Wagners Frauen. Dietrich Mack

Über einen Womenizer, Verführer und "Schuft"

Dietrich Mack: Wagners Frauen


 

Das Buch ist zwar vor fast zehn Jahren erschienen. Aber ich habe es – Asche auf mein Haupt - erst jetzt gelesen und ich möchte dem Autor danken, nachträglich. Er ist – was mich schon bei seinen früheren Publikationen faszinierte - nicht nur einer der klügsten Kenner von Wagners Leben und Werk (neben Martin Geck und Egon Voss), sondern auch unbestechlich im Urteil, scharfsichtig und sprachmächtig.


Schnörkellos essentiell ist denn auch seine kleine Abhandlung über Richard Wagner und seine Frauen geschrieben. Schon in seiner Einleitung „Weibes Wonne und Weh“ (ein mit Hintersinn verändertes Zitat aus dem „Rheingold“ (es lautet im Original „Weibes Wonne und Wert“) vermittelt er Grundsätzliches über Wagners Charakter, seine Sehnsucht nach dem Weiblichen und sein musikdramatisches Werk, in dem Frauen Männer erlösen (sollen). Mack beglaubigt, was von den Philistern und Kenntnislosen unter den Wagnerianern zu Unrecht oft bestritten wird, dass Wagner ein Paradebeispiel dafür ist, dass Werk und Biografie des Künstlers eine unzertrennliche Einheit bilden.


Die vorhandenen Selbst-Kommentare Wagners lassen keinen Zweifel daran, wie sehr sein ganzes Schaffen ein erotisches Selbstbekenntnis war, ein Ringen mit dem Konflikt aus Anspruchshaltung und individueller Triebstruktur, Pflicht und Neigung, gesellschaftlicher Erwartung und persönlicher Bedürftigkeit. Es sei nun einmal "der Geschlechtstrieb, mit welchem alle Produktivität zusammenhängt“ habe Wagner am 20. 8. 1871 gegenüber Cosima – gut schopenhauersch – geäußert. Er selbst bezeichnete sich in einem Brief an Eliza Wille als ein „Verherrlicher der Frauen.“


Tatsache ist, dass Wagner ein bekennender und bekannter „Womanizer“ seiner Zeit war. Seine oft enthusiastischen Bekenntnisse des Hingezogenseins zum Frauen, aber auch Urteile zahlreicher Frauen über ihn und seine magische Wirkung aufs weibliche Geschlecht sprechen für sich. Und das, obwohl er kleinwüchsig, fast zwergenhaft war, und alles andere als ein Beau. Aber als geschlechtliches Wesen ruhte Wagner in seiner selbstverständlichen Männlichkeit. Wagner hatte zwar ein immer absturzgefährdetes Selbstbewusstsein als Person und als Künstler, doch sein erotisches war erstaunlicherweise stabil und unerschütterlich. 


Zurecht schreibt Mack: „Seinen Charakter zu verurteilen, ist nicht schwer. Er bietet viele Angriffsflächen. Opportunismus, Größenwahn, Egozentrik gehören dazu. Wagner verherrlicht Ludwig II., solange dieser ihm hörig ist, schmäht Meyerbeer oder Bismarck nicht aus künstlerischer oder politischer Überzeugung, sondern weil sie ihm nicht helfen. Er überschätzt sich maßlos, als er bayerische Politik bestimmen will. Er liebt alles, was ihm nützt, jeden, der ihn bewundert geradezu kindlich. In moralischer Hinsicht ist sein Leben ... eine schwer erträgliche Zumutung. Ratlos klagt seine erste Ehefrau: Muss ein Genie ein Schuft sein? So denkt in Wagners Augen nur eine Philisterseele, die keine Ahnung hat von den Bedürfnissen eines großen Künstlers, von seinen Bedürfnissen. Selbstbewusst fordert er moralische Immunität und Finanzierung seines Lebens: Die Welt ist mir schuldig, was ich brauche, ich gebe der Welt meine Werke. Nur Geld mache, wie er 1854 schreibt, in dieser ‚Sauwelt‘ frei. Wie kein Künstler vor ihm ist Wagner von seiner Bedeutung überzeugt. Nur im Schlaf quälen ihn Schuld- und Angstgefühle, hat er Feigheits-, Betrugs und Renommierträume.“ Auch von seinen (jüdischen) Frauen träumt er immer wieder. Es sind nicht selten Alpträume...


„Mit großer Frechheit und Beharrlichkeit beutet er die Welt aus, lebt über seine Verhältnisse. Seinen Künstlernerven muss, wie er einmal an Liszt schreibt, mit Luxus geschmeichelt werden. Er kann zäh sein und lange anspruchsvolle Alpenwanderungen machen, aber auf Stroh mag er sich nicht betten, auf einer harten Orgelbank wie der verehrte Meister Bach nicht sitzen, Fusel nicht trinken. Wein, Champagner müssen ihn reizen, in weichen Fauteuils muss er versinken, in schwülen, parfümierten, mit Atlas und Seide ausgestatteten Räumen muss er arbeiten und schlafen. … Sein Lebensstil ist … groß in Aufwand und Inszenierung. Das kostet viel Geld, fremdes Geld, denn seine Kunst, Dirigieren und Komponieren, ist lange eine brotlose Kunst. Erst seine Erben kommen in den den Genuss  moderner Urheber- und Verwertungsrechte. Doch Wagner ist nicht nur ein skrupelloses Genie im Finanziellen, auch Frauen braucht er lebenslang.“


Keiner schreibt so differenziert (und in Kenntnis aller Publikationen zum Thema) über Wagners Frauen wie Mack, über Cosima, seine zweite Ehefrau, „die Komplizin eines Schufts“ und die “Hohe Frau in Wahnfried“, die die Festspiele zur rentablen Firma ausbaute, aber auch Bayreuthzum Tempel weihte und Wagner stilisierte zum Religionsgründer eines antisemitischen, nationalistischen Deutschtums und ihn damit den Nationalsozialisten auslieferte. Aber auch über all die anderen schreibt Mack, die schöne, aber ihn nicht verstehende, allzu bürgerliche Minna Planer, seine erste Gattin, Mathilde Maier, “Kind und Hausfrau“ und Friederike Maier die ihm zumindest „kurze Tröstungen“ zuteilwerden ließ, über „das Allerseelenweib“ Judith Gautier, über den „Todesegel“ Carrie Pringle und über Mathilde Wesendonck, seine Zürcher Muse.


Die Frauen seien „die Musik seines Lebens“, schreibt Mack, Wagner sei „exhibitionistisch in seinen Gefühlen“, lebenslang habe er von „einem häuslichen Herd“ und vom Frieden seines Wähnens geträumt. Beides fand er auch in seiner Villa Wahnfried“, dem „Ärgersheim“ (so Cosima) nicht.


Mack betont: „Das männliche Wunschbild einer Frau als Geliebte und Hausfrau ist wie die Tatsache, dass das Neue Appetit anregender sein kann als das Gewohnte weder neu noch originell. Aber für Wagner ist es ein Lebens- und Arbeitselixier. Mit Ausnahme Minnas sind alle Frauen, die sich in Wagner verlieben, bedeutend jünger als er. Er fasziniert sie nicht durch körperliche Attraktivität oder gesellschaftliche Stellung, sondern durch seine Persönlichkeit und sein Schicksal. Er wirkt wie ein sächsischer Julien Sorel. Durch die Kraft seines Temperaments und seines Willens übt er, wie ein französischer Zeitgenosse schreibt, einen unwiderstehlichen Zauber auf alle aus. Er ist eine Art Naturgewalt im Lieben wie im Leiden. Diesem Zauber erliegen viele Frauen von der Gräfin bis zur Zofe.“ Mack beschreibt sie alle. Und er betont, dass Wagner Bachs Messen ebenso liebt wie grelle Possen und obszöne sächsische Witze, die Gattin Cosima peinlich sind. Doch selbst Franz Liszt vergisst bei Wahner "seine Moralpredigt. Die Damen liegen Wagner zu Füßen, küssen seine Hände und nenne ihn den ‚Einzigen‘. Mit seiner Person und Musik ist er ein Meister der Verführung,“ ein amoralischer, möchte ich hinzufügen!


Nur Emma Herwegh, die Gattin des Schriftstellers, linksradikalen Journalisten und Revolutionärs George Herwegh, mit dem Wagner befreundet war und der ihm in Schweizer Exil Schopenhauer nahebrachte, ging Wagner nicht auf den Leim. Sie urteilte schonungslos über Richard Wagner: „Diese Taschenausgabe von einem Manne, dieser Foliant von Eitelkeit, Herzlosigkeit und Egoismus“.