Die Trojaner in Dresden

Foto: Forster


Lydia Steiers Inszenierung der "Trojaner“ von Hector Berlioz in Dresden ist eine Zumutung



Am 3. Oktober 2017  fand in der Semperoper in Dresden ein  monumentales Großunternehmen statt, die Grand opéra "Les Troyens" von Hector Berlioz hatte Premiere. Der gewaltige Orchesterapparat des Werks, ein riesiger Chor und äußerst anspruchsvolle solistische Gesangspartien stellen auch ein Opernhaus wie die Semperoper vor große logistische Herausforderungen, von den szeni-schen ganz zu schweigen. John Fiore hatte die musikalische Leitung. Lydia Steier ist für die Regie verantwortlich.


Die ursprüngliche Anlage des Werks war eine zweiteilige Oper: "Die Einnahme von Troja" und "Die Trojaner in Karthago". Die beiden Titel verraten es schon: Es geht um die Aeneis von Vergil. Es geht um zwei antike Völker, um Krieg und Frieden, Katastrophen und Utopien. Ein gewaltiger Stoff. Regisseurin Lydia Steier macht aus dem mythisierenden Antikenstück ein modernes, politisches Belehrungsstück über Krieg und Frieden, Flucht und Emigration, Koloniali-sierung und Eroberung. Sie prangert detailliert und extrem grausam Kriegsgreuel und Leichenfledderei an, immer an der Grenze zum guten Geschmack, wie ich finde. Auch eine rüde Vergewaltigung wird drastisch vorgeführt auf der Bühne. Es wird geschossen und gesprengt, gemordet und gemeuchelt, es fließt viel Blut, Gedärm quillt aus einem aufgeschlitzten Frauenkörper beim Massensuizid am Ende des zweiten Aktes. Lydia Steier zeigt das alles stark übertrieben, oftmals ins Lächerliche überzeichnet. Immer an der Grenze zur Parodie. Überhaupt hat man oft den Eindruck, die Regisseurin wolle sich über das Stück lustig machen. Das Militär bekommt am meisten Spott ab. Es wird  klischeehaft karikiert in seiner besoffenen Trotteligkeit und Rüpelhaftigkeit. Aeneas sieht aus wie ein Operettengeneral. Alles andere als ein Held. Und von Antike keine Spur.


Lydia Steier behauptet, sie wolle für ein Publikum von heute Geschichten für heute erzählen (als ob das Publikum andere Geschichten nicht verstehen könne). Sie verlegt das Stück in die Zeit zwischen den Pariser Weltausstellungen und dem Ersten Weltkrieg,  sie spannt also einen Bogen von der  Berlioz-Zeit bis ins 20ste Jahrhundert. Der Bühnenbildner Stefan Heyne spannt ihn zwischen Paris und Dresden, man sieht einen historischen Semperopernprospekt und eine Art von gusseisernem, mehrstöckigen Konzertpavillion mit eingebauter, drehbarer Wendeltreppe und integriertem Chambre separée fürs Grobe.


Auch ein Reiterstandbild wird herein gefahren, mal dient es als Trojanisches Pferd, mal als Scheiterhaufen für Dido. Die Inszenierung hat etwas Beliebiges, Karnevaleskes, Groteskes, ja Absurdes, zumal die meisten Figuren stark über-zeichnet, stark überschminkt vorgeführt werden in abenteuerlich phantastischen Kostümen von Gianlucca Falaschi. Da wirbelt alles durcheinander: Vorgestriges und Heutiges, Muselmanisches, Europäsches, Theatralisches und Clowneskes, Folkloristisches vom Balkan und von der Ägäis, Antike ausgenommen. Es treten Priester und Nonnen, aber auch orthodoxe Popen, Jongleure und Artisten auf, Bauern und Arbeiter, zwei von ihnen mit demonstrativen Geräten wie Hammer und Sichel. Wir verstehen.


Mich überzeugt die platte, plakative Aktualisierung Lydia Steiers nicht, sie nimmt der Antiken-Oper alles, was Winkelmann mit Bezug auf die griechische Antike einmal "stille  Einfalt und edle Größe" nannte, woran Berlioz anknüpfte. Gemessen am Exodus und an den Buhs des Publikums bei der Premiere bin ich wohl nicht der Einzige gewesen, der die Aufführung als Zumutung empfunden hat.


Der New Yorker Dirigent John Fiore, derzeit Musikdirektor der Norske Opera in Oslo,  steht am Pult dieser Produktion. Die Orchesterbesetzung des Werks ist gewaltig, die Musik von Berlioz ist äußerst "sophisticated". Dirigentisch eine enorme Herausforderung. Immerhin hat John Fiore den großen Apparat auf und unter der Bühne zusammengehalten, das ist schon eine Leistung. Aber über wei-te Strecken war das für mein Empfinden ein weichgespülter Berlioz. Es man-gelte vor allem an Temperament, an Esprit und an Drive. John Fiore hat nur auf Schönklang gesetzt. Die Sächsische Staatskapelle tat ihm den Gefallen. Sie spielt wunderbar. Natürlich! Ganz prachtvoll ist vor allem ihr grosser Bläser-apparat auf, hinter und vor der Bühne. Es gab immer wieder beeindruckende Raumklangeffekte. Doch Berlioz wollte ja nicht nur "schöne" Musik schreiben, sondern vor allem "Zukunftsmusik". Und dieses  Rebellische, ja Revolutionäre, Utopische, das kam in der Lesart Fiores zu kurz. 


Die "Trojaner" von Berlioz verlangen einen überdimensionierten Chor, der eine grosse Rolle in dem Werk  spielt, vor allem aber neben vielen anderen Partien drei herausragende Gesangssolisten.  So manche grossen Opernhäuser waren damit schon überfordert. Dresden nicht. Man kann das Werk, alle 17 solistischen Partien, überwiegend aus dem eigenen Ensemble besetzen. Aus dem stammt auch die Mezzosopranistin Christa Mayer. Sie singt die zentrale Hauptpartie der karthagischen Königin Dido grossartig und sehr berührend. Das Publikum feierte sie zurecht. Ich habe sie nie so gut gehört wie an diesem Premierenabend. Christa Mayer ist das sängerische Glanzlicht der Aufführung und überstrahlt selbst die fabelhafte amerikanische Sopranistin Jennifer Holloway, die die Seherin Kassandra singt. Eine beeindruckende Stimme hat auch die polnische Altistin Agnieszka Rehlis. Sie singt Anna, die Schwester von Dido. Weniger überzeugt mich die Stimme des amerikanischen Tenors Bryan Register. Sein Aeneas hat zwar  die physische Durchstehkraft für die Partie, schön kann man diese Stimme allerdings nicht wirklich nennen und in der Höhe hat sie unüber-hörbare Probleme. Der Sächsische Staatsopernchor, der von seinem Kinderchor und vom Sinfoniechor Dresden unterstützt wird, singt allerdings durchweg vorzüglich.


Ob die Semperoper sich und Berlioz mit dieser Produktion einen Gefallen getan hat, sei dahin-gestellt. Ich habe übrigens noch nie eine so schlecht besuchte Premiere in Dresden erlebt, und in den zwei Pausen des langen, sehr langen Abends - an die 5 Stunden - haben nicht wenige Zuschauer das Haus verlassen, man kann es ihnen nicht verdenken!


Beitrag auch in MDR Figaro, 04 .10. 2017