Raunächte

Die Raunächte          

 

Weihnachtszeit, eine friedliche Zeit. Das Christkind in der Krippe. Geschenke unterm Tan­nen­­baum. Kirchgang. Kulinarische Genüsse. Freie Tage. Die Welt freut sich und ruht aus. Doch der Schein trügt. Es ist eine gefährliche Zeit, nach Meinung unserer Altvorderen.

 

In den Nächten zwischen dem ersten Weih­­nachts­tag und dem Dreikönigstag sollte man nach altem Volksglauben auf der Hut sein! Es galt höchste Gefah­renstufe in den letzten sechs Nächten im alten und den sechs ersten im neuen Jahr, den sogenannten "Raunächten" (auch Rauchnächte, nach alter Rechtschreibung Rauhnächte). Sie beginnen traditionell am Abend des 25. Dezember und dauern bis zum 6. Januar. Eine andere Variante will wissen, dass sie schon bei der Wintersonnwende, am 21. Dezember beginnen, in der Thomasnacht. Der Name Thomas bedeutet übersetzt "Zwilling". Der Apostel Thomas wurde als Zwilling von Jesus angesehen. Und sind nicht Sommersonnwende und Winter­sonnwende auch eine Art von Zwillingen? Warum stehen sich über vielen Kirchenportalen zwei Wölfe oder Wolfsdrachen (Zwillingswölfe) einander gegenüber, die für die Sonnen­wenden stehen? Ein ausuferndes Thema. 


Wie auch immer: Die Raunächte wurden traditionell als Heilige Nächte betrachtet, in denen nach Möglichkeit nicht gearbeitet, sondern nur der Weihnachtsritus zelebriert, häusliches Familienleben genossen und nach Innen "geschaut" werden sollte. Es war eine Zeit der Kon­templation und geschärfter Wahrnehmung "anderer" als der vordergründigen Wahrheiten.

Geister und Dämonen, so glaubte man, würden in den sogenannten Rau­nächten umgehen und ihr magisches Unwesen treiben, die Zeit sei aus den Fugen, Traum und Wirklichkeit vermischten sich. Die Gesetze der Rationalität galten nicht in diesen Nächten. In ihnen stehe, so glaubte man, das Geisterreich offen und die Seelen der Ver­storbenen hätten Ausgang. Man war überzeugt, dass die wilde Jagd – Odins Heer – durch die Lande ziehe. Zauber­kundige Menschen, die mit dem Teufel im Pakt stünden, könnten sich in Werwölfe verwandeln und bedrohten angeblich Mensch und Tier. Das Einzige, was gegen den Spuk helfen könne, sei Lärmen und Tanzen. Feuerwerk sollte die Unhol­de fernhalten. An Silvester hat sich dieser Brauch auch bei den Ungläubigen erhalten. 

 

In den alpenländischen Gegenden streichen nach altem Brauch in den Raunächten auch heute noch soge­nannte Perchten durch die Landschaft, Menschen, die sich als Geister verkleiden, zottelige, pelzige Gesellen mit unheimlichen Masken. Sie sollten nach altem Glauben den nahenden Geisterheeren sugge­rie­ren, dass der Ort bereits fest in Dämonenhand sei.

 

Ihren Namen verdanken die Raunächte der uralten, aus der Antike stammenden Tradition, Dämonen auszuräu­chern. Mit unterschiedlichsten Räucherritualen versuchte man in den vergangenen Jahrhunderten zwischen Weihnacht und Dreikönigstag Hof, Stall und gute Stube von bösen Geistern zu befreien. Im christlichen Ritus, in Liturgie wie Volksbrauchtum hat sich das ma­gische Aus- und Beräuchern mit Weihrauch bis heute erhalten.

 

Besonders in der Nacht vom 5. zum 6. Januar arrangierte man früher in den alpinen Land­schaften karnevalesk-schamanische Maskenumzüge und besprengte die Felder mit Weih­wasser, um die win­ter­liche Erde wieder zum Leben zu erwecken.

Die lärmenden Perchten- oder auch Berchtenläufe hat das Chris­tentum versucht, durch braves Sternsingen zu ersetzen. Doch das eine hat mit dem andern nichts zu tun.  In Wahrheit ist die Berchta - im Märchen die schneebringende Frau Holle - die germanische Freia, also keine andere als die römische Venus.  In Italien entspricht der Berchta die Befana, die auf der Suche nach dem Jesuskind auf einem Besen von Haus zu Haus fliegt, Geschenke bringt, straft und spukt. Der Sage nach soll sie von den Hirten die Frohe Botschaft gehört haben, da sie aber zu spät aufbrach, verpasste sie den Stern, der sie zur Krippe führen sollte.

 

Die Rauhnächte galten aber nicht nur als jene Nächte des Jahres, in denen die Menschen von bösen Geistern heimgesucht werden. In diesen Nächten wurde den Menschen angeblich auch ein kleiner Blick in die Zukunft ge­währt. Es ist die Zeit der Prophezeiungen und Orakel. Im Silves­ter­brauchtum lebt diese Tradition in Form des Bleigießens bis heute fort.

Man benutzte jede der Rauhnächte dazu, einen anderen Monat des Jahres vorauszudeuten. Alles wurde genauestens beobachtet auf seine mögliche Bedeutung hin. Mediale Fähigkeiten waren gefragt, der Glaube ans Irrationale und Jenseitige ist dem Menschen ja seit je eingeboren.

 

Ein besonderes Phänomen der zwölf Raunächte, die auch Unternächte genannt wurden: Tiere im Stall sollten um Mitternacht die menschliche Sprache sprechen und die Zukunft prophe­zei­en können. Wer dabei zuhört, so glaubte man, der sterbe unmittelbar danach. Es galt also: nachts unbedingt Ställe mei­den in den Rauhnächten!

 

Allgemein verbreitet war auch der Gedanke, dass die den Nächten folgenden 12 Tage das Wetter der kommenden 12 Monate anzeigen würden, wobei jeder Tag für einen Monat des kommenden Jahres stehe. Noch heute gibt es in ländlichen Gebieten Bauern, die sich das Wetter in dieser Zeit aufzeichnen, um eine Prognose für das kommende Jahr zu haben.

In der Zeit der zwölf Nächte sollte man keine Türen zuschlagen, sonst müsse man im kommenden Jahr mit Blitz und Donner rechnen. Wer sich in dieser Zeit Fingernägel oder Haare schneide, müsse mit Fingerkrankheiten oder Kopfschmerzen rechnen.


Und auf keinen Fall, so gilt für den, der an die Raunächte glaubt, sollte man zwischen Silvester und Neujahr Wäsche waschen, man könnte einen Menschen gewissermaßen aus dem Haus waschen und zu Grabe tragen. Und wer Probleme mit dem Magen hat, der sollte am Neujahrsmorgen ein Stück Lebkuchen in ein Glas Schnaps legen, diesen anzün­den und an­schließend den Lebkuchen essen.

Freilich, all das ist Glaubenssache. Aber das mit dem Schnaps ist, ob man dran glaubt oder nicht, auf jeden Fall eine gute Idee für den Neujahrsmorgen.

 

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