähnen. Aber sie wäre nicht Katharina Thalbach, wenn sie nicht immer auch genügend Raum für hintersinnige Komik, trockenen Witz, gelegentlich Klamauk, oft Ironie und subtiles Kammerspiel ließe.

 

Anders in Dresden, an der Semperoper setzt man zu Beginn ein Statement: man spielt die ukrainische Nationalhymne, dann wird es langweilig.  Katherina Thalbach enttäuscht auf ganzer Linie, denn sie nimmt das Stück nicht ernst, verharmlost es. Das Stück ist ein Kriegsstück, es geht in ihm um Krieg, aber von Verdi ist das Stück als Antikriegsstück gemeint. Verdi war bekennender Pazifist, er war antiklerikal und nicht zu vergessen: er hat das Stück unter dem Eindruck des Deutsch Französischen Krieges geschrieben, der ihn sehr deprimierte. Für uns heute ist die Oper, was den Text angeht, nur schwer erträglich, soviel Kriegstreiberei ist darin, so viel ist die Rede vom Töten, von Blutvergießen, von Rache, Krieg und Flucht.

Man kann der Regisseurin nicht vorwerfen, dass sie keine aktuellen Bezüge herstellte, denn Monate bevor auch nur an den Angriffskrieg gegen die Ukraine zu denken war, stand ihre Konzeption fest. Aber was hätte man - unabhängig von der Tagespolitik - in dem Stück zeigen können! Es ist ein Drama um Ohnmacht und Ausweglosigkeit angesichts eines Krieges - es handelt sich übrigens um einen Verteidigungskrieg der Ägypter gegen die einfallenden Äthiopier.

 

Drei Personen sind der Ohnmacht angesichts der Herrschenden, der Priesterkaste und des Kriegs ausgeliefert: Radames, ein schwacher Kriegsheld, Amneris – die ägyptische Königstochter - eine böse, neurotisch grausame Aristokratin und Aida, ihre Nebenbuhlerin. Sie ist (nach Gilda, Leonora und Violetta) ein Sinnbild reiner unschuldiger Weiblichkeit, eine Allegorie intakter Menschlichkeit. Menschlichkeit hat aber keine Chance in kriegerischen Zeiten, das wollte Verdi mitteilen. Was für eine Aktualität!

 

Doch Katherina Thalbach zeigt das Stück fern aller Aktualität brav, bieder und konventionell und harmlos, ohne jede ironische Brechung, die man von ihr kennt. Das Stück ist aber radikal. Es ist alles andere als harmlos.

 

Ihr Bühnen- und Kostümbildner Ezio Toffolutti hat ihr einen vergoldeten Holzkasten gebaut, der vielfach variiert und aufgeklappt werden kann mit Öffnungen, Durchblicken und Versenkungen. Die Kostüme sind ägyptisierend, es wäre allerdings übertrieben, sie schön zu nennen. Oft tragen die Frauen Schleier. Die Thalbach spielt mit dem Spiel vor geschlossenem Vorhang. Aber was heißt Spiel? Da wird wenig gespielt, nur arrangiert. Es gibt zudem viele Umbaupausen. Die Regisseurin liebt Tableaus, brennende Opferschalen und Weihrauch, Ägyptenklischees. Sie hangelt sich an der Oberfläche des Stücks entlang und lässt die Sänger in guter alter Operngesten-Manier gern an der Rampe singen. Statt Personenregie nichts als Konventionen.

 

Vor allem die ägyptische Staatsaktion, das Monumentale und Spektakuläre rückt in dieser Inszenierung in den Vordergrund, das private Kammerspiel hingegen die intimen Szenen gehen unter. Der Triumphmarsch wird als halbherzige Selbstdarstellung ägyptischer Kriegsgewinnler mit blutverschmierten Sklaven, Kriegsbeute und getragenen Götterabbildungen auf Papier gezeigt. Billige Demonstration der Macht der Herrschenden, deren Selbstdarstellung eigentlich beschämend sein sollte. Von den pseudoägyptischen Tanzeinlagen mit verrenkten Armen und Gefuchtele mit Stangen, geschlitzten Röckchen und exotischem “Sexappeal” zu schweigen, Christopher Tölle hat das zu verantworten. Das Stück ist eigentlich als Ende aller Utopien gedacht, eine bürgerliche Oper der Verdizeit, in der Ägypten nur Metapher ist, wie ja auch übrigens schon in der Zauberflöte. Doch nichts davon bei Katherina Thalbach.

 

Am Pult dieser mit Spannung erwarteten Neuproduktion stand Christin Thielemann, Chefdirigent der Sächsischen Staatskapelle, dessen Vertrag 2024 ausläuft. Diese Oper dirigiert er zum ersten Mal. Nun ist Thielemann wahrlich kein Verdi-Spezialist, er dirigiert eher einen Verdi aus Wagnerperspektive, sehr laut vor allem, fast lärmend manchmal, überwiegend breit in den Tempi, rustikal möchte ich sagen. In den martialischen, kriegerischen Musiknummern dreht er ordentlich auf und übertreibt es. Italianità geht im völlig ab. Dirigentische Eleganz und Delikatesse vermisst man völlig, und vor allem Spannung. Musikalisch ist das ebenfalls ein enttäuschender, dröger Verdi, und auch der Chor hatte schon bessere Tage.

 

Die sängerische Besetzung ist allerdings erstklassig! Ein vorzügliches Ensemble, aus dem die Aida der Bulgarin Krassimira Stoyanova mit anrührendem Sopran und die Nebenbuhlerin Amneris der belarussischen Mezzosopranistin Oksana Volkova eindrucksvoll herausragen. Aber auch Francesco Meli schmettert den schwachen Feldherrn und Kriegshelden Radames mit Grandezza, sehr eindrucksvoll ist auch Georg Zeppenfeld als bassgefährlicher Oberpriester Ramphis. Aidas Vater Amonasro wird eher zu edel für seine fiese Rolle gesungen vom hawaianische Bariton Quinn Kelsey, äußerst kultiviert allerdings. Doch sein Kostüm setzt dem allgemeinen Mummenschanz der Produktion die Krone auf. Ein Sängerfest immerhin!



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